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Gerne der Wasserträger

Radprofi Marcus Burghardt fährt selten um den Sieg. Trotzdem ist der Hobby-Koch immer noch hungrig auf Erfolge.

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© Ronald Bonß

Von Cornelius de Haas

Anfang Mai ist Marcus Burghardt mal wieder in der Heimat. „19 Tage“, sagt der Radprofi vom Team Bora-Hansgrohe – und meint damit nicht die Zeit, die er unterwegs war. Es ist die Summe aller Tage, die er seit Jahresbeginn bei seiner Familie am oberbayerischen Samerberg verbracht hat. Grund dafür sind die Trainingslager und viele Frühjahrsrennen – von 17 möglichen Starts der World-Tour hat er elf absolviert. Mehr als jeder andere.

Seine Zukunft? Marcus Burghardt kocht auch gerne.
Seine Zukunft? Marcus Burghardt kocht auch gerne. © privat

Mitte Mai ging es dann für den gebürtigen Zschopauer mit dem Kader der deutschen Nordischen Kombinierer zu gemeinsamen Trainingsfahrten nach Mallorca, ein paar Tage später stand in den italienischen Alpen das Training für und schließlich die Tour de Suisse selbst an. Am Sonntag startet der 33-Jährige in Chemnitz bei den deutschen Meisterschaften im Straßenrennen. Der Mann, der in erster Linie für seine Helferdienste geschätzt wird, hat dort vor allem ein Ziel: „Ich will den Titel holen.“

Lokalmatador unter Beobachtung

Für Burghardt ist es eine Reise in die Vergangenheit. Das Fahrradfahren lernte er beim RSV 54 Venusberg, später ging es auf die Sportschule nach Chemnitz. „Deswegen kenne ich die Strecke“, sagt er. Das ist aber auch ein Problem. „Den anderen Fahrern ist klar, dass ich quasi der Lokalmatador bin. Deswegen stehe ich sicher besonders unter Beobachtung. Da muss unsere Taktik also flexibel bleiben“, gibt sich Burghardt so, wie ihn seine Kollegen und auch Teamchef Ralph Denk schätzen: mannschaftsdienlich, analytisch – eben der verlängerte Arm der sportlichen Leitung.

Dass Burghardt auch gewinnen kann, zeigen seine – wenn auch schon etwas länger zurückliegenden – Erfolge bei Gent-Wevelgem 2007 und der 18. Etappe bei der Tour de France 2008. Seine Stärken liegen aber woanders. „Ich war nicht immer Helfer, konnte früher auch selber auf Ergebnis fahren“, sagt er. „Aber ich habe gemerkt, dass andere besser sind und größere Siegchancen haben.“ Für diese Fahrer quält er sich. Bei seinem vorigen Rennstall, dem BMC Racing Team, waren das unter anderem der australische Tour-de-France-Sieger von 2011, Cadel Evans, und der Belgier Greg van Avermaet, vergangenes Jahr Olympiasieger in Rio. Bei seinem neuen Team leistet er diese Dienste nun für Doppel-Weltmeister Peter Sagan.

Dass der Slowake ihn ausdrücklich wollte, macht Burghardt nicht nervös. „Ich habe schon alles gesehen und komme mit allen Rennsituationen klar – egal was passiert“, sagt er. „Ich kenne die meisten Strecken inzwischen und bin gut genug, vorn dabei zu sein, wenn es drauf ankommt. Ich denke, darauf zählt auch Peter.“ Auf eigene Kappe zu fahren, bringe nichts. „Du kannst kein Rennen über 250 Kilometer gewinnen, wenn du alleine bist. Das funktioniert einfach nicht. Du brauchst eine Mannschaft, auf die du dich verlassen kannst.“

