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Gezeichnetes Unglück

Ernst und trotzdem lustig: Über 100 Karikaturen sind derzeit im Haus der Presse und am Neumarkt zu sehen.

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© Christian Juppe

Von Ronja Münch

Der Bauch hängt schon so tief, dass der Mann am Strand gut auf die Badehose verzichten kann. Ob er nicht endlich mal etwas für seine Figur tun möchte, fragt seine Frau. Da fällt dem Ehegatten nur eines ein: Schniedelvergrößerung. Bissige Alltagssatire ist das, was Anetta Seifert und Andreas Wolff gefällt. Die beiden Meißner sind deshalb am Mittwoch ins Haus der Presse gefahren und haben sich die neue Karikaturenausstellung angeschaut. „Uns gefällt der Humor, in dem wir uns selbst wiederfinden“, sagen sie. Über Pegida und die Flüchtlingskrise müsse sicherlich auch gezeichnet werden. Doch im vergangenen Jahr habe sich in der Karikaturenwelt zu viel um die Politik gedreht. „Schwere Kost“, finden Seifert und Wolff.

Die Flüchtlingskrise ist es, die der Berliner Karikaturist Klaus Stuttmann zu Papier gebracht hat. Zwei Schiffe auf dem Wasser, das eine ein kleines, mickriges Schlauchboot, vollgestopft mit Menschen. Das andere eine riesige Jacht. Von dem kleinen Boot ruft jemand: „Seid ihr auch Flüchtlinge?“ Von der Jacht schallt es zurück: „Ja, Steuerflüchtlinge!“ Der Künstler ist mit seiner Zeichnung „Das Elend dieser Welt ...“ Gewinner des „geflügelten Bleistifts“ in Gold, der erste Platz des deutschen Karikaturenpreises. Der Zeichner ist kein Unbekannter in der Szene und wird auch nicht zum ersten Mal für ein Werk geehrt. Im Jahr 2007 gewann er bereits den Publikumspreis, auch bei anderen Auszeichnungen konnte er abräumen.

Bei den täglich auf uns niederprasselnden schlechten Nachrichten, der gefühlt immer wahnsinniger werdenden Welt, hilft oft nur eins: Das Ganze mit Humor nehmen, manchmal auch schwarzem. Karikaturen gehören deswegen zu den festen Rubriken in Tageszeitungen. Und sie sind geradezu von Natur aus politisch oder gesellschaftskritisch, wie die Zeichnung des übergewichtigen Mannes, der gar nicht daran denkt, Sport zu machen, zeigt.

Seit Mittwoch werden zum 17. deutschen Karikaturenpreises die Werke von 102 Zeichnern im Haus der Presse ausgestellt, ab diesem Donnerstag gibt es sie auch in der Galerie Komische Meister im QF am Neumarkt zu sehen. Flüchtlinge, Terror, Pegida, Überwachung, Beziehungen, Sex, Pokemon Go, Raucherzonen in Bahnhöfen, kinderlose Hotels – kaum ein Thema, was nicht mal mehr, mal weniger hintergründig zur Karikatur verarbeitet wurde. Auch das Ehegattensplitting wird auf die Schippe genommen. Auf der Zeichnung dazu ist ein Mann zu sehen, der mit einer Axt im Gesicht auf dem OP-Tisch liegt und mit dem Arzt noch einmal über die Gründe seines Unfalls spricht.

Die Sächsische Zeitung hat den deutschen Karikaturenpreis im Jahr 2000 ins Leben gerufen. Dieses Jahr wird er zum ersten Mal zusammen mit dem Weser-Kurier überreicht. Die Preisverleihung fand erst am Sonntag in Bremen statt. Mit insgesamt 11 000 Euro ist es eine der höchstdotierten Auszeichnungen für Karikaturisten in Deutschland. Für den ersten Platz gibt es 5 000 Euro. Die zehnköpfige Jury besteht aus Museums- und Medienvertretern sowie Karikaturisten und Cartoonisten. Auch Platz zwei und drei, die silbernen und bronzenen „geflügelten Bleistifte“, üben Gesellschaftskritik. In der Karikatur „Revolution“ führt Butschkow das Ende ebendieser darauf zurück, dass jeder nur noch auf sein Smartphone starrt. Der dritte Preis geht an gleich zwei Künstler: Bettina Bexte erhält ihn für ihre Persiflage „Terrorangst in Deutschland“ und AD Karnebogen wird für sein Werk „Höher, schneller bis hierhin und weiter“ geehrt. Ein Hund mit Helm soll sich bei Bexte beim Erledigen seiner Geschäfte aus Angst vor Terroristen beeilen. Bei AD Karnebogen wurden die olympischen Ringe zu bunten Reagenzgläsern verarbeitet. Beim Blick in die Zeitung gehört das Karikaturen-Studium für Anetta Seifert und Andreas Wolf immer dazu, sagen sie. Dort finden sie vielleicht schon bald die Gewinner des nächsten „geflügelten Bleistifts“. (mit SZ/sr)

Teil 1 der Ausstellung ist im Haus der Presse zu sehen, Teil 2 in der Galerie Komische Meiste im QF am Neumarkt. Geöffnet ist täglich von 10 bis 18 Uhr. Erwachsene zahlen 4 Euro Eintritt, Ermäßigte zwei Euro.