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Großer Bahnhof für einen Kult-Film

SZ und Radeberger Biertheater holten die 1964 gedrehten „Schlager einer kleinen Stadt“ zurück nach Hause. Und lüfteten so manches augenzwinkernde Geheimnis.

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© Thorsten Eckert

Von Jens Fritzsche

Radeberg. Warum Radeberg mit 90 Metern zwar den höchsten Schornstein der Region bekam, ihn aber eigentlich gar nicht brauchte, ist nur eine von vielen Geschichten, die Donnerstagabend im restlos ausverkauften Biertheater-Saal in Radeberg zu hören waren. SZ und Biertheater hatten den im Herbst 1964 in Radeberg gedrehten Film „Schlager einer kleinen Stadt“ sozusagen „nach Hause“ geholt – und nicht nur der knisternde Schwarz-Weiß-Streifen samt der auf Film gebannten und noch heute treffsicheren Pointen von TV-Moderator Heinz-Florian Oertel sorgten für beste Laune im Saal. Sondern eben auch die vielen Geschichten, die sich rund um die Dreharbeiten und den Film ranken.

Schlager einer kleiner Stadt - Die Fotos von der Veranstaltung

Ausverkauft! Bis auf den letzten Platz gefüllt war der Saal im Radeberger Biertheater, als die SZ gemeinsam mit dem Biertheater zur „Zeitreise“ mit dem Kult-Film „Schlager einer kleinen Stadt“ eingeladen hatten. Gedreht wurde der Film 1964 in Radeberg. Und die Radeberger wollten den Schwarz-Weiß-Film aus der Bierstadt unbedingt sehen!
Ausverkauft! Bis auf den letzten Platz gefüllt war der Saal im Radeberger Biertheater, als die SZ gemeinsam mit dem Biertheater zur „Zeitreise“ mit dem Kult-Film „Schlager einer kleinen Stadt“ eingeladen hatten. Gedreht wurde der Film 1964 in Radeberg. Und die Radeberger wollten den Schwarz-Weiß-Film aus der Bierstadt unbedingt sehen!
Glasindustrie-Experte Dietrich Mauerhoff (l.) sorgte dafür, dass im Glaswerk gleich zweimal gedreht worden war.
Glasindustrie-Experte Dietrich Mauerhoff (l.) sorgte dafür, dass im Glaswerk gleich zweimal gedreht worden war.
Peter Wildner hatte viel Spaß daran, über die Dreharbeiten zum „Findling“ zu erzählen. Auch das ein Radeberg-Film.
Peter Wildner hatte viel Spaß daran, über die Dreharbeiten zum „Findling“ zu erzählen. Auch das ein Radeberg-Film.
Am Bahnhof startete damals die Schlagersuche: Und Sänger Volkmar Böhm besang hier seine große Liebe.
Am Bahnhof startete damals die Schlagersuche: Und Sänger Volkmar Böhm besang hier seine große Liebe.
Auch längst Verschwundenes tauchte wieder auf: die Eisenbahnbrücke mit den Rundbögen zum Beispiel.
Auch längst Verschwundenes tauchte wieder auf: die Eisenbahnbrücke mit den Rundbögen zum Beispiel.
Gunter Stresow war lange Jahre in der Radeberger Brauerei fürs Bauen zuständig und verriet, warum Radeberg den höchsten Schornstein der Region bekam.
Gunter Stresow war lange Jahre in der Radeberger Brauerei fürs Bauen zuständig und verriet, warum Radeberg den höchsten Schornstein der Region bekam.
Gerd Pilling (l.) im Gespräch mit SZ-Lokalchef Jens Fritzsche über heimlich geschossene Fotos.
Gerd Pilling (l.) im Gespräch mit SZ-Lokalchef Jens Fritzsche über heimlich geschossene Fotos.

Gunter Stresow – seit 1962 in der Radeberger Brauerei zunächst im Labor und später für den Ausbau verantwortlich – erzählte vom schwierigen Unterfangen, zu DDR-Zeiten ein neues Heizkraftwerk für die Brauerei zu bauen. Denn die eigentlich geplanten Kessel aus einem Spezialbetrieb in Köthen gingen kurzerhand für Devisen in den Westen. Stattdessen sollten es nun Kessel aus Bulgarien richten; aber letztlich wurde auch das nicht genehmigt, weil der erwähnte Riesen-Schornstein für diese Kessel nicht durchlässig genug gewesen war.

