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Gibt es den Joint vom Arzt?

Ein Gesetz zur Behandlung mit Cannabis sorgt für Fragen. Schmerzärztin Anke Boden aus Großröhrsdorf gibt Antworten.

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© dpa

Bautzen. Von Cannabis ist meist im Zusammenhang mit der Suchtgefahr die Rede. Und nun soll es den Joint einfach so beim Arzt auf Rezept geben? So ist das natürlich nicht. Dennoch sehen sich seit neustem viele Haus- und vor allem Schmerzärzte, wie Dr. Anke Boden in Großröhrsdorf, mit einer starken Nachfrage in den Praxen konfrontiert. Hintergrund ist ein neues Gesetz. Das hat aber offenbar Defizite oder wird häufig falsch interpretiert.

Fachärztin Dr. Anke Boden geht deshalb in die Offensive, um aufzuklären. Beschlossen wurde das Gesetz Anfang des Jahres im Bundestag. Danach hätten krankenversicherte Patienten „mit einer schwerwiegenden Erkrankung“, einen Anspruch auf Cannabis-Präparate. Weil das Thema drängt, wurde vom Schmerzzentrum Rödertal in Großröhrsdorf eine ärztliche Fortbildung zu diesem Thema angeboten. 60 Ärzte und Apotheker aus der Region diskutierten über den Umgang mit dem Cannabis-Gesetz. Dr. Anke Boden referierte dazu. Sie ist Fachärztin für Anästhesiologie und „Spezielle Schmerztherapie“.

Frau Boden, was sind es für Patienten, die ihre Hoffnung in Cannabis setzen?

Das ist unterschiedlich. Zu mir werden vor allem Patienten überwiesen, die seit langer Zeit unter chronischen Schmerzen leiden. Natürlich sind es vor allem sie, die sich nun durch das neue Gesetz auch Linderung ihrer Leiden durch Cannabis erhoffen.

Sind die Hoffnungen ihrer Patienten nicht berechtigt – wo liegt das Problem beim Wunsch nach einer Schmerzbehandlung mit Cannabis?

Es beginnt schon damit, dass es in Deutschland kein zugelassenes Cannabis-Präparat für die Schmerzbehandlung gibt. Normalerweise werden aber Medikamente aufwendig getestet, bevor sie von den Behörden zugelassen werden. Hier sehe ich das nicht gegeben. Es gibt eine Genehmigungspflicht durch die Krankenkasse. Aber das juristische Risiko liegt letztlich beim Arzt, zum Beispiel bei Nebenwirkungen.

Wo kommen die Präparate dann her?

Hergestellt werden die Cannabis-Präparate derzeit von den Apothekern, die Rohstoffe werden aus dem Ausland bezogen.

Der Bedarf an Cannabisprodukten ist auch hier im Rödertal und in der Region vorhanden?

Die Nachfrage der Patienten ist groß, täglich. Auch Menschen mit Suchtproblemen sind darunter. Sie kommen teilweise mit der festen Erwartung, Cannabis verordnet zu bekommen.

Aber das ist offenbar nicht so einfach. Lehnen Sie es komplett ab, Cannabispräparate zu verschreiben?

Nein, nicht generell. Aber es ist auf keinen Fall das Mittel der ersten Wahl. Cannabis gehört in kritische Hände. Ich rate zur Zurückhaltung. Denn es gibt keine wissenschaftliche Studie, die belegt, das Cannabis deutlich gegen Schmerzen wirkt. Es ist wirksamer als Placebo, aber der Effekt nicht signifikant nachgewiesen. Es obliegt der Einschätzung des behandelnden Arztes, Cannabis bei der Krankenkasse zu beantragen und dann gegen Schmerzen zu verordnen.

Warum sind Sie so zurückhaltend gegenüber Cannabis?

Bei meiner Arbeit in einem kanadischen Krankenhaus lernte ich die Folgen des relativ unkritischen Einsatzes von Cannabisprodukten gegen Schmerzen kennen. Sucht ist ein ernstes Thema. Wir haben als Ärzte auch Verantwortung gegenüber der Gesellschaft. Cannabis ist eine Einstiegsdroge, gerade auch bei Jugendlichen. Es wäre im Gegenteil besser, Alkohol gerade für junge Menschen noch stärker zu limitieren, als den Konsum von Cannabis zu legalisieren. Das ist wohl aber eher ein politisches Problem.

Wann verordnen Sie Cannabis?

Die Patienten haben oft schon einen langen Weg in der Schmerzbehandlung hinter sich. So müssen zahlreiche Faktoren analysiert werden. Wir gehen der Frage nach, warum andere Präparate nicht hilfreich waren. Wir suchen natürlich nach körperlichen Ursachen. Schauen aber auch, ob Begleiterkrankungen zu beachten sind. Das kann auch eine psychische Erkrankung sein. Die soziale Situation ist zu berücksichtigen. Dies sind alles Faktoren, die Schmerzen verstärken können. Deshalb entscheide ich oftmals nicht allein über die Therapie. Wir arbeiten fachübergreifend am Praxiszentrum Rödertal. So haben wir hier zwei Psychotherapeuten angestellt und sind dankbar für die Zusammenarbeit mit der Praxis für Orthopädie. In Schmerzkonferenzen besprechen wir im Kreis von bis zu 20 Kollegen die Krankheitsbilder von Patienten.

Welche Patienten kommen für die Verordnung von Cannabis infrage?

Cannabis ist zur Verordnung gegen Spastik bei Multipler Sklerose und z. B. gegen Erbrechen unter Chemotherapie zugelassen. Dafür muss es von der Krankenkasse auch nicht genehmigt werden. Gegen Schmerzen verordne ich Cannabis bei schweren Erkrankungen wie bei Spastik infolge eines Schlaganfalls, bei Nervenschmerzen nach Amputationen und bei Tumorerkrankungen. Dies erfolgt aber nur, wenn andere Therapien bisher nicht ausreichend lindern konnten. Der Einsatz erfolgt eher nicht bei chronischen Rückenschmerzen.

Warum?

Ich appelliere auch an die Eigenverantwortung. Es kann nicht alles mit Medikamenten von außen geregelt werden. Wir müssen lernen, mit Abstrichen an der Gesundheit, mit Alterserscheinungen zu leben, auch bedingte Gesundheit zu akzeptieren. Wenn zum Beispiel fehlende Muskulatur die Ursache ist, hilft vor allem Training.

In welcher Form können die Präparate verschrieben werden?

Als Tropfen, Kapseln, Spray. Es kann aber auch als Blüten inhaliert oder geraucht werden. Dies verschreibe ich jedoch nicht. Die Assoziation zum Joint liegt zu nah und die rasche Wirkung fördert Sucht insbesondere.

Müsste der Gesetzgeber nachbessern?

Ja, die Rahmenbedingungen stimmen nicht. Diagnosen, die eine Verordnung erlauben, müssen konkreter definiert werden und wir benötigen bessere Studien, um den Einsatz zu rechtfertigen.

Gespräch: Reiner Hanke

Das Praxis- und Schmerzzentrum Rödertal: 2001 Gründung der Sportorthopädie Rödertal Dr. Dirk Boden und 2005 des Schmerzzentrums Dr. Anke Boden. Seit 2013 sind zwei Psychotherapeuten am Schmerzzentrum angestellt und seit 2015 eine weitere Fachärztin im Bereich der Schmerztherapie – www.boden-praxis.de.