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Grabsteine verschwunden

Im russischen Ehrenhain an der Öhringer Straße ist vieles verschwunden und vergessen. Das soll sich nun ändern.

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© Repro/ Flugplatzausstellung„Bunker GRANIT

Von Birgit Ulbricht

Großenhain. Selbst mancher Großenhainer kennt den Ehrenhain an der Öhringer schon nicht mehr. Bestenfalls fällt vielen der markante Torbogen auf. Doch wer ist in den letzten Jahren einmal am Friedhof „Am Michaelisheim“ gewesen? Wer sich die Mühe macht, staunt über den Obelisken. Die wenigen Grabmale, die noch vorhanden sind, erzählen wenig über die Menschen, die hier ruhen. Waren es Kriegstote oder Angehörige der Besatzungsmacht, die nach `45 ums Leben kamen? Und wenn das so war, was ist ihnen passiert, zumal etliche von ihnen ziemlich jung waren? Fragen über Fragen auf die Marcel Reichel auch gern Antworten hätte. Der Großenhainer führt das Museum „Flugplatzausstellung“ im Bunker und recherchiert seit Jahren alles aus dem Leben und Sterben der Sowjets in Großenhain. Ob als Kriegsgefangene aus Mühlberg oder vom Barackenlager an der Hohe Straße oder später dann als Wehrpflichtige vom Flugplatz, Offizierfamilien und Zivilangestellte. Nie sind in den Toten-Listen Vorname, Name, Dienstgrad, Todestag und Todesursache komplett. „Manchmal sind beim Übersetzen der Listen auch Fehler passiert, so dass die Zuordnung schwierig wird“, erzählt Reichel.

Eine neue Datenbank soll jetzt die Suche für jedermann erlauben und den Toten endlich Namen und Gesichter geben. Auch denen, die nach 1945 verstarben.
Eine neue Datenbank soll jetzt die Suche für jedermann erlauben und den Toten endlich Namen und Gesichter geben. Auch denen, die nach 1945 verstarben. © privat

Das weit größere Problem ist allerdings die Aufarbeitung von Geschichte. Auch heute über 70 Jahre nach Kriegsende und der Öffnung einiger Archive, gibt es keine Auskunft zu Todesursachen von russischer Seite. „Wir fragen auch nicht explizit danach“, sagt Reichel und beschreibt mit dieser vorsichtigen Formulierung den schwierigen Umgang mit Geschichte. Und der beginnt immer wieder im Alltag.

Nur wenige Tage nach dem diesjährigen Volkstrauertag erinnerten so am 16. November Jugendliche und einige Familienangehörige zusammen mit Ronny Winkler vom Sächsischen Verband für Jugendarbeit und Jugendweihe e.V., Anton Ermakov, Vizekonsul am Generalkonsulat der Russischen Föderation in Leipzig sowie zwei Vertretern der Gedenkstätte Ehrenhain Zeithain auf dem Ehrenfriedhof an der Öhringer Straße an die namenlos in Massengräbern bestatteten sowjetischen Kriegsgefangenen, die 1941 bis 1945 verstorben sind. Im Rahmen des Jugendprojektes wurden kleine Fahnen mit den Namen und wo vorhanden, Abbildungen der Toten erstellt, die auf den Grabflächen gesteckt wurden. Die Fähnchen wurden symbolisch verteilt auf mehrere Grabsteine, auf denen lediglich vermerkt ist, wie viele Tote in dem jeweiligen Massengrab beerdigt sind. Die Namen der Verstorbenen waren bisher dort nicht verzeichnet, die persönlichen Schicksale erstmals durch die Namensfahnen verdeutlicht wurden.

Exemplarisch wurden die Lebensläufe von Afanasi Kozhushko und Peter Ivanovic Shevkoplyas durch Nora Manukjan von der Gedenkstätte „Ehrenhain Zeithain“ vorgestellt. Beide Gefangene, die auf dem Fliegerhorst Großenhain bzw. im Stahlwerk Gröditz arbeiten mussten, sind an den Folgen der Lebensbedingungen in der Gefangenschaft verstorben. Allerdings sind die meisten, die hier in Großenhain begraben wurden, nach Wissen von Marcel Reichel, nach 1945 gestorben. 328 Personen liegen hier, darunter 28 Offiziere, 87 meist junge Soldaten, fünf Frauen, fünf Kinder und 203 unbekannte Armeeangehörige. Es gibt 58 Einzel und 38 Sammelgräber. „Wir haben lange miteinander telefoniert“, so Reichel über sein Gespräch mit Jens Nagel , dem Gedenkstättenleiter in Zeithain. Zusammen wollen sie ab nächstem Jahr einiges aufarbeiten. Denn klar geworden ist durch die Gedenkveranstaltung auch: Großenhain ist etwas in Vergessenheit geraten.

Der Ehrenhain gehört aber wie Zeithain zur Stiftung Sächsische Gedenkstätten. Deren jährlicher Betrag für Zeithain liegt bei 190 000 Euro. Die Gemeinde erhält jährlich vom Bund dazu 118 000 Euro Pflegepauschale für die auf Ihrem Gebiet befindlichen fünf großen Kriegsgräberstätten. Zeithain ist damit der größte Empfänger von Kriegsgräberpflegemitteln in Sachsen. Diese Mittel stellt der Bund zur Verfügung und die Bundesländer verteilen diese Gelder auf die Kommunen. Es gibt aber keine jährliche Abrechnung oder Nachweisüberprüfung. Die jährliche Pflegepauschale für alle Großenhainer Kriegsgräber beträgt 7300 Euro. Einmalig als Projekt hat die Stadt dieses Jahr 11 400 Euro für die Instandsetzung des Ehrenmals und der Grabsteine und für das Anfertigen von Namensplatten für vier Gefallene erhalten, die mit hoher Wahrscheinlichkeit auf dem sowjetischen Soldatenfriedhof in der Öhringer Straße in Großenhain bestattet sind.