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Großenhain im Pokémon-Fieber

Die Jagd auf die virtuellen Taschenmonster ist ein Riesenspaß – mit erheblichem Suchtpotenzial.

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© Anne Hübschmann

Von Manfred Müller

Großenhain. Man kann sie praktisch zu jeder Tages- und Nachtzeit treffen: junge Leute, die wie die Schlafwandler durch Großenhains Innenstadt laufen, den Kopf gebeugt, Blick und Daumen aufs Handy-Display geheftet. Sie gehören zur ständig wachsenden Pokémon-Go-Gemeinde. Auf der Suche nach Pokéstops und Arenen durchstreifen sie – einzeln oder in Gruppen – vor allem die Straßen und Gassen innerhalb des Musikerrings, wo man die meisten Spielorte finden kann.

So sieht der Spieler den Großenhainer Hauptmarkt mit Dianabrunnen auf seinem Handy.
So sieht der Spieler den Großenhainer Hauptmarkt mit Dianabrunnen auf seinem Handy. © Anne Hübschmann

Pikachu und Co sind niedlich

Das Pokémon-Go-Fieber hat nun auch die Röderstadt erfasst. Kaum einer der jüngeren Großenhainer kann sich der Faszination der niedlichen kleinen Taschenmonster entziehen. Sie tragen Namen wie Pikachu, Taubsi, Knuddeluff und Quaputzi und ähneln Mäusen, Tauben, Kaulquappen oder auch Ballons und Blumen. Die Spieler können die virtuellen Geschöpfe fangen, trainieren, entwickeln und in Kämpfe gegen andere Pokémon schicken. Das Revolutionäre an Pokémon Go ist, dass man sich mit seinem Handy oder Tablet bewegen muss. Über GPS und Mobilfunkortung wird man zu den verschiedensten Spielorten gelotst. Das sind weltweit mittlerweile mehrere Millionen. In Großenhain zum Beispiel der Dianabrunnen, die Kirche, das Glockenspiel von Uhren-Majok, der Schlossvorplatz, aber auch Kupferberg und Stadtpark. „Ich bin am Mittwoch sechs Kilometer gelaufen, und das trotz meiner Krücke“, erzählt Franz stolz. Der 16-jährige Schüler hat sich beim Sport einen Außenbänderriss zugezogen, was ihn aber nicht davon abhält, auf Monsterjagd zu gehen. Unermüdlich sucht er nach Pokéstops, jenen Orten, an denen man Spielgegenstände wie Eier, Pokébälle und Heiltränke erhalten kann. Oder nach Arenen, die als Austragungsort für Pokémon-Kämpfe dienen. Hier werden die Monster vom Spielserver per Zufallsprinzip in die virtuelle Landkarte des Spiels geschickt und können Vielzahl von Aktionen durchführen.

Es gibt drei Spielerteams: Intuition (gelb), Weisheit (blau) und Wagemut (rot). Im Namen und für Ruhm und Ehre dieser Gruppierungen lassen sich Arenen erobern und gegen andere Teams verteidigen. „Das ist wie beim Fußball“, erklärt Lukas Exner (20). „Du bist Anhänger einer Mannschaft, und wenn du Fans des Gegners triffst, werden schon mal ein paar Sprüche losgelassen.“ Besonders die Blauen und die Roten beharken einander oft ziemlich heftig. „Noch vor einem Monat sind abends in Großenhain die Bürgersteige hochgeklappt worden“, sagt Kurt Schimmek (22), der ebenfalls zur hiesigen Monster-Gemeinde gehört. „Jetzt trifft man nachts um zwei Uhr schon mal Gruppen von zehn oder mehr Leuten.“ Der Zusteller gehört zu den Pokémon-“Urgesteinen“, die sich schon als Kind auf der Nintendo-Spielkonsole mit den virtuellen Taschenmonstern beschäftigt haben. Heute diskutieren in Online-Foren Millionen Menschen über die besten Fangmethoden und -plätze.

Sogar Rentner gehen auf Jagd

Pokémon Go wurde am 6. Juli zunächst in den USA, Australien und Neuseeland veröffentlicht. Sieben Tage später war es auch in Deutschland zu haben. Aber so lange wollte die weltweite Monster-Fangemeinde nicht warten. Viele loggten sich auf neuseeländischen Servern ein, wodurch diese überlastet wurden und abstürzten. Auch die Großenhainer können sich rühmen, daran beteiligt gewesen zu sein. „Das Spiel ist so faszinierend, dass man alles darüber vergisst, sogar das Essen“, sagt Jonas Wolff (14). „Und dabei sollen erst zehn Prozent der Entwicklungen auf dem Markt sein.“ Manche Spieler seien sechs, sieben Stunden unterwegs und kämen nur zum Nachladen nach Hause. Andere fahren bis nach Dresden, um ihrer Leidenschaft zu frönen. Dort sollen sogar Rentner auf Monsterjagd durch den Großen Garten hirschen.

Obwohl Pokémon Go gerade mal ein paar Wochen freigegeben ist, kursieren in den Medien und sozialen Netzwerken bereits viele Geschichten, Gerüchte und Legenden. Von Pokémon-Go-Spielern etwa, die nachts an einen einsamen Ort gelockt und ausgeraubt wurden. Von Crashs, weil Autofahrer unvermittelt bremsten, als sie einen Pokéstop erreichten. Oder von unvorsichtigen Fußgängern, die beim Überqueren der Straße aufs Display starrten und von einem Fahrzeug erfasst wurden. „Ich habe bisher nur eine gefährliche Situation erlebt“, lächelt Lukas Exner. „Als meine Chefin mich während der Arbeitszeit beim Spielen erwischte, hätte sie mich fast erwürgt.“