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Goldene Worte in Görlitz

Schätze des Görlitzer Ratsarchivs: Wichtige Gäste stehen im Goldenen Buch. Vor 60 Jahren wurde das erste Exemplar angelegt.

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© Ralph Schermann

Von Ralph Schermann

Das Goldene Buch ist gar nicht aus Gold. Dafür sind die Einträge Gold wert. Denn sie dokumentieren, wen die Stadt besonders willkommen hieß. Heute sind das viele. Immer öfter legt der Oberbürgermeister einem Gast die Kladde vor. Früher war die Auswahl viel strenger. Am strengsten war wohl der Umgang mit dem ersten Görlitzer Goldenen Buch. Denn da schrieb niemand etwas hinein. Offiziell vorgestellt wurde das Blattwerk am 21. Oktober 1936. Es ist verschollen. „Wir haben dieses Buch nie gefunden“, sagt Ratsarchivar Siegfried Hoche. Er glaubt, dass es leer blieb und 1945 in den Wirren der ersten neuen Stadtverwaltung „entsorgt“ wurde.

Die wirklich wichtigen Autogramme gab man damals noch in andere Gästebücher, und die sind gut erhalten. Hier finden sich Sänger, Dirigenten, Maler. Gerhart Hauptmann und der Maler Avenarius signierten Einträge zur Erstaufführung von „Iphigenie in Delphi“, der Maler Otto Engelhard-Kyffhäuser durfte sich aus Anlaß seines 60. Geburtstages am 5. Januar 1944 eintragen.

Das erste Goldene Buch, das die Stadtchronik vor 60 Jahren offiziell verkündete, wurde allerdings noch früher geschaffen. Wie es etwa aussah, ist im Bericht des Hauptamtes im Verwaltungsbericht 1933 bis 1937 beschrieben: „Seit 1934 besitzt die Stadt ein Goldenes Buch. Es ist ein von einheimischen Kunsthandwerkern gestaltetes würdiges Gastbuch, das in einer Kassette aus Kirschbaumholz im Hauptbüro verwahrt wird.“ Weder Presse noch Chronisten berichteten indes über jemals zur Unterschrift gebetene hochrangige Gäste. Dabei legte das Rathaus schon immer Wert auf besondere Namenszüge. Im Archiv finden sich Briefe des preußischen Königs Friedrich Wilhelm IV., Dankschreiben des Grafen Moltke für die verliehene Ehrenbürgerschaft und manche Unterschrift mehr. Mit einem Goldenen Buch wollte Görlitz anderen großen Städten nicht nachstehen, die nach und nach alle Goldene Bücher einführten – bis auf Essen. In der „Stahlstadt“ hielt man Gold für fehl am Platz, fertigte den Buchdeckel aus Kruppstahl und nannte das Blattwerk dann „Essener Stahlbuch“. Doch ob Stahl oder Gold: In Görlitz blieb das Buch unbeachtet.

Das war auch in der Sowjetischen Besatzungszeit und am Anfang der DDR so. Selbst Staatspräsident Wilhelm Pieck schrieb bei seinem Besuch 1950 seinen Wunsch um „die Einheit unseres Vaterlandes“ nur auf ein Blatt Büropapier, das dann erst viel später einem neuen Goldenen Buch beigelegt wurde. Das entstand 1961 nach dem Mauerbau. Etwas größer als A 4, trägt es ein goldenes Wappen auf dem Deckel, hat aber kein Titelblatt. Einleitungslos beginnen ein unbekannter polnischer Parteiarbeiter und Kurt Prenzel, Nachkriegsbürgermeister und späterer DDR-Botschafter in Albanien, mit den Einträgen. Dann verewigten sich mehrere Teilnehmer des Christlichen Arbeitskreises im SED- und regierungsnahen DDR-Friedensrat, der im November 1961 in Görlitz einen Theologentag abhielt. Hans Seigewasser, Staatssekretär für Kirchenfragen, schrieb ins Buch: „Görlitz ist zu einem Beispiel für Frieden und Freundschaft geworden.“

Bis 1989 wurde das Goldene Buch geführt, das trotz des verschollenen Vorgängers als Band Nummer 1 bezeichnet wird. Das Almanach liegt im Ratsarchiv, während der 1990 begonnene Band Nummer 2 noch für weitere Nutzung im OB-Büro aufbewahrt wird. Die DDR-Sammlung enthält 61 Einträge, die ab 1982 allerdings immer rarer werden, warum auch immer. Komplett fehlen Menschen, um die man sich heute für Einträge reißt – Künstler. Trotz Namen wie Erwin Geschonneck, Wolf Kaiser, Inge Keller oder auch Sergeij Gerassimow findet sich kein Filmschaffender im Görlitzer Goldenen Buch. Star-Rummel war damals noch kein Thema. Selbst bedeutende Sportler fehlen in dem Buch, lediglich Schwimm-Olympiasiegerin Ulrike Richter bekam ein paar Zeilen eingeräumt. Ansonsten verewigten sich zahlreiche Konsuln, Botschafter, Delegationen aus Partnerstädten, Kapitän Thorsten Friedrich vom Patenschiff „Görlitz“, und besonders viele Gäste der 900-Jahr-Feier 1971.

Sogar arabische Schriftzeichen finden sich, weil 1972 die arabisch-deutsche Freundschaftsgesellschaft Görlitz besuchte. Irma Gabel-Thälmann hinterließ ihren Schriftzug ebenso wie Delegationen aus der Sowjetunion, Polen und Tschechien oder eine DKP-Gruppe aus Württemberg. Während DDR-Regierungschef Willi Stoph 1981 einen vorgedruckten Spruch unterschrieb, ließ es sich Volkskammer-Präsident Horst Sindermann 1983 nicht nehmen, sich wie die meisten Buchgäste handschriftlich zu verewigen: „Görlitz hat durch den Vertrag über die Oder-Neiße-Friedensgrenze ein bedeutsames Kapitel seiner Geschichte hinzugefügt.“ Der letzte Eintrag stammt vom 24. Januar 1989 und lautet: „Görlitz ist eine Stadt voll Geschichten und Schönheiten.“ Enrique Moret notierte das, Botschafter Kubas in der DDR. Überhaupt finden sich unter den 61 Autogrammen des Buches eine stattliche Reihe kubanischer Gäste.

Im aktuellen Buch geht es rasanter zu. Vor allem Filmleuten werden gern Einträge angeboten. Schwerer freilich wiegen die Worte, die bedeutende Politiker finden. Alle Bundespräsidenten seit 1990 haben sich im Görlitzer Goldenen Buch verewigt, hochrangige Staatsvertreter aus den USA und einer Reihe europäischer Länder. Kanzlerin Angela Merkel notierte 1992 sogar ähnlich wie Horst Sindermann: „Görlitz/Zgorzelec haben mit ihrem Städtepartnerschaftsvertrag ein Zeichen für die Verständigung zwischen Deutschen und Polen gesetzt.“ Und 1993 blickte der sächsische Kultusminister Friedbert Groß beim Tag der Sachsen sogar voraus: „Ich bin überzeugt, Görlitz wird eine der schönsten Städte in der Bundesrepublik.“

Mehr dazu erzählt Ratsarchivar Siegfried Hoche in der Veranstaltung „Schätze des Ratsarchivs“ am 15. November, 17 Uhr, im Rathaus Untermarkt. Er stellt dabei auch die Autografensammlung des Archivs vor, die zahlreiche Unterschriften bedeutender Persönlichkeiten enthält.