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Gauck: Pegida missbraucht „Wir sind das Volk!“

Im SZ-Interview lässt der Bundespräsident seinen Gefühlen freien Lauf, wenn er an die Pegida-Demonstranten denkt. Zugleich fordert Gauck, die Probleme mit der Flüchtlingsbewegung offener anzusprechen.

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© Ronald Bonß

Dresden. Bundespräsident Joachim Gauck hat den „Pegida“-Demonstranten Missbrauch des historischen Rufes „Wir sind das Volk!“ vorgeworfen. Er sei darüber „ärgerlich, manchmal auch wütend“, sagte Gauck der „Sächsischen Zeitung“ (zu finden in der Samstagsausgabe). „Dass seit einiger Zeit auch Menschen „Wir sind das Volk“ skandieren, die fremdenfeindlich sind, das vereinte Europa ablehnen, mit dem Rechtsstaat hadern, die Demokratie verachten, empfinde ich als eine Art Missbrauch.“

Der Satz „Wir sind das Volk!“ habe seit den Demonstrationen in der DDR im Herbst 1989 eine Prägung, sagte der Bundespräsident. „Unterdrückte Menschen haben sich damals gegenüber ihren Unterdrückern mit diesem Ruf neu definiert: Wir sind Bürger, und wir sind das Zentrum der Gesellschaft. Es ist ein emanzipatorischer Anspruch, der mit diesem Satz daherkommt.“ Nun werde er von Menschen verwendet, die sich vielfach demokratischer Beteiligung verweigert hätten und nun diffuse Ängste äußerten. „Sie machen sich aber nicht klar, dass es keine Verurteilung zur Ohnmacht gibt und dass Enthaltung auch Folgen hat.“

Gauck sprach sich zugleich dafür aus, dass „auch und gerade wir Repräsentanten des Staates und Politiker diejenigen sein müssen, die die Sorgen der Menschen benennen“. Auch in der aufgeklärten Mitte der Gesellschaft wüchsen die Sorgen, ob und wie sich die Herausforderung der Flüchtlingsbewegung bewältigen lasse. „Und da kann ich nur sagen: Ja, raus mit der Sprache! Benennt, was Euch bedrückt, überlasst das Sorgenpotenzial nicht dem rechten Rand.“

Der Bundespräsident zeigte sich allerdings skeptisch, ob sich Pegida-Demonstranten noch mit Gesprächsangebotenen erreichen lassen. „Wer sich von Vorurteilen nicht lösen will, wer so gründlich und ausdauernd seinen Frust pflegt, dass er nicht mehr zuhört, den erreicht man auch mit noch so vielen Angeboten für Gespräche nicht“, sagte Gauck.

Besserer Schutz der EU-Außengrenzen

Zudem befürwortete Gauck einen besseren Schutz der EU-Außengrenzen. „Ich halte es für richtig, dass wir darüber diskutieren, wie wir diesen Schutz verbessern können, sagte Gauck gegenüber der SZ. „Ich kann das aber nur dann akzeptieren, wenn wir Europäer auch Möglichkeiten des legalen Zugangs zu unserem Kontinent schaffen und wenn wir das fundamentale Recht auf Asyl nicht zur Disposition stellen.“ Eine stärkere Sicherung der Außengrenze sei ethisch nur vertretbar, „wenn eine solche Entscheidung mit unseren Werten in Übereinstimmung zu bringen ist“.

Gauck warnte vor einer Überforderung durch eine zu großzügige Aufnahme von Menschen, die aus wirtschaftlichen Gründen nach Europa kommen wollen. „Ich verstehe sehr gut, dass Menschen auch vor Armut nach Europa fliehen. Aber alle aufnehmen zu wollen, die kommen, das wäre ein gewagter Kurs in Richtung der reinen Moral“, sagte der Bundespräsident. „Und es würde schlicht nicht funktionieren. Auf eine Überforderung der Hilfsbereiten würde zu häufig Abwehr, Entsolidarisierung und Aggression folgen. Und es könnte eine bedrohliche Entwicklung verstärken, die wir schon jetzt beobachten: Dass der rechte Rand an Zulauf gewinnt.“ (SZ)