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Geschäft mit Phantomkunden

Ein Versicherungsagent schließt in Wilsdruff Scheinverträge ab, um Provisionen zu kassieren. Nach einem Zahlendreher fliegt er auf.

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© dpa

Von Annett Heyse

Wilsdruff. Am liebsten, sagt er, würde er die Zeit zurückdrehen. Dann würde er nicht vor dem Amtsgericht Dippoldiswalde sitzen. Dann hätte er damals, vor drei Jahren, auch niemals die Branche gewechselt „und diesen Bockmist gebaut“. Würde, hätte – Torsten C. nimmt die Brille ab, reibt sich die Augen und kann selbst nicht fassen, wie sein bürgerliches Leben so aus dem Lot geriet. Als selbstständiger Versicherungsvertreter hat er Scheinverträge abgeschlossen, um an Provisionszahlungen zu kommen. 18 700 Euro kassierte er unrechtmäßig von der Ergo-Versicherung. Urkundenfälschung und gewerbsmäßiger Betrug, lautete nun die Anklage.

Dabei sollte damals, Mitte 2012, alles doch viel besser werden. Torsten C., gelernter Bankkaufmann, arbeitete bei der Targo-Bank. Zu Hause, im Einfamilienhäuschen in Dresden, warteten abends eine Frau und zwei kleine Kinder. „Aber die langen Arbeitszeiten von 50 Stunden die Woche und dieser Druck, Geldanlagen verkaufen zu müssen – das wollte ich nicht mehr“, berichtet der heute 41-Jährige. Als er angesprochen wurde, in die Versicherungsbranche zu wechseln, kündigte er.

Freie Arbeitszeiteinteilung als Selbstständiger, dazu ein mögliches Bruttoeinkommen von 3 000 bis 4 000 Euro monatlich, das klang verlockend. „Ich war da blauäugig“, muss er nun gestehen. Zunächst aber lief die Beschäftigung bei der Ergo-Agentur in der Dresdner Straße in Wilsdruff prima an. „Endlich mal mehr Zeit für die Kinder, das war schon schön“, erinnert sich C. Die Ernüchterung folgte nach rund vier Monaten.

C. bekam als Neuling ein monatliches Fixum von 1 200 Euro und dazu Provision für jede abgeschlossene Versicherung. Diese Zusatzzahlungen lagen je nach Beitragshöhe und Laufzeit der Policen zwischen 50 und 1 800 Euro. „Mit jedem Monat baute sich das Fixum um 50 Euro ab, es lag dann bei 900 Euro“, berichtet der Angeklagte. Das Gros sollten nun eigentlich die Provisionen bringen. Weil er aber nicht genügend lukrative Versicherungsverträge abschloss, blieben diese Provisionen weitgehend aus und auch das monatliche Fixum wurde ihm komplett gestrichen. Sofort geriet die Familie, die ein Haus abzubezahlen hat, in Geldschwierigkeiten.

Eine völlig irrationale Idee

C., des Rechnens eigentlich gut kundig, kam auf eine völlig irrationale Idee, die am Ende auch mathematisch nie aufgegangen wäre. Er schloss zum Schein Versicherungsverträge ab. Adressen und Bankverbindungen besorgte er sich aus der Datenbank eines Schwimmvereins, wo er ehrenamtlich als Schatzmeister tätig war. Nachdem die Ergo die Verträge bearbeitet hatte, ließ C. sich die Policen zuschicken – angeblich, um sie den Kunden persönlich zu überreichen. „Ein durchaus übliches Verfahren“, bestätigt eine Mitarbeiterin der Versicherung als Zeugin vor Gericht.

Die Versicherungsbeiträge sollten aber nicht die Phantomkunden zahlen, sondern C. ließ im Nachhinein die Kontonummer ändern. „Ich wollte die ahnungslosen Sportler nicht schädigen.“ Das Geld floss vielmehr von dem Konto ab, auf das die Ergo die Provisionen überwies. Und diese waren durchaus üppig. 51 Versicherungsverträge fingierte C. zwischen November 2012 und Oktober 2013. Für jeden Abschluss kassierte er zwischen 50 und 1 800 Euro Bonus, insgesamt 18 700 Euro. Bis er an Dorit H. geriet.

C. kannte die resolute Frau nicht, sie war ein Name in der Vereinsdatei wie viele vor ihr. Aber beim Umschreiben ihrer Kontonummer passierte C. ein Zahlendreher. Das Geld – 50 Euro im Monat – floss nicht, wie geplant, von seinem Provisions-Konto, sondern tatsächlich vom Privatkonto der Dorit H. „Ich konnte mir den Betrag nicht erklären und ging der Sache nach“, berichtet die Frau. Dabei ließ sie auch dann nicht locker, als die Bank die 50 Euro längst zurückgebucht hatte. Immer wieder telefonierte Dorit H. mit der Ergo, forschte nach, wie ihre Bankverbindung an die Versicherung geraten konnte, wurde fündig und stellte Strafanzeige. „So etwas unter Sportlern zu machen, das geht gar nicht. Ich finde das gruselig“, sagt sie dem Angeklagten vor Gericht ins Gesicht.

Alle Konsequenzen ausgeblendet

Gruselig muss aber auch die Situation für C. im Herbst 2013 geworden sein. Denn die Ergo selbst wunderte sich, dass etliche Versicherungsbeiträge unterschiedlichster Kunden von der gleichen Bankverbindung aus bezahlt wurden. C. flog auf. „Lange halten hätte ich das System ohnehin nicht mehr können“, gibt er zu. „Mein Mandant war auf eine schnelle Lösung aus und hat in dieser Notsituation alle Konsequenzen ausgeblendet“, sucht Verteidiger Norbert Meyer eine Erklärung.

Aber auch die Versicherungsbranche sieht dabei nicht gut aus. Der Geschäftsstellenleiter der Ergo in Chemnitz, zuständig auch für die Wilsdruffer Agentur, ist ebenfalls als Zeuge geladen. Auf die Frage der Richterin, ob es denn in Fällen, wenn es für die selbstständigen Vertreter mal nicht so läuft, einen Notfallfonds oder eine ähnliche soziale Absicherung gibt, zuckt er mit den Schultern. „So richtig nicht. Wer im Monat nicht genügend Versicherungen verkauft, muss sich schon fragen, ob er in der Branche richtig ist oder besser den Beruf wechselt.“ Pech gehabt halt.

Torsten C. wird sich das gut merken. Er ist jetzt zu einem Jahr und sechs Monaten auf Bewährung verurteilt. Von den 18 700 Euro hat er das meiste zurückgezahlt. Er ist derzeit arbeitslos und versucht jetzt, wieder im Bankgewerbe Fuß zu fassen. Es bleibt zu hoffen, dass ihm das als Vorbestraften gelingt und er in sein bürgerliches Leben zurückfindet.