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„Getanzt wird immer gern“

Die Tanzschule Richter in Freital wird 90 Jahre alt. Über mangelnden Zuspruch kann Lutz Richter nicht klagen.

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© Karl-Ludwig Oberthür

Freital. Der 21-jährige Werkzeugmacher und begeisterte Tänzer Kurt Richter gründete vor 90 Jahren im Gasthof Dresden-Gittersee eine Tanzschule. Er betrieb sie nebenberuflich nur an den Wochenenden. Am 28. April 1928 fand der erste Tanzstundenabschlussball statt, dem unzählige folgten. 1935 zog Kurt Richter ins Poisental zu seiner Frau Helene, einer einstigen Tanzschülerin, und die Tanzschule gleich mit.

© Tanzschule Richter

Dort befindet sie sich noch heute, ergänzt um zwei Anbauten aus den Jahren 1968 und 1974. Die Tanzschule Richter trotzte der Weltwirtschaftskrise in der Weimarer Republik, der Naziherrschaft, der SED-Diktatur und hält sich auch in Zeiten der Marktwirtschaft fabelhaft. Denn „getanzt wird immer gern“, sagt Lutz Richter, der das Familienunternehmen in dritter Generation führt. Die SZ sprach mit dem 64 Jahre alten Tanzlehrer.

Herr Richter, warum tanzen Sie?

Weil Tanzen eine wunderschöne Sache ist. Man bleibt in Bewegung, körperlich und geistig. Vielleicht steckt die Liebe zum Tanz auch schon in meinen Genen, zumindest haben mich meine Eltern mit ihrer Tanzschule sehr geprägt. Es gibt ja viele tänzerische Ausdrucksformen, wie klassisches Ballett oder den modernen Ausdruckstanz. Wir pflegen hier den Gesellschaftstanz, der im Grunde für jeden geeignet ist. Mir macht es ungeheuer Spaß zu sehen, wie Menschen sich fürs Tanzen begeistern, vor allem auch erwachsene Paare, die sich freuen, endlich eine gemeinsame Freizeitbeschäftigung gefunden zu haben. Oft ist es ja so, sie tut etwas, er tut etwas, aber Tanzen ist nun mal etwas für zwei.

Seit wann tanzen Sie?

Ich habe mit vier Jahren angefangen. Mein Vater Heinz Richter, der Absolvent der Palucca-Schule war, hat mit den Jüngsten ganze Programme einstudiert, die unter dem Titel „Kinder tanzen Euch zur Freude“ im Kulturhaus Freital aufgeführt wurden.

Waren Sie bei Turnieren dabei?

Mit zwölf waren ich und meine Partnerin Margitta Kujau sogar das jüngste Turniertänzerpaar in der DDR. Vielleicht sogar wegen uns wurde daraufhin eine Altersgrenze ab 16 eingeführt, und wir durften vier Jahre lang an keinem Wettkampf teilnehmen. Dafür legten wir dann einen Blitzstart hin und stiegen in nur einem halben Jahr bis in die höchste Klasse auf. Meine größten Erfolge hatte ich allerdings mit meiner Schwester Manuela Richter, wir wurden Deutscher Meister der DDR in den lateinamerikanischen Tänzen und Vizemeister bei den Standardtänzen. Mit Beginn meiner Ausbildung zum Tanzlehrer 1984 habe ich als Turniertänzer aufgehört.

Haben Sie trotzdem wie andere Jugendliche in der 9. Klasse an der Tanzstunde teilgenommen?

Ja, warum nicht. Dabei geht es ja nicht allein ums Tanzen, sondern auch um Benimmregeln und um eine vorsichtige erste Annäherung an das andere Geschlecht. Natürlich war ich durch das Turniertanzen schon stark geprägt, während die anderen im Grunde alle Anfänger waren. Da musste ich etwas aufpassen, denn mit zu viel Können und Wissen konnte man die Mädchen auch verprellen.

Welche Tänze waren in Ihrer Jugendzeit in der Tanzschule aktuell?

