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Görlitz braucht einen dritten Grenzübergang

Der Autobahn-Unfall kürzlich bei Zgorzelec führte zu einem Verkehrschaos in der Stadt. Dabei gibt es schon lange einen Plan für eine Ausweichstrecke zur A 4.

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© A. Stefanczyk

Von Ralph Schermann

Für die Kraftfahrer war der 10. Juli in Görlitz ein schwarzer Tag. Geduld war gefragt, so mancher Fluch an der Tagesordnung. Denn die ohnehin von Baustellen gebeutelte Stadt wurde überflutet von jenem Verkehr, der sonst zwischen Polen und Deutschland auf der Autobahn vorbeigleitet. Dafür gab es zwei Gründe.

Das könnte Görlitz entlasten: Schon in das Gesamtverkehrskonzept 2011 wurde die Verlängerung der Schlesischen Straße mit Neiße-Grenzübergang und Anschlüssen in Zgorzelec an die Henrykowskastraße und die Autobahn als Option für die Zukunft vorgeschlagen.
Das könnte Görlitz entlasten: Schon in das Gesamtverkehrskonzept 2011 wurde die Verlängerung der Schlesischen Straße mit Neiße-Grenzübergang und Anschlüssen in Zgorzelec an die Henrykowskastraße und die Autobahn als Option für die Zukunft vorgeschlagen.

Erstens war da ein schwerer Unfall. An jenem Montag fuhr gegen 1.30 Uhr auf der Autobahn bei Zgorzelec ein 29-jähriger Fahrer mit seinem Lkw samt Sattelauflieger in einen vor ihm stehenden leeren Tankwagen. Der Aufprall war so stark, dass der Tanker auf zwei Autos vor ihm geschoben wurde. Der 29-Jährige starb an der Unfallstelle, ein 52-Jähriger kam ins Krankenhaus. Der zweite Grund: Für so einen Fall fehlen Ausweichmöglichkeiten. Denn die A 4 musste über Stunden gesperrt werden. Es bildeten sich kilometerlange Staus, und auch der gesamte Schwerverkehr suchte nach Schleichwegen über Hagenwerder und die Stadtbrücke, um sich letztendlich doch mitten in Görlitz gegenseitig zu blockieren. Erst am späten Montagnachmittag löste sich das Chaos endlich auf.

Ursachenforschung: Fehlende Flächen zum Lkw-Parken sind mit ein Thema

Herauszufinden, warum Laster auf der Autobahn standen, in die der Sattelschlepper hineinfuhr, ist Sache der polnischen Polizei. Die Ermittlungen dazu dauern noch an. Hinweisen von Lkw-Fahrern zufolge warten allerdings viele auf der polnischen Autobahn das Ende des Sonntagsfahrverbotes in Deutschland ab. Das auf den ersten möglichen Lkw-Parkflächen in Deutschland zu tun, sei in den vergangenen Jahren immer schwieriger geworden, heißt es, weil diese überfüllt seien.

Vom Landesamt für Straßenbau und Verkehr Sachsen (Lasuv) wird diese Einschätzung bestätigt, ist allerdings nicht ganz neu. „In den vergangenen Jahren ist eine deutlich zunehmende Nachfrage an Lkw-Parkplätzen an Bundesautobahnen zu verzeichnen“, sagt Lasuv-Sprecherin Isabel Siebert. Deshalb hat das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) dazu Erhebungen durchgeführt, zuletzt im Jahr 2013. An der ehemaligen Grenzzollanlage Ludwigsdorf sowie auf den Autobahn-Parkplätzen „Wiesaer Forst“ und „Am Wacheberg“ bestanden danach zwar noch einige freie Kapazitäten, alle anderen Rastanlagen an der A 4 zwischen Dresden und der Bundesgrenze zu Polen dagegen waren schon 2013 vollständig ausgelastet. Mehr noch: Sie waren „zum Teil überbelastet“, formuliert Isabel Siebert.

