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Geheimnisse der Turmkugel

Die Kupferhülsen haben viel zu bieten vom alten Lohnzettel bis zum Reichstaler. Zahlreiche Leute kommen nach Brockwitz gucken. Und warten auf die Rückkehr der Glocken.

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© Arvid Müller

Von Ines Scholze-Luft

.Brockwitz. Sie werden vermisst. Die beiden Kirchenglocken und ihr Klang. Fast unbemerkt haben sie Brockwitz Ende April verlassen. Nun fehlen Läuten und Stundenschlag. So mancher hat deshalb schon nachgefragt, sagt Pfarrer Matthias Quentin.

Da war die Kugel noch drauf auf dem Dachreiter, der nun neben der Kirche steht.
Da war die Kugel noch drauf auf dem Dachreiter, der nun neben der Kirche steht. © Ines Scholze-Luft

Die 450 und 250 Kilogramm schweren Brockwitzerinnen sind ins Ausland gereist, ins Glockenschweißwerk Asten in den Niederlanden. Wo die Eine einen neuen Schlagring – die Klöppel-Aufschlagstelle – erhält und die Andere wieder eine vollständige Krone. Und es sieht gut aus für die beiden, sagt der Pfarrer, im Schweißwerk wurden keine weiteren Fehler festgestellt. Was nichts anderes bedeutet, als dass die Schwergewichte bald heimkommen werden. Sind sie tatsächlich planmäßig Ende Mai fertig, könnten sie bis Mitte Juni wieder im Turm hängen.

Anders als ihre Schwester, die alte große Glocke von 1901, die den Zweiten Weltkrieg nicht überlebte, konfisziert und zerschlagen zwischen 1940 und 1945. Doch ganz aus der Welt ist sie nicht. Fanden sich doch in der kürzlich vom Dachreiter abgenommenen Turmkugel zwei Kupferhülsen, von 1906 und 1972. Letztere mit einem faustgroßen 1901er Glockenrest. Zusammen mit anderen Zeitzeugen. Darunter der Gehaltsbogen eines Klempners vom Mai 1972. 748,78 Mark netto für einen Monat Arbeit am Kirchturm. Fotos zeigen die Familie von Pfarrer Axel Schanz, den Einsturz am Scharfenberger Schloss.

1972 wurde die Kirche erstmals außen saniert, neu verputzt, erzählt Pfarrer Quentin. Stolze 2 000 Gemeindeglieder gab es damals in Brockwitz. Und so manche Spende für die Kirche, Balken etwa oder die Getränkeversorgung für die Bauarbeiter. Dazu Zeitungen, die Union, Kirchenzeitschriften. Bauberichte. Natürlich darf Geld nicht fehlen. Ein Satz DDR-Münzen samt einer der heiß begehrten Gedenkmünzen: 20 Mark mit Friedrich Schiller.

Ein noch seltenerer Anblick – bei der Öffnung waren viele Brockwitzer dabei: Die Geldstücke aus der Kapsel von 1906. Münzen aus dem 18. und 19. Jahrhundert, auch von 1760/61, als das Pfarrhaus erbaut wurde. Ein Reichstaler, 8 gute Groschen courant. Leicht beschädigt wie die DNN von 1906 mit der gerade stattgefundenen „Eroberung von Köpenick“, der Story des gleichnamigen Hauptmanns. Zeitungen, Handschriftliches – in deutscher Schrift – über die Entwicklung des Ortes und der Kirchgemeinde und wer oder was wie viel kostete. Ein Scheffel Korn im Jahr 1825 einen Thaler vier Groschen, Knechtslohn 1882: 200 bis 250 Mark, eine Magd war billiger: 120 bis 140 Mark.

Alles Gefundene soll noch fein sortiert und gesichtet werden und vieles so aufgearbeitet, dass auch Geschichtsfreaks auf ihre Kosten kommen. Vorerst kann sich jeder im Pfarrhaus die Relikte anschauen. Und an der Kirche selbst vom Fortgang der Sanierung überzeugen.

Der Dachreiter – das Türmchen auf dem Turm – steht jetzt sozusagen nackt neben der Kirche. Ohne Schiefertafeln und Schalung. Ob vom alten Holz des Bauteils überhaupt noch etwas verwendet werden kann oder ob alles zu erneuern ist, wird noch geklärt. Ebenso, ob wieder vier Fenster reinkommen wie ganz am Anfang oder zwei wie in neuerer Zeit. Darüber werde man sich in der Kirchgemeinde und mit dem Denkmalamt noch einigen, sagt der Pfarrer.

Was mit der Turmkugel passiert, ist klar. Sie kommt jetzt in die Metalldrückerei Müller nach Wurzen, zum Reinigen und Neuvergolden.

Auch mit dem Erneuern des Kirchturm-Dachstuhls wollen die Handwerker nun beginnen. An der Stelle im Turm, wo derzeit der Dachreiter fehlt. Denn der soll schnellstens wieder aufgesetzt werden. Auch der Glockenstuhl wird etwas umgebaut und die Uhr überholt.

Ende September könnte alles fertig sein, so der Plan. Pfarrer Quentin ist zuversichtlich, dass sich das schaffen lässt. Was ihn ein wenig nachdenken lässt: Vom Denkmalamt gibt es nur 29 000 Euro Förderung. Mit 44 000 Euro hatte die Kirchgemeinde gerechnet, für die insgesamt 170 000 Euro teuren Arbeiten am Turm plus 26 000 Euro fürs Geläut.

Die 15 000 Euro müssen wir nun selbst aufbringen, sagt Matthias Quentin zur Fördermittellücke und hofft auf weitere Hilfsbereitschaft aus Brockwitz und Umgebung. Darüber wird dann wohl auch in den Dokumenten nachzulesen sein, die schließlich in die wieder golden strahlende Kugel kommen. Ob dafür der Platz in den beiden Kupferhülsen reicht oder ob es eine dritte Zeitkapsel gibt, wird ebenfalls noch entschieden.

Informationen zu Spendenmöglichkeiten und zur Besichtigung des Turmkugelinhaltes gibt es im Brockwitzer Pfarramt,Tel. 03523 71744.