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Großenhainer Land fast schuldenfrei

Das Schulden-Gefälle zwischen Stadt und Land ist groß. Ein anderer Trend zeigt sich im Geschlechtervergleich.

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Von Dominique Bielmeier

Landkreis Meißen. Der Meißner ist Anfang 50, Vater zweier Kinder, die bei seiner Ex-Frau leben, und hat sich vor zehn Jahren mit großer Motivation selbstständig gemacht. Nie lebte er über seine Verhältnisse, im Gegenteil: Zugunsten seiner Firma hat er immer zurückgesteckt, hat Arbeitskraft, Nerven und auch Privatvermögen investiert. Die Summe seiner Schulden beträgt heute gut 80 000 Euro. Wie ist es so weit gekommen? „Der Mann war immer jemand, der gerne zugepackt hat, aber mit den ganzen Formalien seines Gewerbes überfordert war“, erklärt Sandro Vogt von der Schuldnerberatungsstelle der Caritas Meißen. Er schildert den fiktiven Fall des Unternehmers, der einen wahren Hintergrund hat: Gescheiterte Selbstständigkeit war im vergangenen Jahr in 13 Prozent der Beratungsfälle bei der Caritas der Auslöser für Überschuldung.

Das Beispiel zeigt, wie schnell jemand in die Schuldenspirale rutschen kann. Die Firma des Mannes brachte nicht genug Umsätze ein, hinzu kam, dass seine Auftraggeber oft die Rechnungen nicht beglichen. So konnte er irgendwann seine Lieferanten und Versicherungsbeiträge nicht mehr bezahlen, musste einen Kredit zur Überbrückung aufnehmen. Weil er sich den Steuerberater nicht mehr leisten konnte, reichte er die Steuererklärung nicht fristgerecht ein. Das Finanzamt schätzte den Betrag und forderte eine hohe Nachzahlung, auch die Krankenkasse verlangte den Höchstbetrag, weil der Mann keine Einkommensunterlagen abgegeben hatte. Beim Jugendamt sammelten sich die Schulden, da er den Unterhalt für seine Kinder nicht mehr zahlen konnte.

„Für Selbstständige ist es mitunter noch schwieriger, sich einzugestehen, dass sie es nicht geschafft haben“, sagt Vogt. „Sie wollen ja eigentlich anpacken, etwas erreichen.“ Vielleicht ein schwacher Trost für Menschen wie den Mann aus dem Beispiel: Er ist längst nicht alleine damit. Im Landkreis Meißen hat die Verschuldung im vergangenen Jahr erneut leicht zugenommen und liegt nun bei 8,9 Prozent – noch unter dem sächsischen Durchschnitt von 9,9 Prozent sowie dem bundesdeutschen mit 10 Prozent.

Wie genau sich die Überschuldung im Landkreis Meißen verteilt, zeigt ein Blick in den jährlichen Schuldneratlas von Creditreform (siehe Grafik). Denn regional gibt es große Unterschiede. So hatte Moritzburg mit 4,3 Prozent die niedrigste Schuldnerquote im vergangenen Jahr. Auch Weinböhla steht mit 5,5 Prozent gut da. Schlusslicht ist die Stadt Meißen mit 15,5 Prozent. Hier ist jede sechste Person über 18 Jahren überschuldet. Auch in Riesa und Großenhain sind es mehr als 12 Prozent. Allgemein zeigt sich eine große Schere zwischen Stadt und Land. Die größte Verschlechterung gab es in Nünchritz, ein Anstieg von knapp 5,2 Prozent im Jahr 2016 auf zuletzt 8,2 Prozent.

In der Beratungsstelle der Caritas kennt man die Gründe, weshalb Menschen ihren Zahlungsverpflichtungen nicht mehr nachkommen können. Die Hauptursache liegt nach wie vor in der Arbeitslosigkeit (35 Prozent), gefolgt von Krankheit und Unfall mit 20 Prozent. Doch auch eine Scheidung, Trennung oder der Tod des Partners stürzten 18 Prozent der Ratsuchenden in die Schulden. Unwirtschaftliche Haushaltsführung und gescheiterte Selbstständigkeit machten noch einmal 14 und 13 Prozent der Fälle aus.