Im Prinzip haben wir bei den Gesellschaftstänzen eine große Konstanz, das reicht bis zu den Anfängen unserer Tanzschule zurück. Die Walzerrhythmen sind zeitlos, genauso die Rhythmen im Viervierteltakt wie Foxtrot oder Discofox, und die lateinamerikanischen Tänze. Es  gab natürlich auch immer Modetänze, die Furore machten wie Twist oder Rock’n’Roll. Das sind temperamentvolle Tänze, die letztlich schweißtreibend sind. Was dazu führt, dass sie zwar heute noch angenommen werden, aber nur von einer begrenzten Klientel. Zwischendurch gab es mal die Linientänze, die heute Line-Dances heißen, die allerdings nichts mit Irish Folk zu tun hatten, sondern mit dem Film „Saturday Night Fever“.

Ist die Tanzstunde noch zeitgemäß?

Ich denke ja. Für mich gehört die Tanzstunde zum Erwachsenwerden dazu. Ich finde es gut, dass die Jugendlichen erst einmal unter sich die Tänze ihrer Eltern ausprobieren, und dabei auch einige Regeln im Umgang miteinander lernen.

Gab es die Tanzstunde auch schon vor neunzig Jahren?

Ja, allerdings war das Mindestalter damals auf 18 Jahre festgelegt. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg wurde es auf 16 Jahre gesenkt, dann dauerte es noch einmal eine ganze Weile, bis die 9. Klassen an der Tanzstunde teilnehmen durften.

Wie ist die Nachfrage?

Die Beteiligung von knapp 100 Prozent der Neuntklässler ist lange Geschichte. Aus dem Gymnasium nehmen nach wie vor viele Schüler an der Tanzstunde teil, in manchen Oberschulen aber sinkt der Prozentsatz bis in den einstelligen Bereich. Insgesamt haben wir in diesem Jahr um die 200 Schüler aus Freital und der Region.

Die Tanzschule Richter hat vier verschiedene politische Systeme erlebt. Wie hat sich das bemerkbar gemacht?

Getanzt haben die Menschen zu allen Zeiten gern. Das Tanzen war, jedenfalls in unserer Schule, weder ideologisch belastet noch ein Politikum. Allerdings war die Tanzschule durch den Zweiten Weltkrieg in ihrer Existenz bedroht. Nach der Schlacht von Stalingrad galt ab Februar 1943 ein striktes Tanzverbot. Noch schlimmer war, dass mein Großvater Kurt Richter an die Ostfront musste. Er gilt seit 1944 als verschollen. Seine Frau Helene eröffnete die Schule jedoch im Sommer 1945 wieder. Sie erzählte mir, dass sie mit dem Koffergrammophon mit dem Fahrrad bis nach Wilsdruff zum Unterricht gefahren ist.

Ihre Eltern Heinz und Helga Richter prägten die Tanzschule fast fünfzig Jahre lang. 1996 haben Sie die Leitung in dritter Generation übernommen. Wo steht die Tanzschule Richter heute?

Der Zuspruch ist ungebrochen. Wir haben mehr als 600 Paare in unseren Tanzklubs und Tanzkreisen, die sich regelmäßig treffen, nicht nur in Freital, sondern auch in angemieteten Räumen in Freiberg, Brand-Erbisdorf, Dippoldiswalde, Geising, Großenhain und Radeburg. Besonders stolz bin ich, dass wir in den vergangenen fünfzehn Jahren wieder ein Formationsteam der Spitzenklasse aufbauen konnten. Trainiert von Diana Walther, haben die acht Paare schon etliche Titel nach Freital geholt.

Mit Ihrer Tochter Anne Bode, ihrem Mann Michael und Ihrer Nichte Diana Walther arbeitet nun die vierte Generation als Tanzlehrer im Unternehmen. Sie sind 64 geworden, da könnten Sie doch jetzt kürzer treten, oder?

Nein, warum denn? Ich mache das so lange, wie ich daran Spaß habe, ich hoffe noch sehr viele Jahre. Wie meine Mutter, die auch mit 83 Jahren hin und wieder auf dem Parkett aushilft und mir vor allem organisatorisch den Rücken frei hält.

Es fragte Thomas Morgenroth.

Schicken Sie uns ihre lustigsten und schönsten Fotos zu Ihren Erinnerungen an die Tanzschule Richter und beschreiben Sie kurz, was darauf zu sehen ist: Sächsische Zeitung, Dresdner Straße 72, 01705 Freital; Mail