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Gemauerter Fortschritt

Die Rothenburger Straße in Görlitz ist wieder befahrbar. Die Engstelle ist saniert. Das kostete über zwei Millionen Euro.

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Von Ralph Schermann

Am Dienstag sind nur noch wenige Bauleute auf der Rothenburger Straße zu sehen. Entspannt erledigen sie die letzten Arbeiten, räumen auf, schwingen Besen. Der Linienbus aus Rothenburg rollt langsam vorbei, Fahrer Michael Haase winkt: „Alles in Ordnung!“ Für einen der Anwohner ist es das nicht: „Schauen Sie, dort an der Mauer, alles schon wieder beschmiert.“ Für Görlitz normal, wie es auch die Rothenburger Straße bald wieder sein wird. Heute, am Mittwoch, Punkt 13 Uhr, wird der lange Zeit gesperrte Abschnitt an der Stützmauer endlich wieder freigegeben.

Da blickt auch Tiefbauamtsleiter Torsten Tschage beeindruckt nach oben.
Da blickt auch Tiefbauamtsleiter Torsten Tschage beeindruckt nach oben. © Nikolai Schmidt
Die alte Geländer-Mauer wackelte vor zehn Jahren bereits bedenklich und kippte langsam in Richtung Neiße.
Die alte Geländer-Mauer wackelte vor zehn Jahren bereits bedenklich und kippte langsam in Richtung Neiße. © SZ
Über den Fluss ragt nun das neue Geländer, denkmalpflegerisch gut gelöst als ein Mix aus alter Ziegelanmutung und metallenen Geländerstreben.
Über den Fluss ragt nun das neue Geländer, denkmalpflegerisch gut gelöst als ein Mix aus alter Ziegelanmutung und metallenen Geländerstreben. © SZ
1987 drohte Gefahr durch abplatzendes Gestein der Westwand. Damals bekam die Rothenburger Straße im Stützmauerabschnitt die erste Straßeneinengung verordnet.
1987 drohte Gefahr durch abplatzendes Gestein der Westwand. Damals bekam die Rothenburger Straße im Stützmauerabschnitt die erste Straßeneinengung verordnet. © SZ
Nach Straßeneinengung und Tempo 30 folgten nach 2008 eine halbseitige Sperrung und die Regelung der beiden Verkehrsrichtungen durch eine Baustellenampel.
Nach Straßeneinengung und Tempo 30 folgten nach 2008 eine halbseitige Sperrung und die Regelung der beiden Verkehrsrichtungen durch eine Baustellenampel. © SZ
2015 war die Hälfte der alten Straße verschwunden. Im Fels nahmen die Bauleute aufwendige Bewehrungsarbeiten zur Sicherung der gegenüberliegenden Häuser vor.
2015 war die Hälfte der alten Straße verschwunden. Im Fels nahmen die Bauleute aufwendige Bewehrungsarbeiten zur Sicherung der gegenüberliegenden Häuser vor. © SZ

Dass das so lange dauerte, hat einen Grund. Um den heutigen Anforderungen gerecht zu werden, wurde der Abschnitt ausgekragt, wie die Fachleute sagen. Das heißt, dass die Straße breiter wurde, indem ein Überhang angebaut und mit speziellen Stützen verankert wurde. Im Fels zur Neiße war das eine ingenieurtechnische Herausforderung. „Ich schätze, während meiner Amtszeit werde ich so einen Bau nicht noch einmal erleben“, sagt Torsten Tschage, Leiter des Görlitzer Tiefbau- und Grünflächenamtes. Vor der offiziellen Freigabe sah er sich das Werk noch einmal genau an, jene 295 Meter Straße, die über 204 Meter entlang dem Tal zur Neiße und 66 Meter am Hang zur anderen Seite stabile Mauern erhalten haben. Und das war höchste Zeit. Denn schon seit den 80er Jahren wurde die Statik immer bedenklicher.

Es ist ein komplexes Gebilde, was sich hier in der Nikolaivorstadt befindet. Wenige Meter neben der Neiße steht in reichlich einem Meter Höhe und einem Meter Breite die erste Stützmauer. Hinter der schrägt sich eine Böschung nach oben, die teils aus Fels besteht. Unter diesem fand vor Hunderten Jahren der vergebliche Goldbergbau seinen Zugang mit einem Stollen. Die Schräge endet in einer Betonmauer, und nur deren kleine Spitze nahmen die Passanten oben als Geländer wahr. Von hier aus waren es 19 Meter hinab zum Fluss, oder auch ein paar Zentimeter weniger, denn die Ziegelmauer rutschte immer mehr zur Seite. 2008 nannte Olaf Reibetanz vom Ingenieurbüro Geudner & Partner die Lage kritisch. Zwar hielten die 1993 eingebrachten Stützanker noch, doch die auf den Fels aufbauende Natursteinmauer verdrehte sich weiter. Damit dehnten sich Fugen und ließen Nässe eindringen. „Der Schritt zu einer akuten Gefahr ist sehr klein geworden“, betonte der beratende Bauingenieur. Die Konsequenz bestand in einer Teilsperrung – und im Baubeschluss. Wenn aber schon gebaut wird, soll alles auch besser werden. Und so wurde die Lösung gefunden, den Geh- und Radweg mit Tragarmen nach außen an den Fels zu setzen. Damit kann sich der Abschnitt auf die heute gängigen sechs Meter Fahrbahnbreite erweitern. Über hundert Tonnen Stahl wurden insgesamt für diese Baustelle benötigt, 700 Kubikmeter Beton wurden vergossen. Als Erstes traten die Görlitzer Stadtwerke in Aktion. „In Richtung Tischbrücke bauten wir einen neuen Schmutzwasserkanal“, erklärte Stadtwerker Michael Brand. Dann folgten eine neue Trinkwasserleitung und die Straßenentwässerung. Auch die Straßenbeleuchtung wurde neu gesetzt. Nur das bereits sanierte Gasrohr blieb, wie es war. „Auf die Leitungsarbeiten folgten die Ingenieurbauwerke“, schilderte Bernd Mühle den weiteren Ablauf. Er war der zuständige Bauleiter der Stadtverwaltung, stets in Zusammenarbeit mit zwei Ingenieurbüros, mit der Bergsicherung Freital und mit den Arbeitern der ausführenden Firma STL Bau aus Löbau.

