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Gregor Gysi hat Görlitzer Vorfahren

Der Linkspolitiker hat mit Robert Oettel einen berühmten Urahn. In seiner Autobiografie schreibt er über seine Görlitzer Wurzeln.

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© nikolaischmidt.de

Von Sebastian Beutler

Dass Gregor Gysi namhafte Verwandtschaft hat, wusste man spätestens seit 2007. Damals erhielt die britische Schriftstellerin Doris Lessing den Nobelpreis, und bei dieser Gelegenheit ging durch alle Medien, dass sie die Tante von Gregor Gysi war. Doch nun überrascht der langjährige Linkspartei-Politiker in seiner neu auf den Markt gekommenen Autobiografie mit einer weiteren Wurzel seiner Familie. Und die betrifft Görlitz. Er bestätigt so, was die Görlitzer SZ schon vor neun Jahren auf ihrer Heimatgeschichtsseite kurz berichtete.

Ähnlichkeiten? Gregor Gysi...
Ähnlichkeiten? Gregor Gysi... © action press
...mit seinem Görlitzer Urahn Robert Oettel
...mit seinem Görlitzer Urahn Robert Oettel © Ratsarchiv Görlitz

Auf Seite 18 seines zur Frankfurter Buchmesse im Aufbau-Verlag veröffentlichten Buches schreibt Gregor Gysi, dass väterlicherseits Käthe Kienitz seine Urgroßmutter sei. Nun muss niemand Käthe Kienitz kennen, aber Gysi fügt hinzu. „Sie selbst stammt aus Görlitz.“ Und nicht nur das, gleich weiter schreibt der Rechtsanwalt aus Berlin. „Ihr Großvater war Robert Oettel, ein begeisterter Hühnerzüchter“. Oettel, der Säulenheilige der deutschen Hühnerzucht, also der angeheiratete Ur-Ur-Ur-Großvater Gysis? Kann das sein?

Alles dreht sich um einen Spediteur

Die Spurensuche in Görlitz führt auf die Salomonstraße 20 und in das Görlitzer Adressbuch aus den 1910er Jahren. Darin findet sich ein Bahnspediteur August Kienitz, der zusammen mit weiteren Familienangehörigen die bekannte Görlitzer Speditionsfirma von Hermann Kienitz führt. In der Liste der Görlitzer Freimaurerloge wird ein August Philipp Carl Kienitz geführt, geboren am 28. September 1851, gestorben 1914. Und dieser August Kienitz wiederum hielt 1901 die Rede, als zu Ehren von Robert Oettel ein Denkmal am Weinberg errichtet wurde. Kienitz war damals Vorsitzender des Hühnerologischen Vereins, den Robert Oettel gegründet hatte.

Vor allem aber: August Kienitz war der Enkel Oettels. Der Begründer der deutschen Rassegeflügelzucht hatte drei Töchter und einen Sohn, der aber früh verstorben war. Adele Marie Natalie Oettel heiratete Hermann Kienitz. Die beiden hatten nicht nur August Kienitz als Sohn, sondern auch eine Tochter namens Käthe Kienitz, die später, so schreibt es nun Gregor Gysi, Hermann Gysi in Berlin heiratete – den Urgroßvater des Linkspolitikers.

Oettel entstammte einer angesehenen Görlitzer Kaufmannsfamilie und wurde am 23. November 1798 in seinem Vaterhaus am Untermarkt geboren. Dort erinnert heute noch eine Tafel an ihn, das Haus selbst ist vor einigen Jahren vom Partec-Firmengründer Wolfgang Göhde spektakulär saniert worden. Oettel jedenfalls ging zur Lehre nach Dresden, lebte später in Frankfurt/Main, wo er auch seine Frau kennenlernte. Nach seiner Rückkehr nach Görlitz führte er gemeinsam mit seinem Bruder das 1406 gegründete väterliche Handelsgeschäft unter dem Namen Gebrüder Oettel fort. Oettel war begabt, sprachtalentiert, aufgeweckt, strebsam und 44 Jahre lang Stadtverordneter in Görlitz.

Schon frühzeitig beschäftigte er sich aus Liebhaberei mit der Gefügelzucht. Schließlich gründete er mit Gleichgesinnten am 18. Oktober 1852 den „Hühnerologischen Verein“ – den ersten Geflügelverein in Deutschland. Schon im dritten Jahr nach seiner Gründung soll der anfangs belächelte Verein 600 Mitglieder aus allen Gegenden Deutschlands gezählt haben. Aus diesem Görlitzer Verein gingen schließlich alle Rassegeflügelvereine Deutschlands hervor – sie gehen ihrem Hobby heute noch nach Oettels Devise „Züchtet rein und züchtet echt“ nach. Unter Oettel wurden zahlreiche Hühnerarten nach Deutschland eingeführt und durch eine Zucht etabliert – so die Elefantenhühner, Brabanter in Schwarz und gesperbert. Als Oettel am 14. März 1884 starb, hatte sich die Geflügelzucht über das Land verbreitet.

Gregor Gysi beschreibt Oettels Leben nur kurz. Was ihn aber wirklich fasziniert, ist die Geschichte des Denkmals. Neben dem Konterfei Oettels ziert auch ein Hahn den rohen Granitblock. Sowohl die Tafel als auch den Hahn – beides aus Bronze – stahlen die Nazis, schreibt Gysi. Doch ein Geflügelzüchter fand wenigstens die Tafel nach 1945, die Nazis hatten sie offensichtlich doch nicht eingeschmolzen. „So gab es 1952 eine erneute Einweihung in Görlitz, zum 100. Jahrestag des ,Hühnerologischen Vereins’, der damals noch von den Geflügelzüchtern aus ganz Deutschland begangen und gefeiert wurde.“ Der Hahn kam aber erst nach der Wiedereinweihung auf Veranlassung des „Bundes deutscher Rassegeflügelzüchter“ auf das Denkmal zurück.

Gysi kommt nach Görlitz

Gysi zitiert bei der Gelegenheit Oettels Ausspruch, von dem sich seine Nachfahren bei der Denkmalgestaltung leiten ließen: „Auf mein Grab müsst Ihr mir setzen einen schönen stolzen Hahn. Kräht er, wird es mich ergötzen, auch wenn ich’s nicht hören kann.“ Wie schreibt Gysi schließlich: „Wieder und wieder staune ich, was für seltsame, eigenwillige Vorfahren ich doch habe.“ Obwohl Gysi schon des Öfteren in Görlitz weilte, so vertraute er der Süddeutschen Zeitung an, hat er noch nie das Denkmal seines Urahns aufgesucht. Doch dafür ist es nie zu spät. Die nächste Gelegenheit bietet sich bereits am 16. März. Dann stellt Gysi seine Autobiografie in der Kulturbrauerei vor. Da müsste doch ein Abstecher in die, nur einen Steinwurf entfernte Anlage nahe der Parkeisenbahn drin sein.