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Gewitterzellen über Großenhain

Kreisbrandmeister Ingo Nestler sieht eine Häufung von schweren Unwettern. Über der Röderstadt blitzt es oft heftig.

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© Jens Uhlig

Von Catharina Karlshaus und Peter Redlich

Diesen Nachmittag wird Monika Breschke niemals vergessen. Es ist kurz vor fünf Uhr an diesem 31. Mai 2016, als sich die Großenhainerin in ihren Sessel im Schlafzimmer kuschelt. Nur ein wenig ausruhen will sich die Rentnerin. Gedankenverloren lauscht die fünffache Oma dem Regen, der immer lauter und stärker gegen die Scheiben trommelt. Plötzlich ertönt ein lauter Knall. Eine orangefarbene Feuerwand schiebt sich vor dem Fenster vorbei, bis sie schließlich in den Schornstein direkt neben ihrem Sessel einfährt „Es ist ein kleines Wunder, dass mir selbst nichts passiert ist“, wird die 79-Jährige am nächsten Tag konstatieren. Eine unglaublich große Energie habe sie gespürt. Mehr aber auch nicht.

Energie, die sich wenige Minuten später auf dem Dachboden austobt. Während Ehemann Christian Breschke sofort versucht, das ein Meter lange und 30 Zentimeter hohe Feuer zu löschen, eilten bereits zahlreiche Nachbarn und die Feuerwehr zu Hilfe. 20 Kameraden mit fünf Fahrzeugen nebst Drehleiter tun alles dafür, dass der Brand schnell unter Kontrolle gebracht wird. Sie öffnen Teile des Daches, um weitere Glutnester zu finden. Kurz vor 18 Uhr rücken einige wieder ab, die verstörten Hausbesitzer werden zur Vorsicht ins Krankenhaus gebracht.

Ein Einsatz, an den sich Kreisbrandmeister Ingo Nestler noch gut erinnern kann. Der Schwerpunkt der Unwetterfront an jenem Dienstagnachmittag habe damals über dem Großenhainer Land gelegen. Die Großenhainer Feuerwehr mit den Wehren der einzelnen Ortsteile musste achtmal ausrücken, da innerhalb kürzester Zeit aufgrund von starken Niederschlägen Keller, der Tunnel an der Berliner Straße und Plätze voller Wasser liefen.

Ein Phänomen, welches auch vor fast zwei Wochen, am 6. Juni – wiederum ein Dienstag – zu beobachten gewesen sei. 30 Mal seien die Kameraden landkreisweit zu Hilfe gerufen worden. Starker Regen ergoss sich auch mit Wucht über der Röderstadt und die angrenzenden Dörfer. Eine Gewitterzelle, die sich regelrecht für eine Dreiviertel Stunde über Großenhain festgesetzt hatte und ungewöhnlich viel Niederschlag brachte.

Während es hier wie aus Kannen regnete und schließlich sogar eine Schlammlawine durch den Ortsteil Strauch walzte, schlug der Blitz in ein Fachwerkhaus im Coswiger Ortsteil Brockwitz ein. Relativ ungewöhnlich, ist Coswig doch eine flach vor den Erhöhungen des Elbtales liegende Stadt, die normalerweise von den ganz schlimmen Unwettern verschont bleibt. „Aber was ist heute noch normal“, sagt Ingo Nestler.

Auf Computerbildschirm hat er die Übersicht der Gewitterzellen, die sich über dem Landkreis Meißen in den letzten zwei Jahren gebildet haben – und wo es eingeschlagen hat. Ingo Nestler habe zwar keine wissenschaftliche Auswertung zur Hand, aber er sei sich ziemlich sicher, dass die neuen Gewitterzellen auch eine neue Qualität haben. Sturm, Hagel und Blitze kämen in den letzten Jahren meist zusammen im Paket und mit ungewöhnlicher Wucht. Das habe es vor 15 und 20 Jahren so nicht gegeben. „Wenn es kommt, dann kommt es dicke. Und zwar fast immer aus Richtung Südwesten über die Mitte des Kreises hinwegziehend, um dann nach Brandenburg abzudrehen.“

Der Kreisbrandmeister hat in seinen Aufzeichnungen zwei Daten vom vorigen Jahr, an denen es den Kreis besonders heftig traf: eben jenen 31. Mai, an welchem nicht nur über Großenhain, sondern auch Ebersbach und Thiendorf eine stark aufgeladene Gewitterzelle thronte. Und er registrierte bereits ein paar Tage vorher den 23. Mai. Innerhalb von einer Stunde mussten die Feuerwehren damals zu 21 Einsätzen wegen Gewitterschäden ausrücken.

In Wendischbora etwa schossen aus dem Dachstuhl eines Einfamilienhauses die Flammen nach einem Blitzeinschlag. „Ich befürchte wirklich, dass wir uns künftig häufiger auf solche heftigen Unwetter einstellen müssen“, ahnt Ingo Nestler. Die Beobachtungen der letzten Jahre ließen diesen Schluss zu. Es ginge stets von null auf hundert – anders als früher.