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Ganz nah dran an der Kundin

Susann Kießler führt das Miederwarengeschäft ihrer Oma weiter. Und setzt sich dafür auch mal auf die Schulbank.

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© Arvid Müller

Von Ines Scholze-Luft

Weinböhla. Wussten Sie, dass der richtige BH darüber entscheiden kann, ob ein Tag positiv läuft oder eher nicht? Auf die Frage eines großen deutschen Herstellers dürften viele Trägerinnen verständnisvoll lächeln. Da ist es schon verwunderlich, dass 60 Prozent der Frauen in Deutschland einer aktuellen Studie zufolge mit einem BH in der falschen Größe unterwegs sein sollen. Susann Kießler, Inhaberin des Geschäfts Figur und Chic auf der Hauptstraße in Weinböhla, kann sich das aber durchaus vorstellen. Ihrem Blick entgeht es nicht, wenn sich Einschneidendes unterm T-Shirt abzeichnet. Oder wenn bei bestimmten Bewegungen urplötzlich die Brust verrutscht.

Ob zu eng oder zu groß – in jedem Fall ist der unpassende BH nicht nur ein optisches Problem. Sondern auch zuständig für Schmerzen in Rücken, Nacken und Schultern. Damit das ihren Kundinnen nicht passiert, nehmen die 29-Jährige und ihre Mitarbeiterinnen Maß, wenn es Fragen gibt. Dann verschwindet die selbstbewusste, freundliche Fachfrau mit zur Anprobe in der Kabine. Sie kennt die Probleme genau. Nicht nur die Brust verändert sich. Mancher BH wächst mit, dann ist die eigentliche Größe passé. Auch die BHs unterscheiden sich, ständig gibt es neue Schnitte. Ums Anprobieren kommt da niemand herum. Sorgfältiges Ausmessen, Unterbrustumfang und höchster Punkt der Brust, hilft bei der Suche nach der richtigen Größe.

Um auf dem neuesten Stand zu sein, lässt Susann Kießler sich bei der Firma Triumph weiterbilden. Damit sie auch die allerneueste Entwicklung kennt. Bei Material, Verarbeitung, Zubehör. Jetzt sind alle Seminare besucht, ist sie Triumph-Spezialistin. Den Preis dafür gab es vor Kurzem.

Obwohl weitere Markenware im Laden zu finden ist, bildet Triumph das Hauptsortiment. Wie bei Kießlers Oma Christine Reiser, die Figur & Chic vor fast einem Vierteljahrhundert in Weinböhla gegründet hat. „Ich bin sozusagen mit dem Geschäft groß geworden, habe einen Draht zu der Marke“, sagt die junge, modisch gekleidete Frau. Sie ist überzeugt von den Produkten, von der Vorleistung ihrer Oma, hätte sonst wohl kaum das Geschäft übernommen.

Eigentlich will sie Lehramt studieren. Doch wer wird Nachfolger bei Figur & Chic? Du musst das nicht machen, sagt Christine Reiser ihrer Enkelin. Die weiß, wie sehr ihrer Großmutter das Geschäft am Herzen liegt. Sie hat es aufgebaut nach ihrer Zeit als Leiterin einer Konsumverkaufsstelle. Die es nach der Wende nicht mehr gab. Aber die Erfahrungen aus der Wäscheabteilung. Christine Reiser riskiert den Schritt in die Selbstständigkeit. Zieht viermal um in Weinböhla, weil das Geschäft wächst. Und steckt Enkelin Susann an mit ihrer Begeisterung dafür.

Leise Musik erklingt im Ladenraum. Auf Ständern und Regalen liegen BHs, Hemden, Slips in vielen verschiedenen Designs. In einer kleinen Vitrine Strumpfband und Hüftgürtel in aufregendem Rot. Ein Set mit Hemdchen und Höschen – blütenbunt und spitzenbesetzt – schmückt eine Schaufensterpuppe. Jugendlicher Schick. Susann Kießler denkt auch die jungen Mädchen. Oft bringen Mütter ihre Töchter mit oder schenken mal einen Gutschein, erzählt die Geschäftsfrau.

Viele Stammkunden schauen vorbei. Da will die Wäscheexpertin Qualität bieten. Und etwas für jeden Geldbeutel. Das richtet sich nicht zuletzt nach Komfort und Funktion der Produkte. Immerhin besteht ein BH aus 128 Einzelteilen, alles handgenäht. Auch bei den Exemplaren in den Randgrößen, auf die sich Figur & Chic spezialisiert hat, vom kleinsten Cup, Doppel-A, bis zum größten, I.

Susann Kießler macht der Umgang mit den zarten Sachen sichtlich Freude. Sie bereut es nicht, ihren Berufsweg darauf abgestimmt zu haben. Absolviert nach dem Abitur die Ausbildung als Handelsfachwirtin, steigt 2009 in den Betrieb der Großmutter ein, übernimmt ihn 2013. Anfangs mit ein wenig Bedenken, ob die Kundinnen ihr ebenso vertrauen wie ihrer Vorgängerin. Weil es ja schon fast eine intime Sache ist, viel Feingefühl erfordert, so nah dran an der Kundin zu sein.

Es wird ein nahtloser Übergang. Susann Kießler ist glücklich, dass sich ihre Ängste ins Nichts auflösten. Auch wenn mancher heute noch sagt: Wir gehen zu Frau Reiser. Kein Nachteil für die junge Inhaberin. Die von zwei Mitarbeiterinnen unterstützt wird. Und von der Oma, die manchmal aufpasst auf Susann Kießlers Söhne, zwei und vier Jahre jung.

Obwohl das Geschäft derzeit recht gut läuft, denkt sie auch über die Zukunft nach. Will immer mal was Neues anbieten, wie jetzt die Kindernachtwäsche, die sie nach Schließung eines Modeladens im Ort ins Sortiment aufgenommen hat. Um zu sehen, ob das auf Dauer ankommt. Wie die verführerischen BHs in der Auslage – ein Blickfang, nicht nur für die Damen.