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Geliebter Büstenhalter

Mit ihrem Laden „Alles für die Nacht“ gehört Elisabeth Lange zu den unverwüstlichen Originalen der Stadt. Ein Besuch.

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© Sven Ellger

Von Henry Berndt

Sie war schon immer eine Ästhetin. Und Elisabeth Lange ist es bis heute geblieben. Stets in edles Weiß gehüllt, mit rotem Lippenstift, die blond gefärbten Haare nach oben gesteckt, macht sich die 84-Jährige jeden Morgen auf den Weg in ihr Geschäft. Mit schnellen Schritten stiefelt die kleine Frau durch Dresden-Plauen, grüßt freundlich links und rechts die Leute, die sie seit Jahrzehnten kennen.

Pünktlich um zehn will Elisabeth Lange da sein, in ihrem Laden „Alles für die Nacht“ auf der Zwickauer Straße, in dem sie Matratzen, Kissen, Nachtwäsche und vollwaschbare Kuscheltiere verkauft. Alles für die Nacht eben.

Sicher warten vor der Tür schon wieder ungeduldig die ersten Gäste. Und tatsächlich: Katerle I und Katerle II begehren Einlass. Die beiden Katzen gehören nicht ihr, leisten ihr aber für eine Handvoll Futter gern Gesellschaft. Eine von ihnen springt drinnen zur Begrüßung gleich mal auf den Tresen und holt sich eine Schmuseeinheit ab. Die Hausherrin hat ja Zeit. So viel ist gerade nicht los an diesem Vormittag. Um nicht zu sagen: Es ist gar nichts los.

Auf die Stimmung schlägt das Elisabeth Lange aber ganz und gar nicht. Es gibt wohl nur wenige Leute, die sie schon mal missmutig gesehen haben. Sie in der Presse? „Da zerfetzt’s de Zeitung“, sagt sie und lacht einen Augenblick später lauthals heraus. Aber wenn’s denn sein muss, dann kann sie doch gern zwei Stunden stehend und ohne Pause aus ihrem bewegten Leben berichten, das sie vor 26 Jahren in diesen Laden führte.

„Natürlich geht es bergab“, sagt sie. Und das nicht erst seit gestern. Aber dieses Geschäft ist ja auch schon lange kein Job mehr für sie. Es ist ein Hobby. Ein Hobby, von dem sie sich einfach noch nicht trennen will. Ihr Mann, früher Wirtschaftswissenschaftler an der TU, drängelt sie schon seit Langem, sie solle sich den Aufwand doch nicht mehr antun und den Laden aufgeben. „Aber mir liegt so viel daran“, sagt sie und lacht diesmal nicht. Sie habe keine Lust, den ganzen Tag zu Hause zu bleiben. „Das macht mich verrückt.“

Für die Liebe nach Dresden

Eigentlich ist Elisabeth Lange kunstgewerbliche Malerin. Sie stammt aus Schönau bei Zwickau und arbeitete dort lange Zeit für ein großes Versorgungskontor. Später machte sie sich selbstständig, dekorierte Gewürzregale und bemalte Milchkannen und Regenschirme. „Es gab ja nichts. Und daraus haben wir was gemacht.“

1962 lernte sie in einem Urlaub in Sotschi ihren Mann kennen, ein Jahr später heirateten sie. Er stammte aus Dresden. Als Elisabeth nach zwei Jahren Warten endlich mit zu ihm in die Landeshauptstadt ziehen durfte, musste eine gemeinsame Wohnung her. Über mehrere private Tauschhandel kamen die beiden an ein nettes Häuschen mit Garten in Dresden-Plauen, in dem sie nun seit 38 Jahren wohnen.

Als nach der Wende niemand bemalte Regenschirme kaufen wollte, musste Elisabeth Lange umdenken. „Ich war 58 und wollte noch etwas Neues machen“, erinnert sie sich. Ein eigener Laden, das war ihr Traum. Bei der Suche fiel ihr der frühere Konsum auf der Zwickauer Straße und die unbewohnte Wohnung im Erdgeschoss nebenan ins Auge. Viele Behördengänge und zwei Wanddurchbrüche später war die Basis geschaffen. Aber was wollte sie eigentlich verkaufen? „Wir saßen dann mal in der Familie beisammen, und mir kam die Idee: ,Alles für die Nacht‘. Es gab ja keine Kaufhäuser damals, da war ja alles blank.“

Ruckzuck machte sie sich ans Werk. Ihre erste Lieferung waren 60 Schlaraffia-Matratzen, erinnert sie sich. „Die Leute sind mir die Bude eingerannt.“ Nach und nach erweiterte sie ihr Sortiment. „Schlüpper gehen immer“, sagt sie, und ein bisschen „Anmache“ müsse ja auch sein. Negligés zum Beispiel. Von Anfang an achtete sie darauf, nicht von Westfirmen über den Tisch gezogen zu werden, wie es damals Mode war. „Die dachten, die doofen Ossis würden den alten Schruz schon kaufen.“ Aber nicht mit ihr. Hier kam nur Qualität rein. Tagsüber kümmerte sich Elisabeth Lange um die Schlange stehenden Interessenten im Laden, abends fuhr sie mit ihrem Moskwitsch die Matratzen aus.

„Schlafen sowieso nur noch nackig“

Heutzutage arten die Arbeitstage nur noch selten in Stress aus. Von 13 bis 14 Uhr macht sie Mittagspause und isst daheim mit ihrem Mann. Davor und danach geht es ruhig zu. Viele alte Stammkundinnen sind schon gestorben, und die Jungen würden fast nur noch im Internet einkaufen. „Aber die schlafen ja heute sowieso nur noch nackig, obwohl das eine Schweinerei ist.“ So lande der ganze Nachtschweiß im Bett.

Die meisten Leute, die zur Ladentür reinkommen, wollen sich nur die hier abgegebenen Päckchen abholen und sind schnell wieder raus, ohne das Werbeschild „So richtig nett ist’s nur im Bett“ auch nur eines Blickes zu würdigen.

Manchmal, wenn sie die Muse küsst, holt Elisabeth Lange einen Block unter dem Tresen hervor und fertigt Bleistiftskizzen von ihren Enkelinnen an. Ihr Blick für Maße und Figuren ist auch sonst gefragt, zum Beispiel bei der BH-Anprobe. Nur wenn die Proportionen passen, gibt Elisabeth Lange ihren Segen. So viel Ästhetik muss schon sein bei einer Künstlerin.