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Görlitz – eine Stadt der Neubürger

Die FAZ berichtet zweimal über die Stadt. Ihr Reporter trifft aber keine Ur-Görlitzer an.

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© nikolaischmidt.de

Von Sebastian Beutler

Als das Hamburger Nachrichtenmagazin „Spiegel“ Ende vergangenen Jahres Görlitz als ein „Potemkin‘sches Dorf oder eine angemalte Totenkiste“ bezeichnete, da schlugen die Wogen der Empörung hoch. Die einen fühlten sich ungerechtfertigterweise als totes Kaff abgestraft, andere hielten die Hamburger Kritik für gar nicht so abwegig. Der Görlitzer Journalist Markus Kremser listete gar auf mehreren Seiten Fehler auf, die er in dem Beitrag entdeckt haben wollte, schickte die Liste an den Presserat, der als Organisation großer Verleger- und Journalistenverbände die Selbstkontrolle der Branche überprüft. Von dort bekam Kremser vor Kurzem Post: Seine Kritik sei „unbegründet“.

Vielleicht liegt es an den verbrauchten Kräften, die in der kurzen Zeit seit Erscheinen des Spiegel-Artikels noch nicht wieder aufgefrischt werden konnten, dass die Görlitzer Volksseele von zwei weiteren Beiträgen in der überregionalen „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ kaum Kenntnis nahm. Auf den ersten Blick fallen sie auch günstiger für Görlitz aus. Der FAZ-Journalist Jan Grossarth ist Autor beider Artikel, die in überraschend schneller Folge in dem Blatt erschienen. Im ersten – Mitte April erschienen – beschreibt Grossarth, wie Görlitz seit einigen Jahren aktive Menschen anzieht und gleichzeitig jeder Vierte wegzieht. Ganz ähnlich klingt der Grundtenor auch in seinem zweiten Beitrag. Er wurde in der Freitagausgabe des Frankfurter Blattes gedruckt. „Görlitz ist fürs Kapital ein gefährliches Pflaster“, schreibt darin Grossarth auf der Immobilienseite. Investitionen in den Immobilienbestand der Stadt seien „hochriskant“, weil sich hier der wirtschaftliche Abschwung „fortzusetzen scheint“. Wie gut, dass es da noch westdeutsche Philanthropen gibt, sprich Menschenfreunde, die ihr Geld in der Stadt anlegen.

Tatsächlich ist Görlitz dankbar für den öffentlichen wie privaten Kapitaltransfer in die Stadt seit der politischen Wende. Wie konnte es auch anders sein, konnten die Görlitzer zu DDR-Zeiten doch selten Vermögen anhäufen. Da war Hilfe von außen überlebensnotwendig für die Stadt. Auch die Neubürger bereichern Görlitz. Aber dass die Ur-Görlitzer nur noch eine Nebenrolle spielen, dürfte der Wirklichkeit nicht gerecht werden. Denn trotz aller Hilfe: Wie sähe denn Görlitz aus, wenn nicht viele Görlitzer seit 1990 ihre Häuser saniert und Tausende Stunden Eigenleistung in die Gebäude gesteckt hätten, wenn sie nicht mittelständische Firmen gegründet und Initiative gezeigt hätten, beispielsweise bei der Gründung des Straßentheaterfestivals Viathea. Wie schon beim Bericht vier Wochen zuvor scheint der FAZ-Reporter Ur-Görlitzer bei seinen Besuchen nicht angetroffen zu haben. In den Leserbriefspalten der FAZ kommen sie dann doch noch vor. Allerdings schreiben sie da nicht selber, sondern es wird über sie geschrieben. Maria-Ilona Schellenberg aus Dresden lobt in derselben Ausgabe die heitere Atmosphäre der Stadt, das lebendige Klima – insbesondere der Altstadt – und die besondere Ausstrahlung, die durch den Wiederaufbau der Stadt gelungen ist. Um anzufügen: „Eventuell sehen alteingesessene Görlitzer ihre bezaubernde Stadt aus einer neuen Perspektive? In Zufallsgesprächen mit Ur-Görlitzern spürte man eine Mischung aus Resignation und Gleichgültigkeit.“ Dann ist ja klar, warum Ur-Görlitzer in den Beiträgen nicht vorkommen. Sie haben einfach zu schlechte Laune ?!