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Gern ans Steuerrad

André Hahn (Die Linke) war schon lange Politiker, bevor er in den Bundestag kam. Opposition ist nicht sein Oberziel.

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© Norbert Millauer

Von Franz Werfel

Gohrisch. Wie das denn so klappt mit der Selbstständigkeit, möchte André Hahn wissen. Gerade erst hat er seinen Wahlkampf im Landkreis begonnen und besucht nun die Wehlener Hofmolkerei von Jörg Fiedler. Eben hat der Abgeordnete den Kuhstall des Milchhofs gesehen und sich die erst zwei Wochen jungen Kälbchen angeschaut. Jetzt steht er in der Käserei von Jörg Fiedler und hört sich an, was den 32-jährigen Jungunternehmer bewegt. Hahn fragt interessiert nach. Etwa 20 000 Euro hat der Jungunternehmer aus EU-Mitteln für seine Käserei bekommen. Das hat zwar geholfen, doch nun muss er das Geld in einem umfangreichen Prozedere abrechnen. Und das strengt an.

Die Arbeit der Pirnaer Tafel ist André Hahn wichtig. Regelmäßig trifft er sich mit den Leiterinnen Sandra Furkert (l.) und Edith König und fragt, wo es klemmt.
Die Arbeit der Pirnaer Tafel ist André Hahn wichtig. Regelmäßig trifft er sich mit den Leiterinnen Sandra Furkert (l.) und Edith König und fragt, wo es klemmt. © SZ/Werfel

Der Morgen begann kurz nach neun, André Hahn hat – wie die anderen Direktkandidaten im Landkreis – ein volles Tagesprogramm zusammengestellt, bei dem die Sächsische Zeitung ihn begleitet. Morgens saß er im Dresdner Landgericht und besuchte den Prozess gegen die Gruppe Freital. Der Prozess findet in einem eigens umgebauten Saal statt, neben dem Gefängnis am Dresdner Hammerweg. „Ein Wahnsinn“, findet André Hahn beim Anblick des teilverspiegelten Sicherheitsglases, das den Zuschauerraum vom Saal trennt.

Der Linken-Politiker ist betroffen von den Straftaten im Landkreis, die die Gruppe Freital begangen haben soll. Sein Freitaler Parteifreund Michael Richter ist selbst Opfer der mutmaßlichen Terrorzelle geworden. Heute überbringt André Hahn einen Scheck der Linken-Bundestagsfraktion für einen Verein, der jeden Prozesstag besucht und in einem Internet-Blog öffentlich dokumentiert. 1 000 Euro ist das den Genossen in Berlin wert. Die Bundesfraktion zahlt in einen Spendentopf die jüngste Diätenerhöhung ein und unterstützt damit bundesweit Vereine und Initiativen.

Zur Person

Geboren wurde André Hahn am 20.April 1963 in Berlin-Friedrichshain, aufgewachsen ist er in Neubrandenburg. Mehrere Jahre hat er in Heidenau gelebt, bevor er nach Gohrisch gezogen ist. Er ist verheiratet und hat eine erwachsene Tochter.

Sein Vater arbeitete als Diplom-Agrarökonom. Die Mutter war Chemie-Laborantin.

Nach dem Abitur samt Schriftsetzer-Ausbildung studierte Hahn Lehramt für Deutsch und Geschichte. Nach einem zusätzlichen Forschungsstudium promovierte er in der Politikwissenschaft.

Zur Politik kam André Hahn mit Mitte 20. 1985 trat er in die SED ein. Als einer der jüngsten Teilnehmer saß er an den Runden Tischen in Berlin. Er wurde Mitglied der PDS und saß für die Partei von 1994 bis 2013 im Sächsischen Landtag. Dort war er erst Parlamentarischer Geschäftsführer, später Fraktionschef.

Seit 2013 sitzt André Hahn im Bundestag. Dort arbeitet er im Sport- und im Geheimdienstausschuss. Letzteren leitete er 2015 als erster Linken-Politiker überhaupt. (SZ/wer)

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„Am nervigsten an der Linken ist …“

Die Entwicklung in der Region macht mich glücklich, wenn sie in Richtung von mehr Toleranz sowie Weltoffenheit geht und die wirtschaftlichen Erfolge den Menschen ein weitgehend sorgenfreies Leben ermöglichen.

Ein Vorbild für mich ist Nelson Mandela.

