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Giftgas macht Abwasseranlagen kaputt

Schwefelwasserstoff zerfrisst den Beton der Abwasserschächte. Die Ursache: Es wird zu wenig Schmutzwasser eingeleitet.

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Von Jens Hoyer

Zu den negativen Auswirkungen von Bevölkerungsrückgang und mangelndem wirtschaftlichen Aufschwung ist jetzt noch eine hinzugekommen: Das Kanalsystems fürs Abwasser beginnt zu bröckeln. Das klingt abwegig, ist aber eine Tatsache. Wenn zu wenig Abwasser durch die Kanäle fließt, entsteht Schwefelwasserstoff, der massiv den Beton der unterirdischen Anlagen angreift.

Thomas Kretzschmar, Abteilungsleiter Abwasser bei der Oewa, hat die Bürgermeister des Abwasserzweckverbandes (AZV) Döbeln-Jahnatal gestern mit den Risiken bekannt gemacht. Zum ersten Mal war der Wasserdienstleister im Gewerbegebiet Mockritz auf beschädigte Abwasserschächte gestoßen. Der Schwefelwasserstoff hatte den Beton schon soweit zersetzt, dass einzelne Kiesel herausgepflückt werden konnten, die eiserne Tritte im Schacht waren teilweise vollständig weggefressen. „Die Schächte sind erst zehn Jahre alt. Sie sollten 50 bis 80 Jahre halten“, sagte Kretzschmar. Den Abwasserkanälen selbst drohe keine Gefahr. Sie sind aus Kunststoff.

Das Reparieren der Schäden kostet viel Geld. 15 Abwasserschächte mussten komplett oder teilweise saniert werden. Kostenpunkt: 60000 Euro. „Damit sind die Auswirkungen, aber nicht die Ursachen beseitigt“, sagte Kretzschmar.

Schwefelwasserstoff bildet sich dort, wo Abwasser lange steht, etwa in Pumpwerken, die nur in größeren Abständen das Schmutzwasser absaugen. Im Mockritzer Gewerbegebiet siedelten sich nur wenige große Firmen an, entsprechend gering ist das Aufkommen an Abwasser. Großweitzschens mittlerweile verstorbener Bürgermeister Frank Noack hatte darauf hingewiesen, dass die Kanalisation im Gewerbegebiet stinkt – Schwefelwasserstoff riecht intensiv nach faulen Eiern.

Eine Messung der Oewa ergab eine zeitweise hohe Konzentration des Gases. Eine Menge, die auch für Menschen tödlich wäre. „Deshalb klettern unsere Mitarbeiter auch nur mit Gaswarngeräten in die Kanäle“, sagte Kretzschmar. Außerhalb der Schächte wird das Gas so weit verdünnt, dass nicht passieren kann. Für Beton und Eisen ist aber eine andere Wirkung des Schwefelwasserstoffs tödlich: In Verbindung mit Kondenswasser bildet das Gas eine sehr agressive Säure.

Bei AZV und Oewa ist man aufgeschreckt. Was im Mockritzer Gewerbegebiet passiert ist, kann auch an anderen Stellen eintreten. Man versucht, die Gefahr rechtzeitig zu erkennen. „Wenn die Abwasserschächte erst einmal nicht mehr standsicher sind, wird die Sanierung sehr teuer“, sagte Kretzschmar. An fünf Pumpwerken im Verbandsgebiet – im Gewerbegebiet Mockritz, in der Siedlung Roßweiner Straße, am Gewerbegebiet Ebersbach, in Simselwitz und am WelWel in Döbeln – soll die Konzentration des Gases jeweils einen Monat lang gemessen werden. „Wir wollen untersuchen, welche Möglichkeiten es gibt, Schäden zu verhindern“, sagte Kretzschmar. Möglich sind vor allem zweierlei Dinge: Das Beschichten des Betons der Abwasserschächte mit einem Kunststoff, der nicht angegriffen wird. Oder der Einsatz von Chemie, um das Bilden des Gases zu verhindern. „Dadurch würden aber dauerhafte Kosten entstehen“, so der Abteilungsleiter.

Das Problem mit dem Schwefelwasserstoff dürfte sich in den kommenden Jahren eher verschlimmern als verbessern. Der Grund: Der Verbrauch von Trinkwasser verringert sich und damit auch die Durchflussmengen in den Abwasserleitungen. Außerdem sollen nur noch sogenannten Trennsysteme genehmigt werden, sagte AZV-Geschäftsführer Hans-Jürgen Gemkow. Bei diesen wird Regenwasser und Abwasser in verschiedenen Kanälen abgeleitet. „Für den Leipziger Berg haben wir noch einmal einen Mischwasserkanal genehmigt bekommen.“

Das Problem betreffe vor allem auch den ländlichen Raum, sagte AZV-Vorsitzender Gunter Weber. „Wir sollten sogar noch mehr Ortsteile an die Kanalisation anschließen. Dadurch entstehen dann erst solche Probleme.“