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Gebrauchtwaren in sexy

Wie ein Riesaer mit seiner App Gebraucht.de dem Internetriesen Ebay Konkurrenz machen will.

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© Sebastian Schultz

Von Ronja Münch

Riesa. So mancher, der bei Ebay-Kleinanzeigen schon mal etwas kaufen oder verkaufen wollte, kennt das: Man gurkt durch die halbe Stadt irgendwohin, und dann ist der Verkäufer gar nicht da. Oder man legt extra Termine um, damit man zu einem bestimmten Zeitpunkt zu Hause sein kann, und dann kommt der Käufer nicht. Das ist extrem ärgerlich, und das ist ein Grund, warum Stefan Tietze eine neue Gebrauchtwaren-App für nötig hält.

App für gebrauchte Dinge
App für gebrauchte Dinge © Claudia Hübschmann

Rein optisch kann sich die neue Webseite und App schon mal sehen lassen. „Entdecke die einfachste Art, gebrauchte Dinge zu kaufen“ steht auf der Webseite, für die iPhone-App ist der Spruch etwas abgewandelt. Das Design ist modern, aufgeräumt, übersichtlich. Hübscher als bei Ebay. „Einer der großen Vorteile ist, du hast keine Werbung“, sagt Stefan Tietze. Weder können Unternehmen in App oder Webseite Werbung platzieren noch können Verkäufer ihre Anzeigen gegen Gebühren nach oben schieben oder hervorheben. Es soll um den Verkauf von privat zu privat gehen, in ganz Deutschland, ohne gewerbliche Verkäufer. Mehr als 10 000 Nutzer haben sich schon angemeldet, obwohl es das Portal erst seit Mitte April gibt. Einige Artikel werden schon angeboten, manche Kategorien sind noch leer.

Der 26 Jahre junge Firmengründer kommt aus Riesa, ist auch noch regelmäßig zu Besuch. Doch sein Lebensmittelpunkt ist längst Berlin und die dortige Start-up-Welt. Diese Welt, in der Arbeit auch Lifestyle ist. Und in der sich geduzt wird, was Stefan auch gleich zu Beginn des Gesprächs Journalistin und Fotograf der Sächsischen Zeitung anbietet. Riesa nennt er seinen Ruhepol gegenüber Berlin. Auf dem Gelände des Riesaer Bootshauses will er sich treffen, weil er hier früher aktiv Kanu gefahren ist. Als Teenager hat Stefan sogar einmal die ostdeutschen Meisterschaften im Einer gewonnen. Irgendwann machte sein Rücken aber nicht mehr mit, mittlerweile hätte er auch gar keine Zeit mehr. „Die Firma ist mein Hobby“, sagt er heute. Sein Arbeitstag hat locker zwölf Stunden. Das will er aber nicht negativ verstanden wissen. Es ist schließlich genau das, was er schon seit Jahren will: sein eigenes Start-up.

Letztendlich führt ihn sein ganzer Lebensweg schon in diese eine Richtung. Nach der Mittelschule wechselte Stefan Tietze auf das Berufliche Schulzentrum für Technik und Wirtschaft (BSZ) in Riesa. Dass es danach weiter in Richtung Wirtschaft gehen sollte, war für ihn klar. Aber anstatt irgendwo BWL zu studieren, recherchierte er ganz genau. Schaute sich Rankings von Hochschulen an und stieß so auf die WHU – Otto Beisheim School of Management in der Nähe von Koblenz. Sein Einstieg in den Aufstieg: „An der WHU bekommst du sehr sehr viel mit von der ganzen Start-up-Szene. Und das hat mich halt schon immer mega interessiert.“ Schon während der Unizeit gründete Stefan zwei kleine Unternehmen, zum Üben. Beide gibt es nicht mehr. Nach dem Studium zog er direkt nach Berlin, da wo die Start-up-Szene in Deutschland am aktivsten ist.

Doch die erste richtige Unternehmensgründung geht schief. Mit zwei anderen will er eine Webseite aufbauen, die Reinigungsunternehmen und ihre Kunden vernetzt. „Da sind wir auch relativ weit gekommen, wir hatten Termine bei vielen großen Firmen in Berlin.“ Doch die Verträge in der Branche sind oft langfristig, das junge Unternehmen hatte nicht genug Kapital, um so lange zu warten. „Es lag auch daran, dass die Industrie noch verkrustet war“, meint Stefan. Mittlerweile gebe es ein Unternehmen in Berlin, das dieselbe Idee sehr erfolgreich umsetzt.