Das Ergebnis meiner Doktorarbeit „Der Runde Tisch. Das Volk und die Macht – Politische Kultur im letzten Jahr der DDR“ verrät viel über die damaligen Runden Tische und ist in einem Buch nachzulesen, in dem Gregor Gysi das Vorwort geschrieben hat.

Im Bundestag vermisse ich die Bereitschaft, für vorhandene Probleme auch mal parteiübergreifend Lösungen zu suchen. Eine Regierung, die glaubt, immer recht zu haben und alle Vorschläge der Opposition ablehnt, wird zwangsläufig irgendwann scheitern.

Mit Angela Merkel würde ich gern an ihrer Verabschiedung als Bundeskanzlerin teilnehmen. Sie hat ihre Verdienste, aber unser Land braucht dringend einen neuen Aufbruch.

Am besten an der Linken ist, dass es sie gibt, denn wir sind die einzige Partei im Bundestag, die Kriegseinsätze der Bundeswehr konsequent ablehnt und sich glaubwürdig für Ostinteressen sowie soziale Gerechtigkeit einsetzt.

Am nervigsten an meiner Partei ist, dass es manchmal gefühlt ewig dauert, bis wichtige Entscheidungen von den zuständigen Gremien getroffen werden. Aber das gehört eben auch zur Demokratie.

Die AfD finde ich schlichtweg überflüssig. Wer dort sein Kreuz macht, kann vielleicht Frust ablassen; seine Probleme werden so aber definitiv nicht gelöst.

Meinen Urlaub verbringe ich am liebsten beim Angeln in Norwegen oder Irland.

Wenn ich beruflich etwas anderes machen würde, wäre ich vielleicht Sportreporter oder Kriminalist. Das waren meine Jugendträume.

Mein Lieblingsort im Wahlkreis ist der Gipfel auf dem Gohrisch, weil man von dort eine gigantische Aussicht bis hinein nach Tschechien hat.

Die wichtigsten Menschen in meinem Leben sind meine Familie und vor allem meine Frau.

Am 24. September, dem Tag der Bundestagswahl, hoffe ich auf ein möglichst starkes Ergebnis für Die Linke.

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Im Auto, auf dem Weg ins Pirnaer Wahlkreisbüro, erzählt André Hahn aus seinem Leben. Eigentlich wollte er Sport-Journalist werden. Hahn ist in Ost-Berlin geboren und hat dort seine ersten neun Lebensjahre verbracht. Dann zogen die Eltern nach Neubrandenburg. Um seinem Traumberuf näherzukommen, machte er Abitur samt Ausbildung zum Schriftsetzer. Erste Schritte ging er in der Lokalredaktion der „Freien Erde“. Und dann blieb seine Bewerbung für die Sektion Journalistik an der Karl-Marx-Universität Leipzig in der Schublade der Kaderleiterin stecken. „Die Dame ist plötzlich verstorben und meine Bewerbungsunterlagen verschimmelten unter ihrem Schreibtisch“, sagt André Hahn. Mit dem Journalistik-Studium wurde es nichts.

Mit solchen Geschichten will er eines zeigen: Das Leben kann man nicht durchplanen. „Es geht seine eigenen Wege, wird von Zufällen umgeleitet.“ Etwa der Zufall, dass Hahn, 22-jährig, in die SED eintritt. Warum? „Ich war dem DDR-Staat gegenüber grundsätzlich positiv eingestellt. Und ich wollte mich politisch engagieren und so etwas für die Gesellschaft bewegen.“

Vor vier Jahren haben ihm die Wähler nach 19 Jahren im Sächsischen Landtag einen großer Schritt ermöglicht. Im Herbst 2013 wurde er in den Deutschen Bundestag gewählt. Zufall war auch, dass er überhaupt in die Politik ging. Von 1991 bis 1994 arbeitete er als wissenschaftlicher Mitarbeiter in der sächsischen PDS-Fraktion mit. Dann folgte die Promotion an der Humboldt-Uni Berlin. Sein Thema: Der Runde Tisch – die politische Kultur im letzten Jahr der DDR. „Ich hatte die Infos dazu ja aus erster Hand, war das jüngste Mitglied am Runden Tisch in Berlin.“ In der sächsischen Linken nennen viele André Hahn liebevoll, aber auch etwas distanziert „den Doktor“.

