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Große Krankenkasse hat Görlitzer Wurzeln

Der 27. Oktober 1884 gilt als Gründungsdatum der Barmer Ersatzkasse. Daran haben Görlitzer Kaufleute großen Anteil.

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Von Ralph Schermann

Ohne ihre Geschäftsstelle sähe die obere Berliner Straße noch trister aus: Die Barmer Krankenkasse prägt die Görlitzer Geschäftsstraße durch ihre beeindruckende Niederlassung. Doch genauso wie die Barmer in Görlitz eine große Rolle spielt, spielt auch die Neißestadt in der Historie der bundesweit zweitgrößten Krankenkasse Deutschlands mit 8,7 Millionen Versicherten eine wichtige Rolle. Am 27. Oktober zum Beispiel kommt kein Barmer-Mitarbeiter an Görlitz vorbei. Denn dann wird der 130. Geburtstag gefeiert.

Das historische Schild ist nur eine Illustration: Auf der Berliner Straße ist die Barmer in Görlitz mit einer modernen Geschäftsstelle präsent. Als „Mutter“ der Krankenkasse ist das berechtigt. Fotos: Nikolai Schmidt, Pawel Sosnowski, Sammlung R. Scherman
Das historische Schild ist nur eine Illustration: Auf der Berliner Straße ist die Barmer in Görlitz mit einer modernen Geschäftsstelle präsent. Als „Mutter“ der Krankenkasse ist das berechtigt. Fotos: Nikolai Schmidt, Pawel Sosnowski, Sammlung R. Scherman © Pawel Sosnowski/80studio.net

Zwar entstand die Kasse eigentlich erst 1912 aus dem 1867 gegründeten Kaufmännischen Verein für Handlungsgehilfen in Barmen, doch sie entstand zugleich auch durch die Verschmelzung mit der „Krankenkasse des Vereins junger Kaufleute in Görlitz“. Und eben dieser wurde am 27. Oktober 1884 eingetragen, gilt bei der Barmer als „Mutterkasse“ und Basis für alle folgenden Jubiläumsdaten. Zum Beispiel für einen 100. Geburtstag, der eher intern beachtet wird: 1914 erfolgte für die Barmer die amtliche Zulassung als „Ersatzkasse“. Der Name übrigens ist kein Geheimnis – Barmen war damals eine Stadt, die erst später in Wuppertal eingemeindet wurde.

Während Görlitz Tradition und Gründungsanspruch erhob, war an der Neiße nie der eigentliche Sitz. Die Hauptverwaltung zog 1932 von Barmen nach Berlin um und kehrte über die Stationen Nieheim und Bad Hermannsborn 1956 nach Wuppertal-Barmen zurück. Heute befindet sich am Sitz der einstigen Hauptverwaltung die Berliner Zweigstelle des Unternehmens.

Viele Görlitzer kennen die Geschichte der Kasse, die in Görlitz vor 1945 auch auf der Schützenstraße 5 zu finden war. Als sich nach der Wende wieder verschiedene Krankenkassen etablierten, seien viele ältere Görlitzer aus Tradition zur Barmer gekommen, erkannten die „neuen“ Barmer-Vertreter mit Interesse. Sogar frühere Mitarbeiter hätten sich gemeldet, weiß der Görlitzer Barmer-Chef Frank Hoffmann aus Erzählungen seines Vorgängers. Manche hätten selbst in der DDR nie den Kontakt zu ihrer früheren Kasse verloren, sich aus Wuppertal regelmäßig Informationen schicken lassen.

So ist es also kein Zufall, dass die Barmer Ersatzkasse in Görlitz und Umgebung nach wie vor eine starke Bastion hat. Hier arbeiten über 30 Kundenberater. Zwar ist die Barmer derzeit dabei, durch Änderung ihrer Strukturen bundesweit Personal und Geschäftsstellen abzubauen, Görlitz als Mutter aller Barmer-Geschichte dürfte davon allerdings wenig spüren. Im Gegenteil: Als Ausgleich für die 2015 schließenden Stellen in Niesky und Löbau wird die Barmer Görlitz auf der Berliner Straße aufgestockt. „Zugleich wird in den Telefon- und Online-Service investiert“, berichtet Hoffmann. Er leitet übrigens nicht nur die Görlitzer Geschäftsstelle, sondern steht als Regionalgeschäftsführer der Barmer GEK in der gesamten Oberlausitz vor, ist damit zuständig für 120 Mitarbeiter und rund 50 000 Kunden in den Kreisen Görlitz und Bautzen. „Meine bisher anspruchsvollste Aufgabe“, sagt Hoffmann, der schon seit 1990 bei der Barmer arbeitet. Für die neue Führungsposition kommt der studierte Betriebswirt jetzt jede Woche aus Schwerin nach Görlitz. „Die Arbeit macht großen Spaß“, sagt er. Dafür lohne sich die vierstündige Autofahrt jedes Wochenende. Seine Frau kennt das längst: Vor Görlitz pendelte Hoffmann nach Jena und Potsdam.

Am 1. Januar 2010 fusionierte die Barmer mit der Gmünder Ersatzkasse und nennt sich seitdem Barmer GEK. An der Görlitzer Basis wurde dabei nicht gerüttelt, denn sonst wäre die Barmer insgesamt schlagartig weitere sechs Jahre älter: Die Gmünder gründete sich bereits 1878.

Das für 2014 veranschlagte Haushaltsvolumen beträgt in der Barmer GEK Krankenversicherung 25,9 Milliarden Euro; weitere 2,9 Milliarden entfallen auf die Barmer GEK Pflegeversicherung. Größte Ausgabenposten dabei sind die Krankenhäuser mit 8,6 Milliarden, ärztliche Leistungen mit etwa 4,9 Milliarden sowie Arzneimittel mit rund 4,6 Milliarden Euro. Die Beiträge indes werden seit Januar 2009 vom Gesetzgeber einheitlich vorgegeben.

Dass ganz im Osten Deutschlands die Barmer gut punktet, erfuhr der neue Chef auch aus einer repräsentativen Befragung unter den Kunden der Görlitzer Regionalgeschäftsstelle. 90 Prozent der Befragten sind demnach mit ihrer Krankenkasse zufrieden und würden sich auch wieder für die Barmer GEK entscheiden. Damit liegt die Görlitzer unter allen Barmer-Regionalgeschäftsstellen bundesweit auf Platz vier in der Kundenzufriedenheit. Gäbe es ein besseres Geburtstagsgeschenk?