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Galerie wird zum blühenden Garten

Helga Luzens zeigt Stillleben Dresdner Künstler des 20. Jahrhunderts. Mit einigen Entdeckungen.

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© Thomas Morgenroth

Von Thomas Morgenroth

Dittersbach. Ein Totenschädel, die Ruine einer Kirche, ein Christuskreuz, Stacheldraht und ein Löwenzahn, bereit seine Schirmchen dem Wind zu überantworten: Das sind die Zutaten eines Stilllebens des Dresdner Malers Erich Lindenau (1889-1955). Das Aquarell erzählt vom Sterben und von Zerstörung, aber auch von der Hoffnung, dass es ein Leben danach geben wird. Was wie eine alptraumhafte Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg und das zerbombte Dresden aussieht, entstand lange vorher, sogar noch vor Hitlers Machtantritt: Es ist eine „Düstere Vorahnung“, die der Künstler bereits 1931 hatte.

Lindenaus Menetekel gehört zu einer Ausstellung mit Malerei und Grafik von Dresdner Künstlern in Dittersbach bei Stolpen. Konzentriert auf das zwanzigste Jahrhundert, zeigt die Galerie im Hofmannschen Gut mehr als neunzig Bilder aus einer namentlich nicht benannten Dresdner Privatsammlung, die sonst nicht zu besichtigen sind. Bereits zum zweiten Mal hat Galeristin Helga Luzens daraus einige Schätze gehoben, die sie bis Ende September in der ehemaligen Scheune präsentiert.

Diesmal sind es ausschließlich Stillleben, die in der dörflichen Idylle an den hohen Wänden und an Balken hängen oder unter Glas auf Tischen und in Vitrinen ihre Schönheit entfalten. Es ist eine vorwiegend heitere Ausstellung, in der es grünt, blüht und fruchtet, als ob man in einem Garten wäre. Unaufgeregt nehmen sich die Künstler der Motive an, oft auch zeitlos, ungeachtet der malerischen Epochen, in denen sie sich befanden oder noch befinden. Die Ausstellung feiert vor allem die klassische gegenständliche Malerei, beginnend vom Impressionismus über den Jugendstil und die Neue Sachlichkeit bis hin zum Realismus der Nachkriegszeit und der Gegenwart.

Mancher, wie der junge Otto Westphal (1878-1975), malte noch im Jahre 1911 in altmeisterlicher Lasurtechnik ein bis ins Detail ausgearbeitetes „Stillleben mit Pfirsichen und Kupferschale“. Fast fünfzig Jahre später holte er sich dann einen Strauß mit „Rittersporn und Madonnenlilien“ ins Atelier und malte die Farbenpracht großzügig in natürlicher Größe, ein zeitloses Bild, das noch heute sehr frisch wirkt. Daneben entfalten ebenfalls auf ungewöhnlich großen Formaten Sonnenblumen von Max Erich Nicola (1889-1958) und von Hanns Oehme (1899-1944) ihre gelbe Pracht.

Viele der in Dittersbach vertretenen Künstler, die Birnen, Quitten, Tulpen, Feuergladiolen, Disteln, Pilze oder Pompondahlien auf Leinwand oder Papier brachten, gehören zu den bekannten Dresdner Malern und Grafikern des vergangenen Jahrhunderts. Deren Namen sind mitunter berühmt, wie Wilhelm Lachnit, Wilhelm Rudolph, Rudolf Nehmer, Willy Kriegel, Karl Kröner, Arno Drescher, Erich Gerlach, Hans Körnig, Irena Rüther-Rabinowicz oder Richard Sander, der 1987 verstorbene Lehrer des Landschaftsmalers Jochen Fiedler aus Cunnersdorf bei Hohnstein.

Fiedler, gerade 55 geworden, ist in der Ausstellung nur deshalb nicht vertreten, weil der Sammler noch keine Arbeit von ihm hat. Dafür aber reihen sich andere zeitgenössische Künstler nahtlos in die Schau ein, wie Jürgen Wenzel und Anton Paul Kammerer von der Künstlergemeinschaft B53 aus Burgstädtel bei Dohna oder Klaus Drechsler, Jahrgang 1940, ein Meister der mehrfarbigen Algraphie, einer grafischen Ätztechnik, von dem Helga Luzens ein „Kürbisstillleben“ ausgewählt hat.

Eine Entdeckung und ein Höhepunkt der Ausstellung ist das 1933 entstandene Aquarell „Schwertlilien“ von Kurt Lohse (1892-1958), bis 1935 Ehemann der Malerin Elfriede Lohse-Wächtler, die 1940 von den Nazis auf dem Pirnaer Sonnenstein ermordetet wurde. Lohse, der in den Zwanzigerjahren mit seiner Frau zur künstlerischen Avantgarde in Dresden gehörte, hatte mit Otto Dix (1891-1969) an der Kunstgewerbeschule Dresden studiert und mit ihm eine Studienreise nach Italien unternommen.

Mit Otto Dix war auch der 1930 geborene Maler, Grafiker und Bildhauer Hermann Naumann befreundet, der ebenfalls in der Ausstellung vertreten ist. Eines der Bilder, das „Stillleben mit Pilzen“, hat er sogar in Dittersbach gemalt, in seinem Atelier, das sich direkt über der Galerie befindet. 1994 ist Naumann von Dresden aufs Land gezogen – mit Helga Luzens, seiner Frau.

Während er auch mit 87 Jahren noch täglich an der Staffelei steht, holt sie seit nunmehr neunzehn Jahren vor allem Dresdner Kunst in die Provinz. Auch die aktuelle Schau, zu der ein Katalog erschienen ist, lohnt die kleine Reise. Allein, um den gemeinhin als braven Blumenmaler geltenden Erich Lindenau als mahnenden Visionär zu entdecken. Das ist nur im Hofmannschen Gut in Dittersbach möglich.

„Dresdner Künstler im 20. Jahrhundert II“, bis 28. September im Hofmannschen Gut Dittersbach, geöffnet Donnerstag 15-19 Uhr und Sonnabend 11 bis 16 Uhr oder nach Anmeldung: 035026 91641 ; Galeriekonzert am 26. August, 17 Uhr, mit dem Dresdner Trio Azulão und lateinamerikanischer Musik; Finissage am 24. September mit Kati Grasse und einem Hildegard-Knef-Programm.