Eine Einstellung, die auch sein Chef lobt. „Marcus imponiert mir mit seiner Loyalität und seiner Fähigkeit, Rennen zu lesen“, sagt Denk. Dank seiner Erfahrung weiß Burghardt, wann es sich lohnt, vorne zu fahren und an welchen Stellen mit Gegenwind zu rechnen ist – und gibt dieses Wissen an die jungen Fahrer weiter. „Das hat bei mir früher Jan Schaffrath gemacht“, erinnert er sich. Mit dem Berliner fuhr Burghardt in seiner ersten Profisaison beim T-Mobile-Team. Das war 2005. „Damals bin ich als Helfer die ersten Klassiker schon ganz gut mitgefahren, in einem Team mit Wesemann, Zabel, Aldag.“

Auch nach zwölf Jahren Profitum hat der Sachse die Lust am Radsport nicht verloren. Sechs, sieben Jahre will er noch fahren. Stand jetzt. Aber: „Ich habe mich mit anderen Rennfahrern und Ex-Profis unterhalten. Die sagen: Das kann man nicht planen.“ Irgendwann komme einfach der Punkt, an dem man das Risiko nicht mehr eingehen will, oder keine Lust mehr hat, 250 Tage im Jahr aus dem Koffer zu leben. „Doch das ist noch weit weg, dafür fahre ich noch viel zu gern.“ Das bestätigt auch Burghardts Frau Marie: „Rund um Weihnachten ist er ja immer zu Hause und lässt das Rad in der Ecke stehen. Aber wenn der Jahreswechsel näher kommt, wird er unruhig – dann merke ich, wie es ihn wieder auf seine Maschine und zum Training zieht.“

Zwar kann sich der Vater von zwei Mädchen vorstellen, dem Radsport nach seiner aktiven Karriere treu zu bleiben. „Aber ich koche auch gerne“, sagt er lachend und verweist auf den bevorstehenden Abend: „Ich habe eine Wette verloren und muss nachher für zehn Frauen ein Sechs-Gänge-Menü abliefern.“ Am fröhlichen Lächeln seiner Frau ist abzulesen, dass es wohl ein Festmahl werden wird. Ein Foto, das Burghardt wenige Tage später bei Facebook postet, bestätigt diesen Eindruck. Eine der bekochten Frauen lobt unter dem Bild: „War wirklich seeehr lecker. Danke Marcus, wennst mal nicht mehr radlst …“

Überhaupt zeigt sein Engagement in den sozialen Medien, wie sehr ihm sein Sport am Herzen liegt. Auch via Twitter und Strava, bei dem seine Trainingsdaten aufgezeichnet werden, kommuniziert Burghardt mit seinen Fans. Er nutzt die Kanäle aber auch, um Missstände zu benennen. Als die Veranstalter des Giro d‘Italia Anfang Mai ein Preisgeld für den schnellsten Abfahrer ausrufen, reicht es ihm. „Es ist noch nicht lange her, dass wir unseren Freund und Kollegen Wouter Weylandt bei einem Sturz in der Abfahrt verloren haben. Soll das wieder passieren?! NEIN!!!“, twittert er. Einige Kollegen tun es ihm gleich – mit Erfolg. Der Plan wird verworfen.

Schon riskant genug

„Der Sport ist schon riskant genug“, erklärt er später. „Wenn dann einer auf diese Wertung fährt, fährt auch das ganze Feld schnell, denn man will ja auch niemanden einfach so abhauen lassen. Das sollte man nicht noch mit einem extra Anreiz fördern.“ Dabei hätte Burghardt ein Kandidat für den Preis sein können. Bei der Tour im vergangenen Jahr wurde er bei der Abfahrt vom Port de la Bonaigua mit einer Geschwindigkeit von 130,7 km/h gemessen. „Das war ein Unfall, auf jeden Fall nicht gewollt, sondern ergab sich aus der Rennsituation“, sagt Burghardt fast schon entschuldigend.

Auch in diesem Jahr wird er wieder die Tour de France fahren. Er kennt das Risiko und würde ein unnötiges nie eingehen. Schließlich wartet die Familie zu Hause am traumhaften Samerberg.