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„Görlitz war nahe dran an der Autobahn“

Historiker Bertram Kurze belegt, dass nicht nur die A 4 durch die Oberlausitz führte. Auch der Süden sollte profitieren.

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© André Schulze

Von Steffen Gerhardt

Die Forschungen zum Bau der Reichsautobahnen in Mitteldeutschland führen den Architekturhistoriker Bertram Kurze bis nach Niesky. Nach seinem Vortrag im Oktober des Vorjahres war er dieser Tage erneut Gast in Niesky. Die SZ sprach mit dem Erfurter darüber, welche Neuigkeiten er in der geschichtlichen Aufarbeitung hat.

Die Karte von 1939 zeigt die ehrgeizigen Pläne, das Deutsche Reich mit Autobahnen zu vernetzen. Bis dahin waren rund 3000 Kilometer bereits befahrbar (schwarze Linien). Rot gekennzeichnet ist die Oder-Autobahn. Sie sollte Stettin mit Reichenberg verbinden
Die Karte von 1939 zeigt die ehrgeizigen Pläne, das Deutsche Reich mit Autobahnen zu vernetzen. Bis dahin waren rund 3000 Kilometer bereits befahrbar (schwarze Linien). Rot gekennzeichnet ist die Oder-Autobahn. Sie sollte Stettin mit Reichenberg verbinden © Karte: Archiv / Bertram Kurze

Herr Kurze, bei Ihrem Besuch vor gut einem Jahr gaben sie den Nieskyern Hausaufgaben auf. Sind diese erfüllt?

Bertram Kurze: Ja, sie haben meine Forschungen ein gutes Stück weitergebracht. Ich hatte das Publikum gefragt, ob nicht noch irgendwo Fotos, Dokumente oder Karten existieren, die den Bau der Reichsautobahn in der Oberlausitz dokumentieren. Und davon habe ich einiges erhalten, wofür ich mich noch einmal bedanken möchte. Gleichzeitig bin ich offen für weiteres Material.

Vermutungen, Spekulationen und Legenden gibt es einige zum Straßenbau in den 1930er und 1940er Jahren. Aber Sie beteiligen sich nicht daran, sondern setzen auf nachweisbare Fakten.

Kurze: Ich nähere mich dem Thema wissenschaftlich. Dabei gilt mein Interesse dem gesamten Autobahnbau in Mitteldeutschland. Denn bisher gab es nur Einzelforschungen über bestimmte Streckenabschnitte. Mit meiner Arbeit will ich die Gesamtzusammenhänge darstellen. Dabei helfen mir die Zuarbeiten, wie ich sie von den Leuten aus und um Niesky bekomme. Das sind Dokumente, die etwas beweisen können.

Mit ihrer akribischen Arbeit haben Sie die Legende um die „Straßen des Führers“ widerlegt, dass diese bevorzugt militärstrategischen Zwecken dienten.

Kurze: Die Fahrbahnen waren nie für den Transport von schwerem Kriegsgerät ausgelegt. Außerdem wurden die Trassen nicht gezielt auf ausländische Angriffsziele, wie Polen beispielsweise, geplant und gebaut. Vielmehr lag ein Schwerpunkt im Schaffen von Nord-Süd-Verbindungen im Deutschen Reich, von denen auch die Städte Niesky, Görlitz und Zittau profitieren sollten.

Aber der Krieg verhinderte den Bau einer schnellen Autobahnverbindung in die Oberlausitz.

Kurze: Mit der Oder-Autobahn, die von Stettin bis nach Reichenberg führen sollte, wollte man die Oberlausitz anbinden und damit auch eine schnelle Zufahrt zur heutigen A 4 schaffen. Besonders die Unternehmer aus dem Raum Zittau und Reichenberg machten sich damals aus wirtschaftlichen Gründen stark und forderten bessere Verkehrswege. Dabei sollte die Trasse östlich an Niesky vorbeiführen. Das sagen die damaligen Planungen aus. Dazu gehört auch, dass Oberrengersdorf das dritte Autobahnkreuz in Form eines Kleeblattes nach dem Schkeuditzer und Hermsdorfer Kreuz in Mitteldeutschland erhalten sollte. Außerdem habe ich Belege darüber, dass für den Abschnitt Görlitz – Reichenberg 78 Brückenbauwerke vorgesehen waren und es drei untersuchte Varianten gab, wie die Autobahn an Zittau vorbeiführen könnte. Favorisiert wurde die nahe Trasse durch die Weinau. Belegt ist auch, dass am 19. April 1939 der erste Spatenstich bei Reichenberg für den Autobahnbau erfolgte. Vom Februar 1939 bis Sommer 1940 hatte eine Unterabteilung der Oberbauleitung Dresden in Reichenberg ihren Sitz.

Wie weit ist man damals mit den Arbeiten im Nieskyer Raum gekommen?

Kurze: Über Rodungen, Erdarbeiten und das Aufschütten von Dämmen sind die Bauleute nicht hinausgekommen. Wer aufmerksam durch die Wälder bei Priebus, Werdeck und Tränke läuft, erkennt noch heute, wo die Trasse entlangführen sollte. Mir wurde berichtet, dass in Steinbach und Uhsmannsdorf Baracken für die Arbeiter aufgestellt wurden. Inzwischen habe ich Erkenntnisse, dass die vorbereitenden Arbeiten zum Autobahnbau bis südöstlich von Hähnichen vorangetrieben wurden.

Und Niesky, wie sollte die Stadt in das Autobahnnetz eingebunden werden?

Kurze: An der Oder-Autobahn sollte in Höhe Ödernitz die Anschlussstelle für Niesky gebaut werden. Dazu erfolgte am 24. April 1939 eine Anhörung. Über die damalige Reichsstraße 115 ist Niesky erreichbar gewesen. Dabei zeigte sich der Bahnübergang in Niesky als Problem für die Verkehrsführung weiter nördlich. Aber auch der Zinzendorfplatz war mit seinen beiden Kreuzungen ein Unfallschwerpunkt. Deshalb wurde auf politischer Ebene entschieden, die R 115 westlich um Niesky zu führen. Dem folgte ein Aufschrei der Nieskyer. Schließlich lebten von dem Durchgangsverkehr sechs Tankstellen in der Stadt, die im Jahr einen Umsatz von 100 000 Reichsmark machten. Aber gegen diese Entscheidung blieb das Nieskyer Rathaus machtlos.

Dafür verdiente ein Nieskyer Unternehmen sehr gut am Autobahnbau.

Kurze: Die Firma Christoph & Unmack hatte bereits 1926 die Eisenbeton- und Tiefbaugesellschaft gegründet – in Erwartung des gigantischen Autobahnbaus. Dieses Unternehmen bekam die Aufträge für die großen Bauwerke wie beispielsweise die Spreetalbrücke bei Bautzen, die Chemnitztalbrücke oder die Neißebrücke in Ludwigsdorf. Aber auch die Lausitzer Granitsteinbrüche verdienten an den Brücken, da sie mit Lausitzer Granit verblendet wurden. Schöne Beispiele sind die Hirschfeldtalbrücke und die Muldentalbrücke.

Das alles haben Sie detailliert in einem Buch niedergeschrieben.

Kurze: Unter dem Titel „Reichsautobahnen in Mitteldeutschland“ ist ein grundlegendes Werk zur Geschichte des Autobahnbaus entstanden. Das Buch haben wir vor zwei Jahren herausgegeben. Inzwischen hat sich weiteres Material angesammelt, das ein zweites Buch füllen wird. Auch was die Bauaktivitäten im Nieskyer Raum betrifft. www.reichsautobahnen-in-mitteldeutschland.de