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Ganz schön wild

Wildtiere fühlen sich in Städten zunehmend wohl. Der Mensch ist nicht ganz schuldlos daran.

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© Volkmar Kreh

Von Tobias Winzer

Freital. Erwischt. Vermutlich auf der Suche nach etwas Essbarem schnüffelt der Waschbär in einem Freitaler Garten herum. Fotografiert hat ihn Leser Volkmar Kreh Mitte Juli mithilfe einer automatischen Wildkamera, die bei Bewegungen auslöst. „Wer schleicht nachts in unserem Garten herum und macht Unordnung? Katze, Marder, Fuchs oder … Dank der Wildkamera konnte der Räuber ermittelt werden – ein Waschbär“, schreibt Kreh. Er fragt sich nun, ob der Besuch des Waschbären in seinem Burgker Garten nur ein Zufall war. „Sind sie bei uns nur so auf dem Durchmarsch oder schon heimisch geworden? Was muss man tun? Muss man das melden? Sind die Tiere gefährlich ?“ Feststeht: Wildtiere, wie der Waschbär, fühlen sich in städtischen Gebieten zunehmen wohl. „Besonders kleinere Wildtiere, wie Fuchs und Waschbär, aber auch Wildkaninchen finden in den Grünflächen und Randzonen der Städte ideale Lebensbedingungen“, sagt Kristina Funke, Sprecherin des Forstbezirks Bärenfels, der sich von Wilsdruff bis zur tschechischen Grenze erstreckt. Berlin habe durch seine großen Stadtwälder und Parks mittlerweile ein ernstes Problem mit Wildschweinen.

Dass es die Tiere vermehrt in bewohnte Gebiete zieht, daran ist der Mensch nicht ganz schuldlos. Zum Beispiel stellt sich der Fuchs sehr schnell auf das Nahrungsangebot in den Städten um. In Biotonnen, Gelben Säcken oder in den Komposthaufen der Kleingärten finden die Tiere oft leichter Nahrung als im Wald. Zudem bieten sich ideale Verstecke in leerstehenden Häusern, an Bahndämmen und in den Grünanlagen. Ohne es zu wissen, müssen die Eindringlinge nicht einmal besonders fürchten, dass ein Jäger auf sie schießt. Denn in Wohngebieten dürfen sie aus Sicherheitsgründen nur mit Fallen gejagt werden.

10 000 Waschbären erlegt

Nach Angaben des Sachsenforsts gibt es keine speziellen Jahreszeiten, zu denen sich die Tiere in der Stadt aufhalten. Während der Aufzucht der Jungen im Frühjahr und Sommer seien die Tiere aber besonders aktiv bei der Futtersuche. Deswegen könnten die Wildtiere in dieser Zeit besonders häufig auch tagsüber in der Zivilisation beobachtet werden. Füchse haben ihre Paarungszeit im Januar und sind in dieser Zeit auch vermehrt tagsüber unterwegs.

Die Ausbreitung des Waschbären ist ein spezieller Fall. Ursprünglich in Nordamerika heimisch, gelangte der Kleinbär als wertvoller Pelzträger in den 20er- und 30er-Jahren nach Europa. Weil die Tiere immer wieder aus den Pelztierfarmen ausbrachen oder von Menschen ausgesetzt wurden, konnten sie eine eigene Population in Europa aufbauen. „In Deutschland leben geschätzt 600 000 bis 800 000 Waschbären, die sich stetig ausbreiten“, sagt Funke. „Von einer ‚Durchreise‘ kann da keine Rede sein.“ In Sachsen wurden im Jagdjahr 2015/16 fast 10 000 Waschbären erlegt. Schwerpunkte waren die Landkreise Bautzen, Nordsachsen, Meißen und Leipzig. „Man kann davon ausgehen, dass der Waschbär mehr oder weniger flächendeckend in Sachsen vorkommt – er meidet aber offenbar Mittelgebirgslagen“, so Funke. Rings um Freital wurden im Jagdjahr 2015/16 insgesamt 27 Waschbären erlegt. Im Landkreis waren es 169. Die Zahlen sind, wenn auch auf niedrigem Niveau, steigend: 2011/12 wurden 15 Waschbären kreisweit und ein Waschbär im Freitaler Gebiet geschossen. Hauptverbreitungsgebiet des Waschbären in Deutschland ist die Region rund um Berlin und Nordhessen, weil dort vor Jahrzehnten viele Tiere ausgesetzt wurden.

Für die Umwelt bringt das Probleme. Solche eingewanderten Tiere, wie Waschbär, Mink und Marderhund, breiten sich in Sachsen immer mehr aus und besetzen die für ihre Art geeigneten Lebensräume. Das führe zu Konkurrenzsituationen mit den dort lebenden Tieren, so Funke. Zudem erhöhe sich der Druck auf mögliche Beutetiere. „Besonders bodenbrütende Vogelarten sind dadurch gefährdet.“ Das sei also vor allem ein Thema für den Naturschutz. Für den Waldbestand in Freital und Umgebung gebe es bislang keine Auswirkungen. Spezielle Maßnahmen zur Eindämmung der Population von Waschbär, Marderhund und Mink unternimmt der Sachsenforst deswegen nicht.

Theoretisch könnte der Waschbär aber das ganze Jahr gejagt werden. Nur auf Elterntiere während der Aufzucht der Jungtiere darf nicht geschossen werden. Eine Schonzeit, wie bei Rehen, gibt es nicht.

Menschen sollten den Wildtieren besser aus dem Weg gehen. „Auf keinen Fall sollte man versuchen, die Tiere zu berühren und sie nicht füttern“, so Funke. Dazu gehöre auch, dass man Haustiere nicht im Garten und wenn, nur unter Aufsicht, füttern solle. Futterplätze für Vögel sollten unzugänglich für Waschbär und Co. sein. Tollwutfälle wurden in Sachsen seit langer Zeit nicht mehr registriert, aber Räude und Parasiten können von diesen Tieren durchaus auch auf Haustiere und Menschen übertragen werden. Machen diese Tiere einen verletzten oder kranken Eindruck, kann man den Wildtierbeauftragten der Stadt oder die Tierrettung informieren. In Freital hat die Firma Becker Umweltdienste ein Bereitschaftstelefon für tote Tiere, die auf öffentlichen Straßen und Wegen im Stadtgebiet Freital liegen, eingerichtet. Ausgenommen sind Tiere aus landwirtschaftlicher Produktion und Großwild. Sollten an Feiertagen und Wochenenden Tierkörper gefunden werden, kann in der Zeit von 7 bis 19 Uhr die Telefonnummer 0152 22916283 angerufen werden. Die Körper werden dann abtransportiert. Von Montag bis Freitag kann man sich direkt an die Freitaler Stadtverwaltung unter der Telefonnummer 0351 6476236 wenden.