Schlussfolgerung: Ministerium fördert zusätzliche Parkplätze für die Laster

Die erkannte angespannte Lkw-Parkplatzsituation an Autobahnen führte mittlerweile zu einem neuen Rastanlagenkonzept. Das BMVI bereitet damit den Bau zusätzlicher Parkflächen vor. „An der A 4 zwischen Dresden und Polen sind auf Grundlage dieses Konzeptes zusätzlich 88 Lkw-Parkplätze geplant“, informiert die Lasuv-Sprecherin. Dazu sollen die Kapazitäten der bestehenden Parkplätze „Eichelberg“ bei Ottendorf-Okrilla und „Am Rödertal“ bei Ohorn sowie die Rastanlage „Oberlausitz“ bei Bautzen erweitert werden. Derzeit werden die Vorentwürfe dafür aufgestellt. Ziel ist eine Realisierung 2019.

Dass auch weitere Umfahrungen notwendig sind, um bei künftig ähnlichen Unfällen die Görlitzer Innenstadt nicht zusätzlich zu belasten, ist den kommunalen Verkehrsplanern bekannt, aus Geldmangel indes aber zurzeit nicht umsetzbar. „Weitere Brücken über die Neiße würden im Alltag und vor allem in besonderen Fällen Wirkungen zeigen“, sagt Hartmut Wilke, der Leiter des Amtes für Stadtentwicklung. Bereits in der umfangreichen Erarbeitung des Gesamtverkehrskonzeptes 2011 und begleitet von einem unabhängigen Dresdner Verkehrsbüro sowie weiteren Verkehrsexperten ist zum Beispiel eine Neiße-Brücke für alle Verkehrsarten zwischen Autobahn und Stadtbrücke als „zeitnah, jedenfalls kurz- bis mittelfristig notwendig“ eingeschätzt worden. Vorgesehen haben sie die Planer als Verlängerung der Schlesischen Straße, am Klärwerk vorbei direkt zu einem neuen Autobahnanschluss. Im beschlossenen Plan hieß es sogar ganz konkret, „bis 2014 fachliche Kontakte mit Zgorzelec und anderen polnischen Körperschaften zu intensivieren, um Planungsvarianten des Grenzübergangs Schlesische Straße zu erarbeiten“. Bis heute aber blieben das Absichtserklärungen.

Alternativen: Umfahrungen und ein Zusatz-Grenzübergang sind nötig

Auch die als S111a bekannte Südwestumfahrung vom Grenzübergang Hagenwerder über Kunnerwitz und Schlauroth zur B 6 hätte am Unfalltag eine verkehrsberuhigende Wirkung gehabt. Das einst stark beworbene Projekt ist allerdings schon seit Jahren von den Planungstischen verschwunden. „Die Ortsumfahrung Kunnerwitz ist im aktuellen Landesverkehrswegeplan nicht enthalten, damit besteht für uns auch keine Rechtfertigung für Planungsaktivitäten“, bedauert Isabel Siebert.

Dabei erfordert die Verkehrslage längst staumildernde Planungen. Der aktuelle Autobahnunfall darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass er keinen besonderen Ausnahmefall darstellt. In der Vergangenheit kam es immer wieder zu Unfällen mit Autobahnstau, erinnert sei hier nur an den 2015er Weihnachtsreiseverkehr, der damals am 20. Dezember die A 4 bei Görlitz verstopfte. Nicht ohne Grund gab es bisher auch bei Ludwigsdorf bereits zwei Großübungen zur Lagebewältigung bei schweren Verkehrsunfällen. Zumindest bei den Übungen klappte die gegenseitige deutsch-polnische Kommunikation vorzüglich.

Übrigens: Es steht fest, dass die deutsch-polnische Grenze auch noch eine Zäsur der Verkehrsstatistiken offenbart. Während auf den deutschen Straßen jährlich vier von 100 000 Einwohnern bei Verkehrsunfällen sterben, sind es in Polen zehn.