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Gefängnisstrafe für Rabenmutter

Obwohl ihr Kind großflächige Wunden hat, geht eine Nossenerin nicht zum Arzt. Das Mädchen erleidet Höllenqualen.

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© Symbolfoto/dpa

Von Jürgen Müller

Nossen/Meißen. Die Kinderchirurgin aus der Universitätsklinik Dresden ist immer noch fassungslos. „Das war ein grauenhaftes, schreckliches Schauspiel, das wir so noch nie gesehen haben, vor allem nicht in dieser Altersklasse. Solche Bilder kennen wir aus Deutschland nicht. Es ist unglaublich, dass so etwas auch nur einen Tag von den Eltern toleriert wird“, sagt die 32-jährige Ärztin. Sie ist am Montag Zeugin in einem Verfahren am Amtsgericht, in dem sich eine 25 Jahre alte Nossenerin wegen Misshandlung ihrer dreijährigen Tochter verantworten muss.

Obwohl ihr Kind auf 20 bis 30 Prozent der Körperfläche bakterielle Entzündungen der Haut hat, sich überall schmerzhafte Bläschen gebildet haben, geht die Frau mit ihrem Kind nicht zum Arzt. Erst als die Dreijährige überhaupt nicht mehr aufhört, vor Schmerzen zu schreien, fährt die Frau mit einer Freundin das Kind in die Notaufnahme eines Krankenhauses. Zuvor hatte die Frau über die offenen, nässenden Wunden einfach eine Strumpfhose gezogen.

Im Krankenhaus sieht man sich außerstande, dem Kind zu helfen. Es wird mit dem Notarztwagen sofort in die Uniklinik Dresden geschafft. Das Mädchen ist in akuter Lebensgefahr, muss künstlich beatmet werden, hat eine Blutvergiftung. Keime aus der Wunde sind in die Blutbahn gelangt. Das Kind ist völlig dehydriert, das Herz rast, der Blutdruck ebenso. Das Kind ist unterkühlt, hat eine Körpertemperatur von 32 Grad Celsius. Es kommt auf die Intensivstation.

In den Wunden finden die Ärzte Tierhaare. Das liegt wohl daran, dass die Frau in ihrer Wohnung einen Zoo hält. Laut einer anonymen Anzeige hat sie Hunde, Katzen, Ratten, Mäuse, Papageien, Waschbären und Füchse in der Wohnung in Nossen. Auf die Anzeige reagiert das Veterinäramt des Landkreises nicht. Erst fünf Monate später und nach der Tat schreibt es, man strebe eine Kontrolle an. Doch die hat offenbar bis heute nicht stattgefunden. Ursächlich für die Entzündungen sind die Tierhaare aber nicht. Der Rechtsmediziner Dr. Uwe Schmidt spricht von „Allerweltskeimen“, die überall vorkommen können.

Auch der gesamte Zustand des Mädchens ist katastrophal. Die Dreijährige wiegt bei einer Körpergröße von 83 Zentimetern gerade mal 9,6 Kilogramm, hat ein „Tabakbeutelgesäß“. Haut hängt schlaff herunter, weil es kein Fettgewebe gibt. Die Dreijährige hat den Entwicklungsstand eines anderthalbjährigen Kindes. Das Mädchen kann nicht laufen, nicht sprechen, nicht essen. Und das, obwohl das Jugendamt seit Längerem die Familie betreut, es eine eineinhalbjährige Frühförderung gab. Doch die hat offenbar nichts gebracht. Erst im Krankenhaus und in der Reha-Klinik in Kreischa erholt sich das Kind, nimmt relativ schnell zu, auch, weil ihm eine Magensonde gelegt wurde, durch die es monatelang ernährt wurde.

Inzwischen lebt das Mädchen in einem Kinderheim. Auch ein Sohn wurde der Angeklagten schon weggenommen, er ist in einer Pflegefamilie. Das dritte Kind wohnt noch bei der Nossenerin.

Weder das Jugendamt noch die Mitarbeiterin der Lebenshilfe wollen etwas von dem katastrophalen Zustand des Kindes mitbekommen haben. Die Familienhilfe hat das Jugendamt auf Wunsch der Angeklagten eingestellt. Die hatte behauptet, dass sie allein klarkomme. Das Kind haben Mitarbeiter des Jugendamtes auch nicht gesehen, begnügten sich mit Anrufen der Mutter. Die hatte behauptet, mit dem Kind regelmäßig zum Arzt zu gehen. Tatsächlich gibt es fünf Monate lang keine dokumentierten Arztbesuche.

Verteidiger Jens Lorek hält seine Mandantin trotzdem für unschuldig, fordert Freispruch, spricht von „hohem Verhetzungspotenzial“ der Fotos mit den Verletzungen. Er wendet sich namentlich an die Schöffen: „Meiner Mandantin wird vorgeworfen, dass ihr Kind krank war. An Ihnen liegt es, heute bitteres Unrecht zu vermeiden. Sprechen Sie meine Mandantin frei.“ Doch das Schöffengericht unter Vorsitz von Richter Andreas Poth folgt dem Antrag von Staatsanwältin Christine Eißmann. Es verhängt gegen die Rabenmutter wegen Kindesmisshandlung eine Haftstrafe von zwei Jahren und drei Monaten. Bewährung ist hier nicht mehr drin. Bis zum Schluss hatte die Nossenerin keinerlei Anzeichen von Einsicht oder Reue gezeigt.

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.