Im Durchschnitt ist der Schuldner im Landkreis Meißen 41 Jahre alt, der Anteil der überschuldeten Senioren steigt seit Jahren, 2017 waren schon über 12 Prozent der Ratsuchenden bei der Caritas älter als 60. Dabei ist das Verhältnis zwischen Männern (52 Prozent) und Frauen (48 Prozent) fast ausgeglichen.

Deutschlandweit holen die Frauen unter den Schuldnern laut Creditreform jedoch auf, ihr Anteil betrug im vergangenen Jahr 7,6 Prozent, der der Männer lag bei 12,6 Prozent. Umgedreht sind die Verhältnisse, wenn man betrachtet, für wen eine außergerichtliche Einigung versucht wurde: Hier sind es zu 58 Prozent Frauen. „Das fand ich erstaunlich“, sagt Sandro Vogt von der Caritas, „die Frauen packen noch mehr zu und sagen, in sieben Jahren will ich es geschafft haben. Sie sind da möglicherweise konsequenter als die Männer“.

Viele kämen erst im allerletzten Moment in die Beratung, erzählt Vogt, wenn die Wohnung bereits gekündigt ist und der Strom abgestellt wurde. „Dann ist die Erwartung an uns Berater oftmals sehr groß und die Hoffnung, dass die Insolvenz alle Probleme lösen kann.“ Doch eine Privatinsolvenz ist nicht das Bevorzugte und vor allem nicht das Allheilmittel. „Wir suchen nach einer einvernehmlichen Lösung mit den Gläubigern, die dem Schuldner gleichzeitig einen wirtschaftlichen Neubeginn ermöglicht“, so Vogt.

Bis zu fünf Gläubiger hatten die meisten Schuldner (56,8 Prozent), die sich im vergangenen Jahr bei der Caritas beraten ließen. Was wenig klingt, hat einen Haken: „Wir merken, dass es zunehmend daran scheitert, dass viele Gläubiger nicht mehr so verhandlungsbereit sind“, sagt Vogt. „Es gibt einige große Banken und öffentliche Gläubiger, die selbst attraktive außergerichtliche Zahlungsangebote ablehnen.“

Warum, das sei auch den Beratern nicht klar. Die Deckungsquote bei Insolvenzverfahren, also wie viel Prozent der Schulden durch das Verfahren für den Gläubiger bezahlt wurden, sei minimal. „Für den Gläubiger ist es eigentlich ein finanzieller Anreiz, eine außergerichtliche Einigung zu erreichen“, sagt Vogt.

Bei der Schuldenhöhe handelt es sich ohnehin nicht um gigantische Summen. Im Durchschnitt hat ein Haushalt im Landkreis Meißen Schulden in Höhe von 23 500 Euro, die Hälfte aller Ratsuchenden im vergangenen Jahr hatte weniger als 10 000 Euro Schulden. Gut 20 Prozent mussten bis zu 25 000 Euro zurückzahlen, nur 4,3 Prozent hatten mehr als 100 000 Euro auflaufen lassen.

Eine Ehe kann übrigens nicht vor der Überschuldung bewahren, möglicherweise aber ein Studium: 39 Prozent der Menschen, die in die Beratung der Caritas kamen, waren verheiratet oder lebten in einer Lebensgemeinschaft, nur 4,5 Prozent hatten ein Studium abgeschlossen. 69 Prozent hatten eine Lehre beendet, ein Viertel war ohne abgeschlossene Ausbildung. Besonders hart war die Situation vermutlich für 18,8 Prozent der Ratsuchenden: Sie waren alleinerziehend.

Sandro Vogt appelliert, sich aus Scham nicht zu spät an die –kostenlose – Beratungsstelle zu wenden. Auch dem Mann aus dem Beispiel könnte geholfen werden, vielleicht so: Er gibt das Gewerbe auf und arbeitet wieder als Angestellter. Mithilfe der Berater werden zunächst Unterhaltsangelegenheiten geklärt und ein Pfändungsschutz durchgesetzt, damit er für seine Kinder sorgen kann. Trotz Lohnpfändungen wird sein Arbeitsplatz gesichert. Ein außergerichtlicher Einigungsversuch hat wenig Aussicht auf Erfolg, da kein Vermögen oder pfändbares Einkommen da sind. Deshalb wird die Insolvenz vorbereitet, die ihm irgendwann den Neubeginn ermöglicht.

Kontakt zur Schuldnerberatung der Caritas: Telefon 03521 476542, [email protected]

In Großenhain und Riesa berät auch die Diakonie.