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Abzocke mit Schockanrufen

Die Sorge um Angehörige brachte Senioren um ihr Geld. Für seine Abzock-Masche ist ein 29-Jähriger nun in Dresden verurteilt worden.

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© Ronald Bonß

Von A. Schneider und N. Franke

Dresden. Vielleicht wurde die 85-jährige Frau aus Dresden wegen ihres Vornamens zum Ziel einer Bande von Anrufbetrügern. Bei einer „Irmgard“ können die Gauner mit großer Wahrscheinlichkeit von einer älteren Dame ausgehen. Am 8. Dezember vergangenen Jahres klingelte es abends am Telefon der Dame Jahrgang 1932. Eine Männerstimme war dran und hatte schlechte Nachrichten. Ihr Sohn habe, sagte ein Mann, der sich als Polizist ausgegeben hatte, einen Verkehrsunfall verursacht und liege selbst schwer verletzt in einer Klinik. Wenn sie, „Irmgard“, schnell 2 000 Euro zahlen könnte, würde ihr Sohn den Führerschein zurückerhalten.

So funktioniert eine Masche von Telefonbetrügern, die von der Polizei „Schock-anrufe“ genannt wird. „Irmgard“ war nicht nur geschockt. „Ich war so aufgeregt. Ich wollte doch meinem Kind helfen!“, sagte die Zeugin in dem Prozess gegen einen Angeklagten, der noch an jenem Abend im Dezember 2016 plötzlich vor der Wohnungstür der Frau stand, um Bargeld abzuholen. Jakub B. (29) steht seit Mitte Juni wegen Betruges in neun Fällen vor dem Amtsgericht Dresden. Für die Staatsanwaltschaft gehört der Pole zu einer Bande, die im Raum Breslau sitzen könnte.

Mühsam hat sich „Irmgard“ zum Prozessauftakt im Juni mit ihrem Rollator in den Zeugenstand geschleppt. Relativ präzise berichtete sie von den Anrufen des falschen Polizisten. Er habe keinen Akzent in der Stimme gehabt, sagt sie.„Für mich war es so, als würde die Polizei mit mir reden, und der Geschädigte würde sein Geld abholen kommen“, sagte die Zeugin.

Weil sie nur 800 Euro im Haus hatte, habe der „Polizist“ gefragt, ob sie mit zu einem Geldautomaten käme. Weil das nicht ging, habe sie wenig später dem fremden Mann an der Wohnungstür ihre EC-Karte samt Pin-Nummer übergeben. Kurz darauf wurden von dem Konto 200 Euro abgehoben, mehr war nicht möglich.

Ähnlich wie dieser Frau aus Dresden ging es einer Rentnerin aus Görlitz. Die 81-Jährige heißt „Anneliese“ mit Vornamen. Auch das ist sicher kein Zufall. „Anneliese“ hatte dem Unbekannten an der Wohnungstür 300 Euro und ebenfalls ihre EC-Karte nebst Pin überlassen. Sie glaubte, einem echten Polizisten gegenübergestanden zu haben. „Der Mensch hat eine Uniform getragen“, sagte sie im Gericht. Der Mann habe ein Handy am Ohr gehabt und gesprochen, allerdings nicht Deutsch. 1 300 Euro habe sie insgesamt verloren.

Beide Frauen sind sich nicht 100-prozentig sicher, ob Jakub B. vor ihnen nun der Täter ist, dem sie an der Wohnungstür gegenüberstanden. Der Angeklagte habe damals keinen Vollbart getragen. Allerdings hatten die Zeuginnen den Verdächtigen auf Lichtbildern der Polizei wiedererkannt. Die Dresdner Kripo dagegen ist sich sicher, den Richtigen festgenommen zu haben. Nach den ersten Taten Anfang Dezember besorgten sie sich einen richterlichen Beschluss, um den Anschlussinhaber ermitteln zu können. Die Spur führte nach Polen und sie endet dort im Nichts. Trotz internationaler Rechtshilfeersuchen lässt die Kooperation stark zu wünschen übrig.

Was den Betrugsermittlern blieb, war, abzuwarten, bis das Handy des gesuchten Komplizen wieder in Deutschland auffällt. Am 30. Dezember war es so weit und am 10. Januar erneut. An jenem Tag hatten die Beamten den Mann dann festgenommen, nachdem er von einer Frau in Chemnitz einen Umschlag mit 1 300 Euro entgegengenommen hatte.

Seitdem saß B. bis zu seinem Prozess in Untersuchungshaft. Zu Beginn sagte er aus, dass er nicht gewusst habe, dass er von Betrügern ausgenutzt werde. Ein „Markus“ habe ihn Ende 2016 am Arbeitsamt in Breslau für einen Botenjob angesprochen.

In der Verhandlung am Montag beweisen die abgespielten polnischen Telefongespräche das Gegenteil. An B. gerichtete Sätze wie „Es ist eine alte Frau, nimm ihr den Umschlag weg.“ oder „Es ist ein Seniorenwohnheim.“ zeigen, dass Jakub B. wusste, was er tat. Allerdings lässt sich B. dazu hinreißen, selbst eine Korrektur bei der Übersetzung der Anrufe vorzunehmen. Daraufhin fragt Richter Ulrich Stein: „Das heißt, das ist Ihre Stimme?“ B. bejaht diese Frage und gesteht sechs der neun Taten.

Laut Anklage habe der noch nicht vorbestrafte B. knapp 6 000 Euro bei seinen Opfern in Görlitz, Dresden und Chemnitz abgeholt oder von deren Konten abgehoben. Er wird wegen Betrugs in drei Fällen und drei Betrugsversuchen zu zwei Jahren Haft ohne Bewährung verurteilt. Außerdem gibt B. sein Auto ab. Das wird nun verkauft. Mit dem daraus gewonnenen Geld werden die Opfer zumindest ihren materiellen Besitz zurückerhalten.