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Gläserne Manufaktur als Klassenzimmer

VW startet seinen Mobilitätscampus und am Montag die zweite Schicht für den e-Golf.

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© Robert Michael

Von Michael Rothe

Kinder willkommen! Welcher Hersteller in der so streng geheimen Autobranche wirbt schon mit einer solchen Botschaft? Dresdens Gläserne VW-Manufaktur, wo seit vergangenem April gut 6 500 Elektro-Golf gebaut wurden, öffnet sich den Jüngsten – mit einem Schülerlabor direkt neben dem Montageband.

Zum Start am Donnerstagnachmittag gab es leuchtende LED und strahlende Augen. Viertklässler der 129. Grundschule erfuhren kindgerecht und interaktiv, was ein Stromkreislauf ist, wie eine Autobatterie funktioniert und anderes mehr. Und sie durften selbst Hand anlegen und etwa den Miniaturboden eines e-Golfs aus Sperrholz mit Leiterbahnen bekleben. Am Ende ging ihnen im doppelten Wortsinn ein Licht auf: beim Basteln an zwei großen Tischen, aber auch an Bildschirmen, mit virtueller Datenbrille, in einer blau bestuhlten Vortragsecke, an Schautafeln und Simulatoren für Elektro- und Hybridfahrzeuge – und einem weißen E-Golf, der mitten im Raum steht, und in den man sich auch setzen darf.

„Wir öffnen unsere Türen ganz weit“, sagt Kai Siedlatzek, Geschäftsführer von VW Sachsen, zur Eröffnung. „Wir zeigen praktisch und schülergerecht, wie Mobilität von morgen aussieht“ und „wir möchten junge Menschen für neue Technologien begeistern“. Das Konzept sei in der Autobranche einmalig. Die Landeshauptstadt habe den e-Campus als zwölftes Schülerlabor in sein Lernort-Programm aufgenommen als ersten zur Elektromobilität. Laut Robert Franke, Dresdens Amtsleiter für Wirtschaftsförderung, biete die Stadt sachsenweit das abwechslungsreichste Spektrum solch besonderer Lernorte. 200 000 Euro lässt sich Volkswagen das elektromobile Schaufenster kosten – „ohne einen Euro öffentliche Förderung“, wie Manufaktur-Sprecher Carsten Krebs betont.

Auf dem so vom Autobauer bereiteten Feld lässt sich dann auch die Landespolitik blicken. Sachsens Kultusminister Christian Piwarz (CDU) erinnert an die Erfindung des Kühlschranks – auf den Tag vor 142 Jahren. So unglaublich innovativ jene Kältemaschine gewesen sei, so selbstverständlich sei sie heute. Ähnlich werde es den staunenden Viertklässlern und künftigen Besuchern des Schülerlabors gehen. Mit dem Campus sei es möglich, „im wirtschaftsnahen Umfeld auf faszinierende Art und Weise“ das Interesse der Schüler für die mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächer zu wecken und scheinbar langweilige Lerninhalte spannend zu präsentieren, so Piwarz. „Die Schulen gewinnen wichtige Einblicke in die Wirtschaft und entwickeln Vorstellungen von der Arbeitswelt 4.0, die Unternehmen können Auszubildende gewinnen und Interesse für ihre Produkte wecken.“

„Wir wollen Schülern der 3. bis 9. Klasse Inhalte des Werk- und Physikunterrichts spannend und spielerisch näherbringen“, sagt Projektleiter Thomas Kunert. Aber auch Berufsschüler und Studenten, Mitarbeiter, Lehrlinge und VW-Händler könnten das Schulungscenter nutzen. Die spezifischen Lerninhalte seien mit Sächsischer Bildungsagentur und VW-Bildungsinstitut abgestimmt, so der 42-Jährige.

Zeitgleich herrscht auch eine Etage höher Gewusel. Sechs neue Start-ups ziehen ein, lösen im Inkubator-Programm jene gründungswilligen Studenten und Forscher ab, die seit August innovative Ideen mehr oder weniger zur Marktreife gebracht hatten. Mit zwei von ihnen will VW in Kontakt bleiben – und im Geschäft. Die Manufaktur hatte für alle nicht nur ein Büro mit spektakulärem Blick in die Montagehalle, sondern auch Trainer bereitgestellt und je 15 000 Euro Anschubfinanzierung.

In Sachen Elektromobilität tritt der weltgrößte Autobauer das „Gaspedal“ voll durch. „Wir übernehmen erneut eine Vorreiterrolle“, sagt VW-Sachsen-Geschäftsführer Siedlatzek. Zehn Monate nach dem Start der E-Golf-Produktion in und der E-Mobility-Station vor der Manufaktur läuft am Montag die zweite Schicht an. Durch Verdopplung der Tagesproduktion von 36 auf 72 Fahrzeuge sollen dann 380 Mitarbeiter bis Jahresende mehr als 13 000 Autos fertigen. „Das wäre ein neuer Rekord“, sagt Carsten Krebs, Sprecher der Manufaktur. Selbst vom 2016 eingestellten Phaeton liefen in Spitzenzeiten nur gut 11 000 Exemplare vom Band. Parallel baut VW den Standort in Zwickau für eine Milliarde Euro zum europäischen Kompetenzzentrum aus und dort ab Ende 2019 mit der elektrischen I.D.-Familie eine neue Fahrzeuggeneration – neben E-Modellen von Audi und Seat.

Die Nachfrage zieht an. Nach Angaben des Branchendiensts AID war der in Dresden und Wolfsburg gebaute Golf im Januar erstmals das meistverkaufte Elektroauto in Westeuropa. Wartezeit: sieben Monate.