Merken

Görlitzer Schätze wandern nach Dresden

Die Staatlichen Kunstsammlungen eröffnen eine große Jakob-Böhme-Ausstellung. Wichtige Exponate stammen aus der Oberlausitzischen Bibliothek.

Teilen
Folgen
© Pawel Sosnowski/80studio.net

Von Ines Eifler

Görlitz/Dresden. Das kleine Buch in den Händen von Matthias Wenzel gehört zu einem großen Schatz. Zum einen ist es Teil jener wichtigen, 1730 herausgegebenen Gesamtausgabe der Werke Jakob Böhmes, mit der Wissenschaftler bis heute arbeiten, weil noch keine aktuelle kritische Edition existiert. Vor allem aber ist das Buch Teil der weltweit größten, bedeutendsten und umfangreichsten Sammlung von Werken Jakob Böhmes und über ihn. Diese befindet sich in der Oberlausitzischen Bibliothek der Wissenschaften (OLB) in Görlitz. Sie enthält über 3 000 Werke von Originalausgaben aus dem 17. Jahrhundert bis hin zu CDs mit Kompositionen auf Böhme-Zitate. „Manchmal gerät es etwas aus dem Blick, wie bedeutend unsere Sammlung ist“, sagt Matthias Wenzel, Leiter der Bibliothek. Manchmal muss erst jemand von außen kommen und sich dafür interessieren.

Zum Beispiel die Staatlichen Kunstsammlungen, genauer: die Wissenschaftlerinnen Lucinda Martin aus den USA und Cecilia Muratori aus Italien, die sich an Matthias Wenzel wandten und ihn nach wichtigen Werken des Mystikers fragten. Die beiden Jakob-Böhme-Expertinnen wirken an der großen Ausstellung mit, die am Wochenende in der Schlosskapelle des Dresdner Residenzschlosses eröffnet wird. „Alles in allem“ lautet der Titel, „Die Gedankenwelt des mystischen Philosophen Jacob Böhme“ der Untertitel. Es ist die Ausstellung, die ab November von Dresden aus wandern und am Ende, frühestens 2020, in Görlitz ankommen soll, als Basisausstellung für das geplante Jakob-Böhme-Zentrum in der Dreifaltigkeitskirche.

Etwa 20 Bände steuert die OLB zu dieser Dresdner Ausstellung bei. Zu den Leihgaben an die Staatlichen Kunstsammlungen gehören die deutsche Erstausgabe des Gesamtwerks von 1682, zwei weitere wichtige Gesamtausgaben aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts sowie eine aufwendig gebundene Übersetzung ins Französische von 1722. Ebenso das „Urteil des Gregor Richter“, die Schrift von Böhmes Widersacher. Und ein Plagiat wird in Dresden ausgestellt, ein Buch des Böhme-Zeitgenossen Paul Nagel, der Teile der „Aurora“ noch vor deren Ersterscheinung in seinen Text einarbeitete, also vermutlich das Manuskript oder eine Abschrift kannte.

Dass die OLB über die größte Böhme-Sammlung verfügt, liegt nicht allein daran, dass Jakob Böhme hier lebte und starb. Seine Handschriften wanderten nach seinem Tod 1624 in die damals aufgeklärteren und toleranteren Niederlande. Später gingen sie in den Besitz der „Engelsbrüder“ über, einer kirchenkritischen, radikal pietistischen Gruppierung, die sich an Böhmes Gedanken orientierte. „Bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts war unklar, wo sich Böhmes Handschriften überhaupt befinden“, erzählt Matthias Wenzel, der sich mit dem Weg der Böhme-Schriften intensiv beschäftigt hat. Ein Bibliothekar aus Göttingen habe die Handschriften und eine umfangreiche Sammlung von Böhmes Werken in Linz am Rhein, einem Ort der Engelsbrüder, ausfindig gemacht. Nach 1933 wurde diese Sammlung von den Nationalsozialisten im Zuge des Verbots okkultistischer Aktivitäten beschlagnahmt und im Berliner Reichssicherheitshauptamt aufbewahrt. Um die Schriften vor Fliegerangriffen zu schützen, wurden sie 1944 nach Görlitz und Breslau gebracht. Das „Linzer Archiv“, wie Wenzel diese Sammlung nannte, ist heute gut aufgearbeitet, aber noch immer zweigeteilt. Zum Görlitzer Bestand zählen unter anderem 12000 Briefe der Engelsbrüder. Neben dem Linzer Archiv hat die OLB inzwischen weitere Werke zusammengetragen. „Wir sammeln alles, was mit Böhme zu tun hat“, sagt Matthias Wenzel.

Doch nicht nur Jakob Böhme ist interessant für Museen und Ausstellungskuratoren, um Werke aus der OLB zu leihen und zu zeigen. Etwa fünfmal im Jahr erhält Matthias Wenzel Anfragen zu Bücherleihgaben für Ausstellungen. In den Museen von Kamenz, Zittau und Bautzen waren in diesem Jahr bereits Werke zu Luther und der Reformation zu sehen. „Schließlich bewahren wir bei uns viele Flugschriften aus der Reformationszeit auf“, sagt Wenzel. Die prominenteste Leihgabe aber bringt der Bibliotheksleiter demnächst eigenhändig nach Minsk. Ab dem 14. September ist dort eine Ausstellung über 500 Jahre Buchdruck in Weißrussland zu sehen. In deren Rahmen soll auch die Skaryna-Bibel gezeigt werden. Diese erste in weißrussischer Sprache gedruckte Bibel aus den Jahren 1517 bis 1519 wurde vor einigen Jahren in der OLB entdeckt und damals in Minsk als Sensation gefeiert. Die bedeutendsten Werke Jakob Böhmes sind im Dresdener Residenzschloss ab diesem Sonnabend zu sehen.

„Alles in allem“, Ausstellung in der Kapelle des Dresdner Residenzschlosses, Taschenberg 2, 26. 8 bis 19. 11. 2017