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Gefährliches Pflaster

Schnelle Radler sorgen auf der Neißstraße in Görlitz für Ärger. Ein Wirt wurde jetzt sogar umgefahren.

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© nikolaischmidt.de

Von Matthias Klaus

Wenn Yvonne Schäfer auf den Fußweg tritt, dann macht sie das mit großem Bedacht. Erst einmal nach links und rechts schauen, sie weiß ja nie, wer da plötzlich die Neißstraße herunter- oder sogar heraufgeschossen kommt. „Als Bedienung ist das natürlich doppelt schwer. Ich habe ein Tablett mit Gläsern auf der Hand, manchmal auch mehrere Teller mit Essen“, schildert Yvonne Schäfer. Die junge Frau arbeitet in der Altstadtkneipe „Zum Pauker“.

Ihr täglicher Weg führt sie des Öfteren quer über die Neißstraße zur gegenüberliegenden Terrasse, einem beliebten Sitz-Platz für Einheimische und Touristen, ein Weg mit Gefahrenpotenzial. Der Grund: Radfahrer, die die Neißstraße vor allem in den späten Nachmittagsstunden und am Abend herunterbrettern, gerade, wenn Yvonne Schäfer besonders viel zu tun hat. „Ich musste schon mehrmals ausweichen. Es war manchmal ganz schön knapp“, erzählt sie. An- oder umgefahren wurde die Blondine (noch) nicht. „Zum Glück“, sagt sie. Das hatte ihr Chef, Bernd Schwerdtner, nicht.

Vergangene Woche wollte er eine Lieferung in seinem Lokal abgeben. „Ich habe mein Auto ganz rechts an der Straße abgestellt“, erzählt Bernd Schwerdtner. Als er dann von der Fahrerseite zur Beifahrerseite um das Fahrzeug herumgehen wollte, passierte es: Ein Radler kam mit hoher Geschwindigkeit die Neißstraße heruntergefahren, stieß mit dem Lenker gegen den Pauker-Chef. Der ging zu Boden, schlug mit dem Kopf auf. „Der Radfahrer kam zwar ins Schleudern, streifte eine Mauer, fuhr aber einfach weiter Richtung Brücke“, erzählt Bernd Schwerdtner. Es sei ein Mann auf einem Damenfahrrad gewesen, erinnert er sich. Ihn plagen nach dem Zusammenstoß heute noch Schmerzen in Hand und Schultern. Der Pauker-Chef sieht die schnellen Radler auf der Neißstraße täglich an seiner Gaststädte vorbeirollen. „Manche provozieren sogar und zeigen den Finger“, schildert er. Dabei ist die Neißstraße eine Fußgängerzone. Die wurde auf Anregung der Anlieger eingerichtet. Schnelle Radler könnten mit einem Bußgeld belangt werden – wenn sie denn erwischt und angehalten werden. Die Mitarbeiter des Görlitzer Ordnungsamtes dürfen das schon mal nicht, sagt dessen Leiter, Holger Kloß. „Nach derzeitiger Rechtslage haben gemeindliche Vollzugsbedienstete im Freistaat Sachsen keine Befugnis, Fahrzeuge anzuhalten“, teilt er mit. Das darf nur die Polizei. Hintergrund: Der Gesetzgeber möchte, dass es nur einem möglichst kleinen Personenkreis gestattet sein soll, in den fließenden Verkehr einzugreifen. Wer ein Fahrzeug anhalten will, brauche eine entsprechende Ausbildung und Ausrüstung erforderlich, über die regelmäßig nur die Polizei verfügt. In der täglichen Praxis zeige sich, so der Görlitzer Ordnungsamtschef, dass die „niedrige Priorität des Straßenverkehrs bei der Landespolizei“ zu einem „erheblichen Vollzugsdefizit bei der Durchsetzung von innerstädtischen Einfahrts- und Durchfahrtsverboten und insbesondere des Radverkehrs“ führe. „Eine Lösung des Problems ist einzig durch eine angemessene Wahrnehmung der Aufgabe durch die Landespolizei zu erreichen“, so Holger Kloß. Eine entsprechende Anfrage der Sächsischen Zeitung bei der Polizeidirektion Görlitz konnte von dieser bis gestern nicht beantwortet werden.

Pauker-Chef Bernd Schwerdter hat inzwischen auch immer wieder Autos gesehen, die die Neißstraße entlangfahren. „Muss denn wirklich erst etwas Schlimmes passieren?“, fragt er sich. Seine Mitarbeiterin Yvonne Schäfer schaut derweil weiter nach links und rechts, wenn sie aus der Tür tritt. „Manche Radfahrer kommen ja auch direkt auf dem Fußweg angebraust“, sagt sie. Seit vier Jahren arbeitet Yvonne Schäfer im Pauker. Der Job mache ihr Spaß: „Wenn nur nicht diese schnellen Radler wären.“