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Galileos große Grübelei

Ein Schülerteam um Justus Woldt ebnet per Handy-Navi Rollstuhlfahrern den Weg durchs Stadtzentrum.

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© Sven Ellger

Von Nadja Laske

Das Hemd sitzt akkurat. Haare frisch geschnitten. Mit Bedacht wählt Justus seine Worte, wirkt cool und souverän. Schlappen bei der Powerpoint-Präsentation leistet sich der Schüler nicht und ist damit etlichen Profis voraus. Alles perfekt vorbereitet. Ungewöhnlich, dass Teenager eine Pressekonferenz bestreiten. Den 17-Jährigen beeindruckt das nicht, aber er will beeindrucken – mit einem Angebot, das vielen Menschen helfen wird.

Als ob der Wechsel von der Grundschule zum Gymnasium einem Fünftklässler nicht schon genug abverlangt, mischte Justus Woldt schon vor sechs Jahren bei den „Galileos“ mit. Das sind Schüler der fünften bis zwölften Klasse des Marie-Curie-Gymnasiums, die sich vorgenommen haben, das globale Satellitennavigationssystem „Galileo“ für hier und jetzt, für Menschen dieser Stadt und ihren Alltag zu nutzen. Ihrem Projekt haben sie den entsprechenden Namen gegeben. Rund 15 Mädchen und Jungen arbeiten neben Unterricht, Hausaufgaben, Paukerei daran mit.

„Vor 13 Jahren ist der Opa eines Schülers ganz plötzlich auf einen Rollstuhl angewiesen gewesen“, sagt Justus. Auf ihn gehe die Idee zurück, gehbehinderte Menschen sicher und effektiv durchs Stadtzentrum zu lotsen. Am Gymnasium gründete sich die Arbeitsgruppe Galileo, passend zum naturwissenschaftlichen Profil der Schule. Unter Anleitung einer ehemaligen Lehrerin, die dafür den Ruhestand allzu oft ruhen ließ, erforschten die Schüler monatelang die Innenstadt, begutachteten Wege, Treppen, Straßenübergänge, Bordsteine, Rampen. Die Daten trugen sie zusammen und speisten damit ein Computerprogramm, das Fachleute für das Vorhaben extra entwickelt hatten. Das Ergebnis waren drei Stadtrundgänge: eine feste Route für Nutzer ohne Beeinträchtigung, eine ebensolche für Rollstuhlfahrer und eine flexible Variante. Sie erlaubt, die Sehenswürdigkeiten nach freigewählter Abfolge anzusteuern, barrierefrei oder nicht.

Im Wettlauf mit der Technik

Doch die Technik und die Ansprüche der Zielgruppe waren dem Team ständig auf den Fersen. „Anfangs funktionierte das Leitsystem über ein PDA-Gerät“, sagt Justus. Der sogenannte Personal Digital Assistent ist ein tragbarer Computer, der, mit dem entsprechenden Programm ausgestattet, auf GPS-Basis die Routen auf seinem Display abbildete. Doch wer will heute noch ein extra Gerät umhertragen? Der Service des Lebens funktioniert via Smartphone. Ein Handy hat fast jeder stets griffbereit und will sich damit durch die Stadt navigieren lassen. Dank Google kann da nicht viel schiefgehen, ganz egal, ob man in New York, Barcelona oder Kapstadt nach Adressen sucht. Auch geführte Stadtrundgänge gibt es. Vorausgesetzt, man ist gut zu Fuß.

Wer nicht, der trifft zumindest in Dresden überall auf Schwierigkeiten: zu hohe Bordsteine, zu steile oder zu schmale Gehwege, zu enge Türen, jede Menge Treppenstufen und nicht behindertengerechte Toiletten. Die Erfindung der Galileos wurde sogar bei einem Ideenwettbewerb ausgezeichnet. „Doch das System hatte seine Schwächen. Zum Beispiel musste das nötige Programm von einem zum nächsten Gerät überspielt werden“, erklärt Justus. Einfach herunterladen ging nicht. Früher oder später sollte es eine bessere Lösung geben.

Es wurde später daraus. Nicht etwa, weil die jugendlichen Neuerer die Lust verloren hatten. Im Gegenteil. Aus dem Uniklinikum Dresden erreichte sie eine Anfrage des Uniklinikums. Die Krankenhausverwaltung arbeitete schon länger an einem guten Wegeleitsystem durch die Klinikstadt zwischen Pfotenhauer- und Fiedlerstraße. Dort können Patienten und Besucher auf der Suche nach einer bestimmten Station oder Poliklinik schier die Nerven verlieren. Ein komfortabler Navigator für Smartphones sollte es erleichtern, sich besser und schneller zurechtzufinden. Das Galileo-Team legte los. Das war vor zwei Jahren. Die Jugendlichen nutzen ihre Erfahrungen mit der Entwicklung des elektronischen Stadtführers, sammelte Informationen über Wege und Zugänge zu jedem einzelnen Klinikgebäude und zu den Stationen, Cafeterien, Therapiezentren. „Wir haben alles genau beschrieben, Fotos gemacht und von Fachleuten eine App programmieren lassen.“ Vergangene Woche stellten Justus und andere Schüler zusammen mit Vertretern der Uniklinik das Ergebnis auf einer Pressekonferenz der Öffentlichkeit vor.

Eine große Leistung ist geschafft. „Jetzt kehren wir zum Stadtrundgang zurück“, sagt Justus. Der soll künftig ebenso als App funktionieren. Die Galileos stellen sich der nächsten großen Grübelei. Mal stecken sie wie Justus einen ganzen Sonnabend in das Projekt, mal ein paar Stunden im Monat, je nachdem, welche Arbeiten nötig sind. „Egal, wie viel Mühe es kostet, die tolle Erfahrung ist unsere Belohnung.“ „Was wir machen, hat Bezug zur Praxis. Wir sitzen ja nicht nur am Computer, sondern sind draußen unterwegs.“

Mit Rollstuhlfahrern hat Justus im Freundes- und Familienkreis bisher nichts zu tun. „Aber ich kann mir inzwischen gut vorstellen, wie schwer sie es auf ihren Wegen haben.“ In Informatik, Mathematik, Teamgeist, Geografie, Fotografie üben sich die Galileos. Und in Empathie.