Episoden am Rand eines Films, der selbst voller Episoden steckt. So besuchte Heinz-Florian Oertel damals zum Beispiel im Rathaus den wohl skurrilsten Standesbeamten des Landes: Reinhold Gabel. Der entlockte den Paaren nämlich nicht nur das Ja-Wort, sondern sorgte auf Wunsch auch gleich noch selbst für die Musik-Umrahmung. Dann griff er nämlich kurzerhand zur Gitarre und schmetterte Hits wie „Man müsste noch mal 20 sein.*

Die ganz normalen Radeberger

Und überhaupt macht es den Reiz dieses Films aus, dass er zwischen jeder Menge Schlager-Musik nicht die sogenannten Großen zeigt, sondern das „Film-Kollektiv“ besuchte damals die „ganz normalen“ Radeberger. Meist am Arbeitsplatz. Im Beleuchtungsglaswerk zum Beispiel. Dessen letzter Chef Dietrich Mauerhoff erzählte Donnerstagabend, warum am Schmelzofen an der Güterbahnhofstraße 2010 noch einmal gedreht worden war. Da allerdings war das Glaswerk längst geschlossen.

„Filmleute hatten für einen Kinofilm eine mystisch-heruntergekommene Glashütte gesucht und mich gefragt, ob ich helfen könne.“ Dietrich Mauerhoff ist bekanntlich DER Experte in Sachen Glasindustrie und hat in den vergangenen Jahren deren Geschichte akribisch aufgearbeitet. „Die Filmleute waren begeistert von der Kulisse“, weiß er noch genau. Und auch, „dass wir zunächst heimlich über den Zaun gestiegen sind.“ Als dann mit Schauspielstar Jürgen Vogel gedreht wurde, „hatten sich die Filmleute aber offiziell einen Schlüssel besorgt.

Alle waren aufgeregt

Heimlich – das ist dabei auch das Stichwort für Gerd Pilling. Er ist im Film als junger Sänger zu erleben. Und hatte zu den Tonaufnahmen im Sendesaal des DDR-Rundfunks in Berlin eine kleine Fotokamera dabei. Das war streng verboten, „ich habe trotzdem ein paar Fotos geschossen“. Aufgeregt war er damals aber schon ein wenig gewesen, nicht ertappt zu werden, gab er zu. Die Radeberger hingegen, denkt er dann an die Dreharbeiten zurück, seien alles andere als aufgeregt gewesen. „Und auch ein Star war man hinterher nicht.“

Ein Star – ein Literatur-Star – taucht im Film dann allerdings doch auf: Schriftsteller Herbert Jobst. Der zu DDR-Zeiten durchaus prominente Autor war als Baby von seiner Mutter an der Röder in Radeberg in einem Körbchen abgelegt worden. Die Geschichte hat er dann im Roman „Der Findling“ verarbeitet – und später ist das Ganze auch verfilmt worden. Der heutige Radeberger Peter Wildner hatte als Zehnjähriger die Hauptrolle in diesem, damals in Dresden gedrehten, Film – „allerdings habe ich bis vor Kurzem nicht gewusst, dass es ein Radeberg-Film ist“. Denn im Buch und im Film heißt Radeberg Rabenberg. Erst nachdem die SZ vor drei Jahren – zum 50. Jubiläum der „Schlager einer kleinen Stadt“ – über den Schriftsteller Herbert Jobst berichtet hatte, „war mir klar geworden, dass es sich um Radeberg handelt“, erzählte er mit einem Schmunzeln.

Jede Menge Episoden

Jede Menge Geschichten also, die da auf die Bühne kamen. Aber auch jede Menge Episoden, die vor und nach dem Film die Runde machten und so aus dem Dunkel der Stadtgeschichte auftauchten. Zum Beispiel, dass die legendären Musik-Komödianten „Vier Brummers“ für den Film ein ganzes Weilchen in Radeberg gedreht haben; aber letztlich mit diesen Szenen gar nicht auftauchen. Vor der Schlossmühle im Hüttertal hatten sie sich vor laufenden Kameras eine packende Schlammschlacht geliefert – keine verbale, sondern eine echte. Das passte den Filmleuten letztlich aber nicht ins Sende-Konzept. Also verschwand diese Szene. Wohin?

Es war jedenfalls ein spannender, ein fröhlicher Abend. Eine wunderbare Zeitreise in ein Radeberg, das es so nun schon seit über einem halben Jahrhundert nicht mehr gibt. Ein augenzwinkernd-einfühlsames Stück Stadtgeschichte – in bewegten Bildern. Herrlich!

Geschichten rund um den Kultfilm gibt es auch in Heft-Form. In der SZ-Redaktion in Radeberg, im Bürgerbüro und im SZ-Treffpunkt in Kamenz. Für 1.50 Euro.