Stolz sind sie jetzt alle auf den neuen Anblick jenes Straßenteils, der auch früher im Blickfeld stand – das Geländer. Es entstand nun als Mix aus Klinkermauerteilen und Metallstreben. Auch die Denkmalschutzbehörde hatte ihre Forderungen eingebracht. Und die wenigen Anlieger mussten sich über die Straßenbaubeitragssatzung beteiligen. „Dies bezieht sich aber nur auf den reinen Straßenbau“, betont Torsten Tschage. Für das Ingenieurbauwerk, den Überhang, werden Anwohner nicht zur Kasse gebeten. Ihre Beiträge belaufen sich auf 120 000 Euro. Insgesamt erforderten die Arbeiten einen Aufwand von 2,16 Millionen Euro, von denen 1,41 Millionen der Freistaat Sachsen als Fördermittel beisteuert. Und sogar ein kleiner Teil an der Christoph-Lüders-Straße ist bei diesen Summen dabei: Dort wurden Grünflächen bepflanzt – ein gesetzlich vorgeschriebener Ausgleich für die Verbreiterung der Rothenburger Straße.

Dort atmen die Anwohner auf. Die Zeit der Sperrung, der Umwege, der Provisorien und des Lärms der Baumaschinen ist vorbei. „Dafür rollt der Verkehr leider wieder ungebremst vorbei wie früher“, murrt dennoch einer. Es ist wie immer: Rundum Perfektion für jeden gibt es nicht.

So wurde die Rothenburger Straße zum Nadelöhr

Die Bauarbeiten an der Rothenburger Straße, offiziell Kreisstraße Nummer 6334, hatten am 20. April 2015 zwischen Stockborn und Hausnummer 22 begonnen. Im Mittelpunkt standen zwar die maroden Stützmauern, allerdings war auch die Fahrbahn längst zu einer Zumutung geworden. Beim Hoffen auf die Baustelle war jahrelang keine Wartung des Belages erfolgt, es reihte sich Schlagloch an Schlagloch.

Bereits 1987 wurde die erste Straßeneinengung angeordnet, weil Steine von einer Felswand abplatzten. Mehrmals erfolgten minimal notwendige Sanierungen an den Stützwänden, die Straße wurde enger, nur noch mit 30 km/h zugelassen. Zuletzt war die Straße ebenso wie schon einmal 1989/90 halbseitig gesperrt, eine Ampelregelung führte ab 1989 einige Jahre und dann erneut ab 2008 zu wechselseitigen Staus. Als der Abschnitt komplett gesperrt wurde, betraf das ganz Görlitz. Denn nun war die Kreisstraße und damit die einzige Direktverbindung von und nach der Ludwigsdorfer Richtung blockiert. Alles, was Räder hat, musste fortan durch Königshufen und über die Zeppelinstraße. Die verkraftete bis dahin täglich rund 25 000 Fahrzeuge, jetzt wurden es 7 500 mehr. Ziegeleiweg und Neugasse wurden zu Sackgassen gemacht. Ortskundige sollten sie nicht als Schleichwege durchfahren. Mehrere Monate kamen zudem nicht mal Fußgänger an der Baustelle vorbei. Betroffen von der Sperrung war auch die Buslinie A. Stadteinwärts ging es über die Umleitung. Um das zu schaffen, wurde in Klingewalde fünf Minuten früher abgefahren. Stadtauswärts bekamen auch Busse eine Sonderlösung: Die nördliche Friedhofstraße wurde zur Einbahnstraße, was schließlich auch viele Pendler nutzten, was dort wiederum Anliegern und Gartennutzern missfiel.

Stadtbus A fährt wieder nach Plan

Alle diese vorübergehenden Lösungen werden nun Schritt für Schritt wieder zurückgenommen. Fahrgäste des Stadtverkehrs müssen beachten: Ab Donnerstag fährt die Buslinie A auch stadtauswärts wieder über die Rothenburger Straße. Die Ersatz-Haltestellen Heiliges Grab und Wiesengrund werden nicht mehr angefahren. Die stadtauswärtigen Rufbusfahrten entfallen.