1994 ist ein aufregendes Jahr für die sächsische Politik. Innerhalb kurzer Zeit stehen gleich drei Wahlen an. André Hahn landet im Kreistag des damaligen Landkreises Sächsische Schweiz. „Die Partei suchte noch Freiwillige für die Region, da bin ich eben angetreten.“ Kurz darauf, zur Landtagswahl, reicht es für den Neuling nur für Platz 22 auf der PDS-Landesliste. Am Wahlabend, dem 11. September 1994, verpasst André Hahn den Einzug in den Landtag um 300 Stimmen. Erneut greift der Zufall in sein Leben ein. Wenige Wochen später, die Bundestagswahl ist gelaufen, wird eine PDS-Frau ins Bonner Parlament gewählt. Und Hahn rückt in den Landtag nach.

E-Mails nach Mitternacht

Mit seinen Themen macht er Karriere. Schon 1995 wird er Parlamentarischer Geschäftsführer. In dieser Zeit beginnt auch die Aufarbeitung der SED- und Stasi-Fälle. Das verlangt Hahn viel ab. „Menschen mit guter Qualifizierung mussten von einem Tag auf den anderen gehen.“ An einem Fazit, das er damals für sich gezogen hat, hält er noch heute fest: Wer Unrecht begangen hat, muss dafür geradestehen und möglicherweise bestraft werden. „Aber Pauschalverurteilungen lehne ich ab.“

Hahn lernt, genau hinzusehen. Er vertieft sich in Akten, ist ein Nachtarbeiter. E-Mails verschickt er gern mal nach Mitternacht. Auch seinen Newsletter, den er „Roter Hahn“ getauft hat. Die Fähigkeiten, die er im Landtag später auch als Fraktionschef und somit Oppositionsführer erwirbt, sollen ihm noch Jahre später nützen, als er von seiner Fraktion in den Geheimdienstausschuss des Bundestages geschickt wird.

Nächster Termin: die Pirnaer Tafel. Mit dem Verein, der Essens-Spenden an Bedürftige verteilt, ist die Linke lange verbunden, André Hahn auch ganz persönlich. Vor vier Jahren, zum 50. Geburtstag, wünscht er sich keine Geschenke, sondern Geld für die Tafel. Fast 3 000 Euro kommen zusammen. Davon kann die Tafel-Chefin in der Ausgabestelle einen neuen Fußboden verlegen.

„Was läuft gut bei euch, wo hakt es?“, fragt André Hahn. Und hört den beiden Chefinnen, Edith König und Sandra Furkert, zu. Die berichten von Problemen mit der Tafel in Heidenau, die sie nun versuchen zu retten. Sie erzählen davon, dass sie mit den Migranten nun mehr Menschen versorgen müssen und dass es ein friedliches Miteinander zwischen Ausländern und Deutschen gebe. Und sie sagen, dass sie dringend einen neuen Kühlschrank brauchen. „Mal sehen, was ich tun kann“, sagt Hahn.

Der letzte Termin an diesem Tag: Strategieberatung zum Wahlkampf im Pirnaer Wahlkreisbüro. In den nächsten fünf Wochen wird André Hahn im Tagesrhythmus mehrere Auftritte bestreiten. Warum tut er sich den Kampf ums Direktmandat an, obwohl seine Chancen, es zu erringen, eher gering sind? „Politische Themen transportieren sich über Personen“, sagt Hahn. Er denkt, dass er für seine Politik, etwa den Spitzensteuersatz von 53 Prozent ab 7 100 Euro brutto im Monat, Abrüstung und die Mindestsicherung von 1 050 Euro, auch Grundeinkommen genannt, glaubhaft eintreten kann. Mit dem zweiten Platz auf der sächsischen Landesliste wird er sicher wieder in den Bundestag einziehen.

André Hahn findet zwar nicht mit Franz Müntefering, dass Opposition Mist sei. Aber mitregieren würde er schon ganz gerne mal. „Da können wir noch viel besser gestalten“, sagt er und spricht sich für ein Rot-Rot-Grünes Bündnis im Bund aus. Möglichst mit einer starken Linken. Denn ihn ärgert, dass SPD und Grüne viel von mehr Gerechtigkeit reden. „Wenn sie aber die Möglichkeit haben, etwas zu ändern, machen sie es nicht.“ Vielleicht hilft Fortuna.

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Den Wahlcheck mit einem Vergleich aller Kandidaten finden Sie hier