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Gelehrte Sicherheit

In und um Görlitz erleben Verkehrsteilnehmerschulungen eine Renaissance. Das freut die Verkehrswacht, führt aber auch zu einer Kritik.

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© Pawel Sosnowski

Von Ralph Schermann

Görlitz. Verkehrserziehung. Ältere kennen noch diesen Begriff, und er war keine DDR-Erfindung. Vor Gefahren des Straßenverkehrs zu warnen, indem erklärt wird, wie man sich zu verhalten hat, galt als fließender Übergang zwischen Werbung und Bildung. Etwa im Fernsehen, wenn „Der siebente Sinn“ im Westen und der „Verkehrskompass“ im Osten über die Mattscheiben flimmerten. Mancher trauert dem nach, und dass Fragen zum Verkehrsverhalten nicht abreißen, spürt auch diese Zeitung an ihrem monatlichen „Verkehrstipp“.

„Im Gegenteil“, sagt Michael Haase, „das Interesse nimmt sogar zu.“ Der Görlitzer Busfahrer, Fahrlehrer und Mitarbeiter der Verkehrswacht macht das, was allerdings einst eher im Osten verbreitet war: Verkehrsteilnehmerschulungen. Die gab es regelmäßig von ehrenamtlichen Verkehrssicherheitsaktiven in Betrieben und Wohngebieten, oft mit Gastreferenten der Verkehrspolizei, die damals noch bestand, und mit Quittungen in Nachweisheften. Solche Schulungen waren zwar keine Pflicht, dennoch oft bei einer Kontrolle von Vorteil.

Nach der Wende war damit erst einmal Ruhe, weil mancher glaubte, Erziehung sei Bevormundung. Dabei wäre es mit Inkrafttreten der westlichen StVO im Osten gerade dringend nötig gewesen, auf die eine oder andere Änderung hinzuweisen. „Manche haben damit heute noch Probleme“, erklärt Michael Haase, „beispielsweise mit der jetzt üblichen Variante der Rechts-vor-Links-Vorfahrt, die die meisten früher einfacher und besser geregelt sahen.“

Auch nach 1990 hat sich die StVO schon wieder mehrere Male verändert. Zudem nimmt der Verkehr auch auf den Görlitzer Straßen immer weiter zu. Grund genug, sich an Bewährtes zu erinnern, um mithalten zu können. Vor allem Verkehrsklubs richten sich deshalb wieder auf Schulungen ein. „Zu jedem unserer Klubabende werden auch Verkehrsprobleme diskutiert, und Gäste sind da immer willkommen“, sagt zum Beispiel Steffen Hannig vom Görlitzer Ortsklub des Automobilclub Europa (ACE). Und die auch für Görlitz zuständige Verkehrswacht NOL bietet wie einst Verkehrsteilnehmerschulungen an. Michael Haase ist seit 2009 der Schulungsleiter: „Mit zwei Terminen im Jahr habe ich angefangen, voriges Jahr waren es bereits acht, und für 2017 liegen sogar für den Herbst jetzt schon erste Anmeldungen vor.“

Das Interesse wächst rasant. Vor allem Görlitzer Ortsteile und Umlandgemeinden legen Wert darauf. Ludwigsdorf und Kunnerwitz etwa, ebenso Gersdorf, und auch in Schlauroth traf ein erster Versuch 2016 ins Schwarze. Solche Schulungen bald organisieren zu wollen, war auch auf den ersten Auswertungsrunden der neuen Görlitzer Bürgerräte zu notieren.. „Wir hören und machen das gern, zumal es die Veranstalter ja nichts kostet“, betont Michael Haase, der bei seinen 90-Minuten-Programmen eher auf Dialog als auf Vorträge setzt. „Man muss anstehende Fragen klären können, muss das aber auch unterhaltsam rüberbringen“, weiß er. Wie das geht, hat er schon 1978 gelernt, als er nach einer Ferien-Themen-Woche Schülern die Prüfung zur „Goldenen 1“ abnahm. Damals wurde er in Hagenwerder Mitglied eines Verkehrssicherheitsaktivs, aus dem ihn später die Verkehrswacht übernahm. Mit seiner „Busschule“ lehrt er Kindergarten- und Schulkinder – und Erwachsene nun mit Verkehrsschulungen. Sie fragen ihn immer wieder nach Bushaltestellen und Zebrastreifen, diskutieren das Verhalten auf Autobahnen und haben oft ganz konkrete Schilderungen zu Görlitzer Straßen. Aber es gehöre auch dazu, einfach mal nur Frust abzulassen wie über das leidige Thema nächtliche Radfahrer ohne Licht.

„Anwesend sind stets 20 bis 25 Leute, mehr sollten es für so eine Runde auch gar nicht sein“, sagt Michael Haase und weiß, dass das Schulungsergebnis sowieso mehr Personen erreicht: „Die Teilnehmer erzählen das ja weiter, bringen manchmal auch Fragen mit von Bekannten, Verwandten, Nachbarn und Kollegen. Und dominierten bisher die Besucher im Alter von 50+, sind jetzt auch zunehmend Jüngere dabei.“

Vielleicht waren die Görlitzer sogar mit ein Vorbild dafür, dass selbst Sachsens Verkehrsministerium den Nutzen dieser Schulungen erkannt hat. Es eröffnete gemeinsam mit der Landesverkehrswacht, der Dekra, dem Tüv und dem Fahrlehrerverband 2016 die Kampagne „Miteinander kommen alle an“, die eine Partnerschaft zwischen Auto-, Krad-, Radfahrern und Fußgängern erreichen will. Erste Stufe dabei: Aufklärung und Motivation zum richtigen Verhalten. Haase freut sich, dass er für Fragen aus den Schulungen im Görlitzer Rathaus stets auf offene Ohren trifft: „Die Straßenverkehrsbehörde versucht jedenfalls, bei Problemen immer sehr schnell rechtlich sichere Lösungen zu finden.“

Nur die Polizei steht bei allen in Kritik, die sich ehrenamtlich um Ordnung im Straßenverkehr sorgen: „Dass Schulungen zunehmen ist gut, doch wenn immer weniger kontrolliert wird, gibt es keine Nachhaltigkeit“, begründet Michael Haase. Als Busfahrer sieht er täglich Verkehrssünder, die Sperrflächen und Schutzstreifen überfahren, nicht am Stoppschild halten und manches mehr. Eine entsprechende Verkehrsüberwachung sieht er kaum.