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Gewusel auf der Azubi-Messe

Über 1000 Schüler stürmten gestern den Kamenzer Berufemarkt. Einige mit konkretem Plan. Die meisten eher ohne.

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© René Plaul

Von Ina Förster

Es ist laut. Und es riecht ein bisschen nach Pubertät in der Turnhalle. Heute gibt es am Kamenzer Flugplatz keinen Schulsport. Dafür tummeln sich über 1000 Schülerinnen und Schüler aus dem Landkreis auf dem Parkett. Es ist Berufemarkt. Und alle wollen hin. Oder müssen sie? Es macht den Anschein, wenn man die zähe Masse der 14- und 15-Jährigen an sich vorbeiziehen sieht. Annett Meinhardt von der Rechtsanwaltskanzlei Wagner & Papenfuß aus Kamenz beobachtet das Treiben mit ihrer Kollegin seit früh 9 Uhr. „Ab morgen im Recht!“, titeln die Bemühungen um Nachwuchs auf dem großen Plakat hinter ihnen. Dass so eine Azubi-Messe wichtig ist, darüber sind sich hier im Rund wohl alle einig. Ob sie viel bringt – daran scheiden sich die Geister. „Es ist ja schon mal von Vorteil, wenn jemand zur Begrüßung Guten Tag sagt und auch die Benimmfloskeln ‚Bitte‘ und ‚Danke‘ beherrscht“, meint die Rechtsanwaltsfachangestellte. Nicht immer sei das an diesem Tag hier der Fall, muss sie leider zugeben. Gerade schwebt wieder so ein Pulk junger Testosteron-Bomber mit schweren Schulrucksäcken vorbei. Im Blick hat man die Mädchen vor sich. Und vielleicht den Stand mit den schönen kleinen Taschenlampen, die es gratis dazugibt, wenn man sich das Ausbildungsprofil des Elektronikers zumindest mal anschaut. „Ich will mich endlich hinsetzen“, quengelt es soeben aus der nicht ganz so munteren Truppe. Typische Verhaltensweise?

Anabell Mißbach (15) aus Kamenz versucht hier am Stand der Medizinischen Akademie Bautzen, der Puppe einzelne Organe zuzuordnen. Micha Gratzl aus dem dritten Ausbildungsjahr hilft ihr dabei.
Anabell Mißbach (15) aus Kamenz versucht hier am Stand der Medizinischen Akademie Bautzen, der Puppe einzelne Organe zuzuordnen. Micha Gratzl aus dem dritten Ausbildungsjahr hilft ihr dabei. © René Plaul
Daniel Gau (14) montiert sich am Stand der Königsbrücker Edelstahl- und Küchentechnik GmbH mit Sitz in Laußnitz einen schicken Kugelschreiber-Halter. Tom Trautmann, Meister Fertigung, hat gute Tipps dafür.
Daniel Gau (14) montiert sich am Stand der Königsbrücker Edelstahl- und Küchentechnik GmbH mit Sitz in Laußnitz einen schicken Kugelschreiber-Halter. Tom Trautmann, Meister Fertigung, hat gute Tipps dafür. © René Plaul

„Man muss die Jugendlichen schon ansprechen, um sie zu knacken“, weiß Marina Riebisch von der HEC Bildungsakademie. Die Lehrerin aus dem Fachbereich Altenpflege steht heute mit dem nagelneuen Alters-Simulations-Anzug hier. „Damit haben wir natürlich einen riesigen Vorteil anderen gegenüber. Denn alle wollen ihn ausprobieren“, sagt sie. Dieser Anzug vermittelt das Gefühl, bereits 70 zu sein. So zu hören, zu sehen und auch zu laufen. Ein Mädchen meinte vorhin: „Nun weiß ich endlich, warum so vieles bei der Oma nicht mehr klappt! Und wir wundern uns immer!“ Hier am Stand sind intensive Gespräche zur beruflichen Zukunft auch dadurch keine Seltenheit. Und die richtige Animation gehöre halt zur Jagd nach künftigen Azubis dazu. „Es ist ein schwieriges Alter, in dem junge Leute losgeschickt werden, ihre Zukunft zu planen“, gibt Marina Riebisch zu bedenken. Aber gerade der Ausbildungszweig der Altenpflege braucht viele Interessenten. Und die Konkurrenz ist groß. Im Pflegebereich wird es in ein paar Jahren an Personal fehlen. Es ist ernst …

Melken ist nicht so einfach

Am Nebenstand ertönt trotzdem lautes Lachen. Eine Gruppe blonder Mädchen versucht sich gerade am Melken. Es ist nicht so einfach, dabei ist die Holzkuh so lethargisch. Als Endprodukt winkt eine Flasche Müller-Milch. Zum Mitnehmen, versteht sich. Ob Landwirt, Hebamme, Mechatroniker, Fotograf, Polizist, Lackierer, Tischler, Friseurin, Dachdecker oder Banker – hier ist vieles drin. Die Anbieter buhlen um möglichst viele Interessenten. Auch zahlreiche Fachschulen und Berufsschulzentren sind vor Ort. Vorn am mobilen Berufsinformationszentrum der Agentur für Arbeit müht sich der Moderator redlich um Aufmerksamkeit. Er interviewt umliegende Stände. Und versinkt leider oft im anhaltenden Geräuschpegel. Von den oberen Turnhallen-Rängen wirkt das Gewusel dann doch beeindruckend. Hier tummeln sich die, die mit den Bussen bald in die Heimatorte fahren. Man vergleicht, wer die meisten Beutel und Kugelschreiber erhascht hat. Der Blick auf vollmundige Versprechungen wie „Deine Zukunft beginnt jetzt“, „Deine Karriere daheim“, „Ihr Schritt – unser Ziel“, „Verdächtig gute Jobs“ oder „Genial dual – Studium und Gehalt“ verspricht einiges. Doch Versprechungen allein werden nicht reichen. Die oft besungene „Generation Praktikum“ ist auf dem Vormarsch – vieles ausprobieren, sich spät festlegen. Das bestätigen viele der Unternehmen. Aber wer sich dreht, kann durchaus Erfolg haben. Wie die Königsbrücker Edelstahl- und Küchentechnik GmbH in Laußnitz. „Wir holen die Schüler schon lange da ab, wo sie stehen. Gehen auf schuleigene Messen, versuchen, sie mit Praxis zu begeistern“, so Sylvia Kühne, die für die Ausbildung verantwortlich ist. Hier werden Konstruktionsmechaniker herangezogen. Pro Lehrjahr sind es zwei. Mangel herrscht nicht. „Aber man muss etwas tun!“ Bei Ferienarbeit und Praktika könne man sich ausprobieren. Erstere ist neuerdings wieder gefragt, nachdem viele Jahre nichts ging. Am Stand der KEK bildete sich eine Schlange. Fünf Jungs warten, bis sie einen schicken Kuli-Halter mit Nieten biegen können. Der wird ihnen nicht die Zukunft weisen, aber eine Weile halten. Vielleicht sogar bis zum büroeigenen Schreibtisch.