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Görlitz rettete die Hochschule

Seit 25 Jahren gibt es die Hochschule Zittau/Görlitz. Sie hat einige Bewährungsproben bestehen müssen. Doch neue Studiengänge schärfen das Profil.

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© Nikolai Schmidt

Von Jan Lange

Görlitz/Zittau. Vor einem Vierteljahrhundert ist Sachsens Bildungslandschaft grundlegend umgestaltet worden. Im Freistaat gründeten sich fünf Fachhochschulen, darunter jene in Zittau und Görlitz. Dieser Tage wurde das 25-jährige Bestehen auf dem Zittauer Campus gefeiert – mit einer Festveranstaltung und einem Sommerfest. Rektor Professor Friedrich Albrecht und Festredner Professor Wolfgang Böhmer, Ex-Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, warfen dabei auch einen Blick auf die vergangenen Jahre. Rück-, Ein- und Ausblicke gibt auch die SZ in diesem Beitrag.

Die gegenseitigen Kontakte zur regionalen Wirtschaft sind der Hochschule besonders wichtig. Hier besuchten Wirtschaftsingenieur-Studenten das Siemens-Werk in Görlitz.
Die gegenseitigen Kontakte zur regionalen Wirtschaft sind der Hochschule besonders wichtig. Hier besuchten Wirtschaftsingenieur-Studenten das Siemens-Werk in Görlitz. © Nikolai Schmidt
Prof. Peter Dierich, Rektor von 1992 bis 2000.
Prof. Peter Dierich, Rektor von 1992 bis 2000.
Prof. Friedrich Albrecht, Rektor seit 2010
Prof. Friedrich Albrecht, Rektor seit 2010

1990er Jahre: Ein zukunftsfähiges Profil muss aufgebaut werden

Ziel verfehlt – so lautete das Resümee 1992, nachdem sich die ersten Studenten an der neugegründeten Hochschule Zittau/Görlitz immatrikuliert hatten. Nur 192 junge Menschen wollten ein Studium beginnen, 800 sollten es sein. „Die Studiengänge entsprachen aus unserer Sicht nicht den damaligen Notwendigkeiten“, blickt Professor Peter Dierich, der seinerzeit die Hochschule leitete, zurück. Das von oben verordnete Profil war nicht zukunftsfähig, steht für die Hochschulleitung fest. Viele der Zittauer Fächer werden auch an anderen Fachhochschulen angeboten. Und warum sollten die jungen Menschen in den südöstlichsten Zipfel des Freistaates gehen, wenn sie auch in günstiger gelegenen Städten wie Zwickau oder Mittweida studieren können?

Für den Gründungsrektor stand fest, dass ein eigenständiges Profil aufgebaut werden muss, um den weiteren Bestand der Hochschule zu sichern. Ziel war ein inhaltlich breites Studienangebot. Eine Idee, erinnert sich Dierich, die vom damaligen sächsischen Wissenschaftsminister Hans Joachim Meyer unterstützt wurde. Der Aufbau der neuen Studieninhalte sollte aber nur mit wenigen Investitionen erfolgen. Eines der ersten neuen Fächer war 1993 die Wirtschaftsmathematik. In den Folgejahren kamen unter anderem Architektur, Ökologie und Umweltschutz sowie Wohnungs- und Immobilienwirtschaft hinzu. Statt anfangs acht Fächern gab es 2000 insgesamt 20. Dass der größere Teil der neuen Studiengänge in Görlitz aufgebaut wurde, habe in Dierichs Augen die gemeinsame Hochschule gerettet. „Es war kein notwendiges Übel, sondern die richtige Entscheidung, Görlitz bei der Neugründung der Hochschule mit ins Boot zu holen“, steht für den heute 75-Jährigen fest.

Die Erweiterung des Studienangebotes wirkte sich positiv aus: Zum Wintersemester 1994/1995 sind über 500 junge Menschen an der Hochschule Zittau/Görlitz immatrikuliert. Drei Jahre später sind es schon 850. Im Senat sei manchmal bis tief in die Nacht diskutiert worden, welcher der beste Weg für die Hochschule sei, sagt Dierich. Eine wichtige Aufgabe war auch die Berufung der neuen Professoren. 130 Stellen hatte die neue Hochschule. Dass es nicht für alle Professuren genügend Bewerber gab, sei ein Glücksumstand gewesen, so Dierich. So hatte man Freiraum, die neuen Inhalte zu kreieren.

2000er Jahre: Hochschule kämpft um jede Personal- und Professorenstelle

Einen Wunsch konnte sich Professor Rainer Hampel während seiner Amtszeit als Rektor nicht mehr erfüllen: Seine letzte Senatssitzung als Chef der Hochschule wollte er im neuen Senatssaal im sanierten Haus 1 abhalten. Der erste Teil von Haus 1 ist jedoch erst 2015 übergeben worden – zu dem Zeitpunkt war Hampel bereits fünf Jahre kein Rektor mehr. Dafür ist in seiner Amtszeit der neue Zittauer Campus eingeweiht worden. Die Planungen für die Gebäude auf dem Gelände der ehemaligen Könitzer-Fabrik haben allerdings schon seine Vorgänger Peter Dierich und Dietmar Reichel angestoßen.

