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Ganz schön schief

Die Sanierung des Reichenturms in Bautzen ist für die Bauleute eine Herausforderung. Doch dafür sind sie gerüstet.

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© Robert Michalk

Von Miriam Schönbach

Laut schnurrend frisst sich der Bohrhammer in den Beton. Kleine Brocken fallen nach unten, während sich Thomas Biele mit aller Kraft an die Mauer stemmt. Gegen das Getöse trägt er Ohrschützer. Es staubt. Die bereitgestellten Eimer füllen sich mit Schutt. Es ist keine Zeit für den gigantischen Ausblick vom Gerüst rund um den Reichenturm. Die Baustelle liegt auf Höhe der Turmstube. Durch die grünen Schutznetze zeigt sich die Stadt fast wie durch die facettenreichen Augen von Insekten.

27 Etagen hat das Gerüst, das für die Arbeiten am Turm nötig ist.
27 Etagen hat das Gerüst, das für die Arbeiten am Turm nötig ist. © Robert Michalk

Seit einem guten Monat arbeiten Thomas Biele und sein Kollege Uwe Mitho von der Baufirma Krautz aus Klitten auf Bautzens derzeit zentralster Baustelle. Der Bautzener Reichenturm wird für 383 000 Euro saniert und bekommt eine neue Turmhaube aus Blei. Diese bedeckte bisher nur eine Putzschicht. Auch der Außenputz – die Turmhaut – ist an einigen Stellen brüchig. Nasse Putzstellen müssen dort entfernt werden. Denn eindringende Feuchtigkeit machte dem trutzigen Schiefen aus Granit immer mehr zu schaffen. Nach diesen Arbeiten soll das 52 Meter hohe Bauwerk einen neuen, historischen Anstrich in hellem Grau erhalten.

Alles wirkt winzig klein

Über die Reichenstraße schieben sich an diesem Nachmittag Menschen in klitzeklein. Das Bohrhammer-Getöse nehmen sie höchstens als fernes Rauschen wahr. Beim Italiener sind alle Plätze in der Sonne besetzt. Die Eisbecher sehen von oben wie aus einer Puppenstube aus. Bei der Fleischerei Wenk steht eine Kuh auf dem Dach, aus Kunststoff selbstverständlich. Thomas Biele schaltet sein lärmendes Gerät aus und streift die Arbeitshandschuhe ab. Für einen geraden Schnitt an der Turmstube braucht der Bauarbeiter eine Flex. Das ist ein Job für Vorabeiter Uwe Mitho.

Der 57-Jährige schiebt sich den Helm in den Nacken und steigt die Leitern aus Metall nach unten. 27 Etagen ist das Gerüst insgesamt hoch. Nach zwei Metern folgt immer eine verstrebte, stabilisierende Metalllage. 550 Stufen sind es von ganz unten bis zur goldenen Wetterfahne auf der Spitze des Reichenturms. „Ich bin heute schon dreimal hoch und runter. Der Muskelkater kommt später“, sagt er lachend. In Windeseile finden Mithos Füße die Sprossen wie von selbst. Der Maurer ist Höhenbaustellen gewöhnt. Bei der Sanierung der Bautzener Michaeliskirche und der Alten Wasserkunst war er schon dabei.

Ein enger Zeitplan

Unten angekommen, ist Baubesprechung. Architekt Christian Schaufel hat die Pläne für die Überholung des Bautzener Wahrzeichens. „Die Herausforderung an diesem Bauwerk sind der enge Zeitplan und seine Schieflage“, sagt er. Der 3 200 Tonnen schwere Turm neigt sich in Richtung Norden um 1,41 Meter. Im 15. Jahrhundert wurde dieser Teil der Stadtbefestigung aus leichtem Holz errichtet. Gut 200 Jahre später erhielt sie einen schweren Barockaufsatz aus Stein. Das Gewicht des Turmes lastete auf dem nur 80 Zentimeter tiefen Fundament, bis es absackte. Erst durch eine Fundamentbefestigung Anfang der 1950er-Jahre konnte ein weiteres Kippen verhindert werden.

Diese Schräglage haben die Gerüstbauer mit 30 Tonnen Gerüstmaterial ausgeglichen: Gitterträger, Stangen, Schrauben und Kupplungen. „Auf der Aussichtsplattform gibt es zusätzliche Queraussteifungen, damit die Windlast in den Turm eingeleitet wird. Schließlich darf das Gerüst nicht schwanken“, sagt Jobst Jaekel, Mitarbeiter des städtischen Hoch- und Tiefbauamtes. Auch er setzt sich nun seinen Helm auf und nimmt die Metallstufen nach oben. Vorbei geht es wieder am schnurrenden Bohrhammer. Immer höher. In der Etage mit dem 2,50 Meter hohen Stadtwappen bleibt Jaeckel stehen.

Weites Panorama

Golden glänzt die Stadtmauer in der Sonne, auch sonst hat das Zeichen die Zeit seit einer letzten Restaurierung Anfang der 1990er-Jahre gut überstanden. Ein paar Taubenköttel liegen nur auf ihm. Vom Originalwappen wurde damals ein Abguss hergestellt. Die Witterung hatte ihm über die Jahrhunderte zugesetzt. Jobst Jaeckel greift hinter das Schild. Ziegel ist zu sehen. „An dieser Stelle sind die ersten Mauerbrocken vor drei Jahren herausgebrochen und herabgefallen“, sagt er. Bei den Untersuchungen des Bauwerks fiel dann auch die marode Decke der Kuppel auf. Die von Holzwürmern zerfressenen Überreste liegen eine Etage weiter oben. Nur von den harten Jahrgängen im Stamm haben die Schädlinge ein paar löchrige Fasern übriggelassen. Ihren Transport nach unten übernimmt der Lastenaufzug.

Entsorgt sind dagegen bereits die Balken mit Hausschwamm und der Rasenbewuchs auf den Betonvorsprüngen. „Da hätten Sie mit dem Rasenmäher rüber gehen können“, sagt Jobst Jaeckel und steigt weiter. Jetzt gibt es keinen Handlauf mehr, stattdessen muss er eine Klappe öffnen. Auch die Baunetze fehlen. Das Panorama zeigt im Norden dampfend Boxberg und Schwarze Pumpe, davor ruht still der Stausee. Im Süden küssen die Wipfel des Oberlausitzer Berglands den Himmel. Der Wind zerrt an den Jacken. Am Boden ging kein Lüftchen. In knapp fünfzig Meter Höhe weht eine kalte Brise.

Den Wolken ein Stück näher ist auch zu sehen, wie die Turmhaube künftig aussehen wird. Platten aus schwerem, dafür leicht biegsamem Saturnblei sind in diesem Bereich in Abstimmung mit den Denkmalbehörden probeweise an die Außenmauer genietet. Die Spezialfirma kommt aus Dresden, die anderen Sanierungsarbeiten haben hiesige Unternehmen übernommen. Pünktlich zum Wenzelsmarkt soll die Sanierung beendet sein. Bis dahin werden die Bauarbeiter mehrmals täglich die 550 Sprossen hoch- und runtersteigen.