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Grenzen für Dresdens Biotechnologie

Die Wissenschaftler arbeiten so erfolgreich wie nie. Trotzdem schaffen es nur Wenige, damit auch Geld zu verdienen. Das liegt auch am Platz.

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© Sven Ellger

Von Lars Radau

Der Vergleich mit David und Goliath behagt Martin Jung offenkundig nicht. Die Augen des Managers des Dresdner Unternehmens Biotype Diagnostic blitzen hinter seiner runden Brille. Er würde, wenn überhaupt, zum Bild vom kleinen Schnellboot und dem großen Tanker greifen. Das Schnellboot hat seinen Heimathafen in der ehemaligen Manufaktur der Deutschen Werkstätten Hellerau, eine Besatzung von gut 35 Mitarbeitern und einen Jahresumsatz im mittleren einstelligen Millionenbereich. Der Tanker, der weltweit tätige Pharma- und Diagnostikhersteller Qiagen, dagegen hat mehrere Tausend Mitarbeiter, rund eine halbe Million Kunden in aller Welt und bringt es beim Umsatz auf deutlich mehr als eine Milliarde Euro – das allerdings auch mithilfe von Biotype.

Der 1999 gegründete Spezialist für genetische Test- und Diagnostiksysteme hatte Know-how entwickelt, das dem Tanker fehlte. „Qiagen wollte auf den forensischen Markt“, sagt Jung, „und Test-Kits für den sogenannten genetischen Fingerabdruck im Portfolio haben.“ Das ungleiche Paar konnte sich sehr gut helfen. Zum Zeitpunkt der Kontaktaufnahme steckte Biotype wegen eines Patentstreits in einer existenzbedrohenden Klemme. Qiagen bot Hilfe an und man kam ins Geschäft. Schnellboot und Tanker schlossen eine strategische Allianz.

Biotype verkaufte seine Sparte für die forensischen Analysesysteme an Qiagen, konnte aber Hersteller seiner Produkte bleiben und liefert nun an den Konzern, der sie weltweit vertreibt. Damit öffneten sich für die Dresdner nicht nur Türen zu ganz neuen Märkten weltweit, sondern auch zu technologischen Ressourcen, von denen Jung vorher nur träumen konnte. „Wir hätten Jahre und Unmengen von Geld gebraucht, um so weit zu kommen“, sagt der Manager.

Bewusstseinswandel zum Brutkasten

Das ist jetzt gut sechs Jahre her. Die Zusammenarbeit mit Qiagen, sagt Jung, solle künftig eher ausgebaut werden. Doch prinzipiell wolle Biotype etwas anderes. In Kooperation mit Unis, Forschungsinstituten und Kliniken an der Entwicklung immer neuer Tests zur Erbgutanalyse in verschiedenen Bereichen arbeiten, und zwar immer streng anwendungsorientiert. „Wir haben da durchaus einen Bewusstseinswandel hinter uns“, betont Jung.

Vom eher technologielastigen Forschungsunternehmen habe man sich zum flexiblen und innovativen Brutkasten entwickelt, sagt der Manager. In dem das Biotype-Team zusammen mit verschiedenen Abteilungen des Dresdner Uniklinikums etwa Tests für Pilzerkrankungen oder Prostatakrebs ausbrütete. Für deren Vermarktung werden wiederum größere Partner gebraucht. Gleichzeitig ist Biotype mit den Schwesterunternehmen Qualitype und Rotop Pharmaka AG selbst Teil einer kleinen Biodiagnostik-Firmengruppe, die der Biotype-Gründer und Investor Wilhelm Zörgiebel aufgebaut hat.

Für André Hofmann, Geschäftsführer des sächsischen Branchenverbandes Biosaxony, ist die Kooperation von Schnellboot und Tanker ein Musterbeispiel dafür, wie man es machen kann. Viele kleine Biotech-Firmen im Freistaat hätten großes Potenzial, aber noch zu viele Berührungsängste, sich mit großen Partnern einzulassen. Gleichzeitig, sagt Hofmann, gebe es zwar hervorragende junge Wissenschaftler auf dem Fachkräftemarkt aber den meisten fehle jedes Gespür für betriebswirtschaftliche Kosten- und Nutzenrechnung. So entstünden nicht selten im Elfenbeinturm kluge Ideen, die aber wahnsinnig teuer seien und nicht angewandt werden könnten.

Im Klartext: Es hapert nach wie vor daran, aus dem wissenschaftlichen Erfolg ein erfolgreiches Geschäftsmodell zu machen. André Hofmann, der mit seinem Verband 140 Unternehmen und Institute mit über 2 000 Mitarbeitern im Freistaat vertritt, stellte diese Diagnose schon bei seinem Amtsantritt 2013. Ebenso moniert er, dass für eine wirtschaftliche Weiterentwicklung des Biotech-Clusters, das sich rund um das Bioinnovationszentrum (Bioz) am Tatzberg in der Johannstadt befindet, der Platz fehlt. Den gibt es im Stadtteil vor allem für die Wissenschaft, wie das Zentrum für Regenerative Therapien CRTD, das Biotechnologische Zentrum der TU Dresden und das Max-Planck-Institut für molekulare Zellbiologie und Genetik. Dazu entstehen für das auf Nano-Biotechnologie spezialisierte Exzellenzforschungszentrum „B-Cube“ und den Dresdner Standort des „Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen“ derzeit Neubauten. Allerdings auf einer Fläche, die ursprünglich für ein zweites Bioinnovationszentrum, also für die Wirtschaft, vorgesehen war.

Denn das vor 15 Jahren gebaute Bioz, in dem Unternehmen und Forscher gemeinsam an Projekten arbeiten, ist seit Jahren rappelvoll. Für neue aus der Uni oder den Forschungsinstituten ausgegründete Unternehmen fehlen günstige Flächen, ebenso für Firmen, die vom Wissenschaftsverbund profitieren und sich deshalb in der Johannstadt niederlassen wollen. André Hofmann sieht die Stadt in der Pflicht. Große Hoffnung, dass sich an der Situation schnell etwas ändert, hat er nicht.

So bleibt die Kluft zwischen guter Forschung und deren wirtschaftlicher Verwertung in Dresden wohl auch deshalb absehbar weiter groß. „Wir haben hier weitaus mehr tolle Ergebnisse in der Wissenschaft, als die Wirtschaft aufnehmen kann“, sagt Hofmann. Schnellboot-Kommandant Martin Jung kennt da aus eigener Erfahrung Gegenmittel: Es brauche, sagt er, mehr Geld und Leute, um die jungen Gründer zu fördern. Zum Beispiel in einer Technologietransfer-Initiative, die selbstständig nach vermarktungsfähigen Technologien sucht und diese Unternehmen anbietet oder einen Kontakt vermittelt.

Biosaxony-Geschäftsführer André Hofmann hat genau für diesen Zweck schon im vergangenen Jahr die Netzwerk-Konferenz bionection ins Leben gerufen. Der Auftakt sei sehr vielversprechend gewesen, sodass es im Oktober eine zweite Auflage geben wird. Das Ziel: Schnellbooten und Tankern einen Kurzzeit-Ankerplatz zu bieten, an dem sie zueinanderfinden können.