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Gegen die Wut

Im Pirnaer Uniwerk geht eine außergewöhnliche Ausstellung zu Ende – mit einem bemerkenswerten Gast.

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© Kristin Richter

Von Christian Eissner

Pirna. Es ist so, wie wenn sich alles verengt, so wie ein Zoom-Objektiv. Es ist dann absolut präsent alles, ich nehme es wie in Zeitlupe wahr, jede Feinheit, jedes Härchen am Gesicht, jede Regung. An einem bestimmten Punkt hat der andere keine Chance mehr.“ So erlebt Peter K.* die Sekunde, bevor er zuschlägt.

Der 21-Jährige hat seine Gefühle in diesem Moment gemalt, auch die Sekunde nach dem Schlag hat er in einem Bild festgehalten – und eine Situation, in der er niemals zuschlagen könnte.

Ein Paar steht gebannt vor den mit kräftigem Pinselstrich ausgeführten Bildern, die beiden lassen sich viel Zeit, um zu verarbeiten, was sie da sehen. Im Pirnaer Uniwerk endet am Sonntag die Ausstellung „Resonanzen“, in der straffällig gewordene Jugendliche mit eigenen Bildern aus ihrem Leben erzählen. Keinen Besucher hat diese Ausstellung bisher kalt gelassen.

Die Schau zeigt Ausschnitte der Arbeit des sozialen Jugendprojekts „UZ“, das am Diakonischen Werk Pirna angesiedelt ist. 1992 gestartet, begleiten Sozialpädagogen hierbei junge Menschen und deren Familien in schwierigen Lebenslagen. Ziel ist es, die Kinder und Jugendlichen anzuregen, für sich selbst passende Lösungen zu finden – für ein Leben mit sozialen Kontakten, die ihnen guttun, ohne Drogenmissbrauch, ohne gewalttätige Ausraster.

Der Sozialpädagoge Uwe Bierwolf, der das Projekt leitet, ist es gewohnt, dafür belächelt zu werden – von Menschen, die überzeugt sind, dass man straffällig gewordene Jugendliche wegsperren muss, um sie wieder auf „die richtige Bahn“ zu bringen. Gespräche und eine sozialpädagogische Begleitung? Was soll das denn bringen? Gegen diese Skepsis geht er an.

Wohlstandsverwahrloste Kinder

Inzwischen machen ihm solche Reaktionen nichts mehr aus. Bierwolf weiß, dass die Arroganz angesichts der objektiven Erfolge schnell schwindet. „Nach einem Jugendarrest werden 70 Prozent der jungen Straftäter wieder rückfällig. Von denen, die an unserem Projekt teilgenommen haben, sind es gerade einmal 20 Prozent“, sagt Bierwolf. „Und das für viel weniger Geld.“

Ob die Arbeit gefährlich ist? Schließlich arbeitet das Team auch mit Gewalttätern. Bierwolf lächelt. Fordernd ja, gefährlich nein. „Wir sind in den 25 Jahren nicht ein einziges Mal angegangen oder angegriffen worden, es ist noch nicht mal Mobiliar zu Bruch gegangen.“ Kraftraubend, sagt Uwe Bierwolf, sei eher die ewige Unsicherheit um die Finanzierung des Projekts. „Die Strafrichter am Amtsgericht Pirna schätzen uns, sie schicken junge Leute lieber ins UZ als in den Knast, weil sie wissen, dass unser Kurs viel mehr bringt“, sagt Bierwolf. Für die öffentlichen Geldgeber spiele das aber anscheinend keine Rolle. „Wieso“, fragt er, „ist es so schwer, für dieses kleine Projekt Unterstützung zu finden?“

Von den rund 5 000 Jugendlichen, mit denen sie in den vergangenen 25 Jahren gearbeitet haben, hörten die Sozialarbeiter zwei Sätze immer wieder: „Ihr seid die Ersten, die mir wirklich zuhören.“ Und: „Ihr habt mir geglaubt, was ich euch erzähle.“

Uwe Bierwolf erlebt junge Menschen mit Problemen, aber auch mit Träumen und Ideen, niemals „Straftäter“. Zu ihm und seinem Team kommen Jugendliche aus ärmsten Verhältnissen, aber auch solche, die er „wohlstandsverwahrlost“ nennt – Kinder, die mit Geschenken überhäuft werden, aber nie Zeit mit ihren Eltern verbringen dürfen, weil die schlicht nicht für sie da sind.

Die Sozialpädagogen des UZ nehmen sie alle mit auf eine Reise durch viele Fragen. Ihre Antworten müssen die jungen Leute selbst suchen. „Wir maßen es uns nicht an, den Jugendlichen vorzuschreiben, was der beste Weg für sie ist“, sagt Uwe Bierwolf. „Das würde auch nicht funktionieren, denn jeder Mensch ist Experte für sich selbst, er muss seine eigenen Erkenntnisse und Lösungen finden. Wir begleiten das nur.“ Die Jugendlichen sollen positive Resonanz spüren – als Kontrast zu negativen Rückmeldungen, die sie aus Familie und Gesellschaft gewohnt sind. Auch wenn diese negative Komponente nicht verschwindet: Im UZ lernen sie, anders darauf zu reagieren, als sie es zuvor getan haben; nicht mehr mit Gewalt, nicht mehr mit der Flucht in den Drogenrausch.

Die Veränderungen, die sie während der UZ-Kurse in sich selbst angestoßen haben, hielten viele der Jugendlichen in Zeichnungen und Gemälden fest. Eine Auswahl ist im Uniwerk ausgestellt. Sie zeigen nicht nur drastische Gefühlswelten, sondern öffnen auch einen absolut klaren und schonungslosen Blick auf die Gesellschaft.

Weil Interaktion ein zentraler Ansatz in ihrer Arbeit ist, haben die Sozialarbeiter ihre gemeinsam mit dem Uniwerk gestaltete Ausstellung „Resonanz“ genannt – und passend zum Thema einen viel beachteten Redner eingeladen. Am Sonntag, dem letzten Abend der Ausstellung, ist der Soziologe Hartmut Rosa zu Gast. Er forscht zu dem Phänomen, warum wir Menschen am glücklichsten sind, wenn wir mit anderen auf einer Wellenlänge schwingen.

Am späten Sonntagnachmittag, 20. November, ist die Ausstellung im Uniwerk, Obere Burgstraße 6b, letztmalig geöffnet. 19.30 beginnen Vortrag und Diskussion mit Hartmut Rosa. Mit Glück Restkarten an der Abendkasse.

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