Die Einheit von Lehre und Forschung nach innen und außen sicherzustellen, sei ihm das Wichtigste gewesen, sagt Rainer Hampel. Seine Rektorenzeit war von der Umsetzung des Bologna-Prozesses geprägt. Bachelor- und Masterstudiengänge sind eingeführt worden. Gleichzeitig sollten nicht alle Diplomfächer verschwinden. „Wir haben nach Wegen gesucht, das eine zu tun und das andere nicht zu lassen“, sagt Hampel. Es habe nach seinen Worten berechtigte fachliche Bedenken gegen die Bachelor-Abschlüsse gegeben. Er selbst sei bis heute nicht ganz frei davon. Das Bachelorstudium dauere in Zittau deshalb nicht wie anderswo drei, sondern mindestens dreieinhalb, oft sogar vier Jahre.

Kurz vor dem Ende seiner Amtszeit bestimmte auch die geplante Strukturreform die Diskussionen in der Hochschule. Aus den acht Fachbereichen entstanden sechs Fakultäten. Ursprünglich sollte es nur fünf geben. Doch das Bauwesen sprach sich gegen eine Zusammenlegung mit Maschinenwesen aus. Dass die Fakultät Bauwesen heute nicht mehr existiert, sei auch dieser Verweigerungshaltung geschuldet, meint Hampel. Er sieht darin einen großen Verlust für die Hochschule. Der Stellenabbau war überhaupt ein Thema. 15 Prozent mussten gestrichen werden. „Wir kämpften um jede Personal- und Professorenstelle“, blickt Hampel zurück. Dafür entstanden über eingeworbene Drittmittel neue Stellen. Zwischen 2003 und 2010 erhöhte sich das Forschungsbudget von rund zwei auf gut sechs bis sieben Millionen Euro. Auch das ist ein Erfolg von Rainer Hampel. „Man kann als Rektor alles Mögliche befördern, braucht aber immer engagierte Leute, die die Ideen umsetzen“, sagt er.

2010er Jahre: Demografischer Wandel macht vor der Hochschule nicht halt

Die vergangenen Jahren sind durch sehr große Veränderungen geprägt gewesen. Die Hochschule bekommt mehr Autonomie, dafür spielen Zielvereinbarungen und deren Kennzahlen eine größere Rolle – seien es nun die Studentenzahlen, der Frauenanteil oder die Anzahl der Ausgründungen. Die im Hochschulentwicklungsplan mit dem Wissenschaftsministerium festgelegten Ziele erfüllt die hiesige Einrichtung zum größten Teil. „Einige Ziele haben wir knapp verfehlt“, sagt Rektor Albrecht. So konnte beispielsweise die Studentenquote in Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik – den sogenannten MINT-Fächern – nicht erreicht werden. Albrecht sieht den Grund vor allem in der demografischen Entwicklung. Die Nachfrage nach Studienplätzen sei innerhalb von vier Jahren um 40 Prozent zurückgegangen. Ausgleichen konnte die Hochschule das ein wenig durch mehr ausländische, aber auch berufsbegleitende Studenten.

Das Ende vom Bauwesen hat am Rückgang nur einen geringen Anteil. „In der Summe kostete es uns etwa 170 Studierende“, sagt Albrecht. Der starke Bereich der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft konnte erhalten und bei den Wirtschaftswissenschaften etabliert werden. Gleichzeitig entstanden neue Studiengänge wie Gerontologie – ein Prozess, der nicht abgeschlossen ist. Geplant ist, ab 2020 das Fach Pflegewissenschaften anzubieten.

Die Talsohle bei der Studentenzahl ist laut Rektor durchschritten. Es sind wieder mehr Studenten immatrikuliert. „Sowohl im Maschinenbau als auch in der Elektrotechnik und Informatik haben wir jetzt eine erheblich bessere Auslastung“, so Albrecht. An Höchststände wie 2008 mit 3 705 Studenten wird die Hochschule dabei aber nicht mehr anknüpfen. „Rekorde können und wollen wir nicht mehr brechen. Studentenzahlen sind ja nicht alles. Jetzt geht es mehr um Qualitätsverbesserung der Lehre und Stärkung der Forschung“, betont der Rektor. Bis 2025 soll die Studentenzahl auf 3 200 gesteigert werden – aktuell sind es knapp über 3 000. Die früher stärkere Gewichtung des Standorts Zittau hat sich zugunsten von Görlitz verschoben. „Es pegelt sich bei 50:50 ein“, so Albrecht.