Anstatt den Traum einer eigenen Firma aufzugeben, arbeitete Stefan weiter darauf zu. Und stieg zum ersten Mal in die Gebrauchtwaren-Branche ein, bei Rebuy, einem An- und Verkaufsshop im Internet, gegründet 2004. Er arbeitete sich schnell hoch. Nach nur anderthalb Jahren bekam er ein Job-Angebot von Auto1. Der Online-Händler kauft und verkauft gebrauchte Autos. Das Start-up ist eines der am höchsten bewerteten Unternehmen in Europa. Für Stefan ist es trotzdem nur eine Durchgangsstation. Im Gespräch antwortet der Jungunternehmer nur auf zwei Fragen mit einem „auf jeeeden Fall!“. Die eine ist, ob ihm das BSZ in Riesa auf seinem Weg geholfen habe. Die zweite, ob sein Ziel immer war, ein Start-up zu gründen.

Die Idee für Gebraucht.de stammt schließlich von einem anderen. Von Oliver Kaiser, Stefans Mitgründer, der schon während seines Masterstudiums eine simple App plus Webseite für den Gebrauchtwarenhandel entwickelt hat – Vorläufer der jetzigen Webseite und App. Das Zusammentreffen mit ihm hört sich bei Stefan wie eine Liebesgeschichte an. Er sah auf einer Facebookseite, dass Oliver Kaiser einen Mitgründer suchte. Gebraucht.de, das klingt spannend und passt irgendwie zu mir, habe er sich gedacht. „Ich habe dann draufgeklickt und dann hat er dort seine Geschichte ein bisschen erzählt und dann haben wir uns getroffen. Und es hat eigentlich vom ersten Moment an gefunkt.“

Fast jeden Tag habe er neben der Arbeit mit Oliver in Verbindung gestanden. Im vergangenen Jahr hängt Stefan seinen Job bei Auto1 an den Nagel. Die beiden machen sich auf Investorensuche, sammeln 880 000 Euro ein, mittlerweile haben sie Investitionen von über einer Million. Sie überlegen, wie sie die Idee weiterentwickeln können, schauen sich im Markt um. Wo sind die Leute unzufrieden, was können wir besser machen? Sie entscheiden sich dafür, den Verkauf sicherer zu machen: Das Geld läuft über sie, der Verkäufer bekommt es erst, wenn die Ware angekommen ist.

Sie integrieren auch den Paketversand. In ganz Deutschland kann man sein Paket abholen lassen, in Berlin gibt es sogar einen Verpack-Service. Wer sein Paket selbst verschickt, bekommt verschiedene Versandoptionen angeboten und kann sich die Briefmarke online ausdrucken. Die Sendung wird über die Webseite von Gebraucht.de verfolgt. „Im Endeffekt geht es wirklich darum, einfach und sicher kaufen und verkaufen zu können, und den Handel von Gebrauchtwaren wieder sexy zu machen.“

Für einen, der mal eben eine Millioneninvestition eingesammelt hat, sieht Stefan sehr bodenständig aus. Einfacher Pullover mit V-Ausschnitt, Jeans, eine Jacke mit etlichen Reisverschlüssen. Das ist weder die Anzugwelt traditioneller Unternehmen noch der Hipster-Schick, den viele Start-up Unternehmer präsentieren. Seine Brille ist keine fette Hornbrille, er trägt keine Schiebermütze oder dergleichen. Das ist wohl auch Absicht. „Das Schlimmste ist, finde ich, wenn Leute abheben“, sagt Stefan. Ohne zu murren setzt er sich für das Foto auf den Rasen. Sein iPhone hat einen Sprung, weshalb er für das Bild das Handy des Fotografen mit der geöffneten Webseite in die Kamera hält. Die App gibt es bisher nur für das iPhone, erst am Freitag nächster Woche soll auch die Android-App online gehen. Im Gespräch knetet Stefan manchmal die Hände, manchmal hält er sie in einer Mischung aus Merkel-Raute und verschränkten Fingern.

Ob ihm so viel Verantwortung in so jungen Jahren auch manchmal Angst macht? Nein, sagt Stefan. „Angst ist das falsche Wort.“ Respekt sei aber schon da. Er sei sich der Verantwortung gegenüber seinen Mitarbeitern bewusst. Abschalten gebe es nicht, die Firma habe er sieben Tage die Woche im Kopf. Die unternehmerische Freiheit ist aber auch das, was ihn reizt. „Keiner sagt dir, oder kann dir sagen, wie du etwas machen musst. Du musst immer deinen eigenen Weg finden.“ Und das mache ihm „verdammt viel Spaß“.