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Gera fällt

Beispiellose Fehlplanungen trieben die Stadtwerke in die Pleite. Jetzt werden Käufer für Busse und 7.000 Wohnungen gesucht.

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© dpa

Von Eike Kellermann

Die rund 300 Beschäftigten des Geraer Verkehrsbetriebs (GVB) haben derzeit so etwas wie eine Atempause. Seit Juli erhalten sie Insolvenzgeld von der Arbeitsagentur. Doch der Lohnersatz wird nur drei Monate gezahlt. Wie es ab Oktober weitergeht, ist vollkommen offen. Denn der Verkehrsbetrieb der drittgrößten Stadt in Thüringen hat Insolvenz angemeldet. „Das ist einmalig in Deutschland“, sagt Gewerkschafter Thomas Voß, Leiter im Verdi-Landesbezirk Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen.

Die Stadtwerke Gera AG, zu 100 Prozent im Besitz der ostthüringischen Stadt, ging Ende Juni als Erstes in die Pleite. Diese Holding ist etwa für zentrale Verwaltung und Marketing des Verbunds zuständig. Wenige Tage später stürzte zusammen mit dem Verkehrsbetrieb auch die Flugbetriebsgesellschaft Gera in die Insolvenz. Insgesamt sind 1.000 Mitarbeiter für die Stadtwerke tätig. „Das wichtigste Ziel war, einen Dominoeffekt zu verhindern. Das ist bisher geglückt“, sagt Sebastian Brunner, Sprecher von Insolvenzverwalter Michael Jaffé. Der Münchner Anwalt managte auch die Pleite des Kirch-Medienkonzerns.

Die übrigen Stadtwerke-Firmen, die den Müll entsorgen oder Strom und Wärme liefern, arbeiten regulär weiter. Auch die Busse und Straßenbahnen des von der Insolvenz betroffenen GVB verkehren vorerst nach Fahrplan. Ob das so bleibt, hängt vom Sanierungskonzept ab. Jaffé will es im September vorstellen, zunächst für den Verkehrsbetrieb. „Stadtwerke 2.0“ lautet der Arbeitstitel. „Es gibt für die Sanierung eines Stadtwerke-Konzerns mit so vielfältigen Aufgabenfeldern und eines Verkehrsträgers wie der GVB keine Blaupause in Deutschland“, hatte Jaffé schon kurz nach der Übernahme des Mandats gesagt. Er ist nach eigenen Angaben mit 20 Leuten im Einsatz, um die „sehr komplexen Verflechtungen“ zwischen Holding und Töchtern zu analysieren.

Klar sei, so der Insolvenzverwalter, dass der öffentliche Personennahverkehr in Gera wie fast überall in Deutschland ein Zuschussbetrieb bleiben werde. „Welche Leistungen der GVB in Zukunft erbringen kann und soll, wird letztlich von den Finanzierungsmöglichkeiten und der Entscheidung der Stadt Gera abhängen“, sagt er.

Doch die Möglichkeiten Geras sind äußerst beschränkt. Verdi-Gewerkschafter Voß diagnostiziert eine „strukturelle Unterfinanzierung“ der 100.000-Einwohner-Stadt als Folge von Abwanderung und Deindustrialisierung nach der Wende. Die Stadt hat sich ein Konsolidierungskonzept auferlegt, durch das sie in den nächsten Jahren mehr als 100 Millionen Euro sparen will. Offenbar bediente sich die Stadt zuvor immer wieder auch bei ihren Stadtwerken. „Das war der reinen Not geschuldet“, hat Voß zwar Verständnis. Inzwischen aber sollen die Schulden der Stadtwerke bei rund 230 Millionen Euro liegen.

Der Auslöser der Krise war eine Wertberichtigung von mehr als 18 Millionen Euro auf ein Kraftwerk der Energietochter. Diese war so nicht mehr in der Lage, den Verkehrsbetrieb wie bisher quer zu subventionieren. Um an frisches Geld zu kommen, sollte die Stadtwerke-Holding ihre Beteiligung an der Wohnungsbaugesellschaft „Elstertal“ an die Stadt verkaufen. Doch den nötigen Kredit von 30,5 Millionen Euro bekam Gera nicht mehr von der Thüringer Kommunalaufsicht genehmigt. Die Landesregierung wollte angesichts der finanziellen Misere der Stadt keine Bürgschaft gewähren.

Verkauf ist Teufelszeug

Überlegungen, die Pleite in Gera belege die generellen Nöte der Stadtwerke durch die Energiewende, hält man beim Verband der kommunalen Unternehmen (VKU) für falsch. „Dass eine Stadtwerke-Holding in Deutschland insolvent wird, ist die absolute Ausnahme“, sagt eine Sprecherin. Gera sei ein „Einzel- und Extremfall“. Die Stadtwerke könnten sich in der Regel gut in dem harten Wettbewerbsmarkt Energie behaupten. Grundsätzlich hadern die Kommunalunternehmen aber schon mit der Energiewende. Insbesondere bei den Gaskraftwerken seien die Rahmenbedingungen derzeit so ungünstig, „dass es vielen Kraftwerksbetreibern kaum möglich ist, ihre Anlagen wirtschaftlich zu betreiben“, heißt es vom Verband.

Verdi-Gewerkschafter Voß sieht Gera zwar als ein Beispiel für unterfinanzierte Kommunen. In Sachen Stadtwerken wirft er aber vor allem der Stadtpolitik Versagen vor. „Man hätte früher einen Sanierer holen müssen“, kritisiert er. In die gleiche Kerbe schlägt Thüringens Finanzminister Wolfgang Voß (CDU). Nach seiner Ansicht ist „die derzeitige Situation offensichtlich Ergebnis von Fehlentscheidungen vor Ort, die sich über lange Jahre der Vergangenheit erstrecken“.

Nun droht ein Verkauf von Filetstücken. Insolvenzverwalter Jaffé hat sich von den Gläubigern grünes Licht geben lassen, den 74,9-Prozent-Anteil der Stadtwerke AG an den rund 7.000 Wohnungen und Gewerbebauten der „Elstertal“-Gesellschaft zu versilbern. Auch für das Verkehrsunternehmen wird nach Investoren gesucht. Weil der Betrieb der 20 Bus- und drei Straßenbahnlinien defizitär ist, gelten die Chancen jedoch als gering. Der profitable Geraer Energieversorger, an dem der französische Multi GDF Suez eine Minderheit hält, dürfte dagegen für Investoren interessant sein. Diese Goldgrube werde die Stadt jedoch wohl nicht hergeben, heißt es in Unternehmenskreisen – erst recht, weil hier unmittelbar die Daseinsvorsorge für die Geraer Einwohner betroffen sei.

Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi indes hält jeden Verkauf für Teufelszeug. „Wir werden das bekämpfen“, sagt Bezirksleiter Voß. „Damit würde die Stadt etwas verscherbeln, was künftig Einnahmen bringt und begibt sich zudem ihrer Steuerungsmöglichkeiten.“ Als warnendes Beispiel führt er Dresden an. Dort, so der Gewerkschafter, sei der Verkauf städtischer Wohnungen gründlich schiefgegangen.