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Fundgrube Nikolaivorstadt

Der Verleger Gunter Oettel hat ein historisches Haus an der Lunitz in Görlitz saniert und dabei ganz Erstaunliches entdeckt.

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© nikolaischmidt.de

Von Ingo Kramer

Görlitz. Ein Kleingarten irgendwo in einer Sparte kam für Gunter Oettel nie infrage: „Ich hätte gar keine Zeit, da regelmäßig hinzugehen“, sagt der 56-Jährige, der seit 20 Jahren als Verleger selbstständig ist. In der Lunitz 5 aber hat er alles an einem Fleck: Ein Haus, das groß genug ist, um darin mit seiner Frau Cornelia Wenzel zu leben und gleichzeitig in einem schönen Raum im ersten Stock Verlagskunden zu empfangen. Und einen erstaunlich großen, langgezogenen Garten hinter dem Haus, in dem jede Menge grüne und blühende Stauden und Sträucher wachsen. Diese Idylle ist für ihn der perfekte Ort, um zwischendurch mal für eine halbe Stunde nach draußen zu gehen und etwas zu erledigen.

Vor der Sanierung war das Haus Lunitz 5 in der Nikolaivorstadt in einem schlechten Zustand
Vor der Sanierung war das Haus Lunitz 5 in der Nikolaivorstadt in einem schlechten Zustand © nikolaischmidt.de
Vor der im Jahr 2000 erfolgten Sanierung.
Vor der im Jahr 2000 erfolgten Sanierung. © privat

Dass er irgendwann mal ein Einfamilienhaus in Görlitz sanieren würde, war Gunter Oettel nicht in die Wiege gelegt. Er stammt aus dem Erzgebirge, wuchs in Freiberg auf, studierte in Dresden Geschichte und promovierte zu einem archäologischen Thema. Erst dann verschlug es ihn weiter gen Osten in die Heimat seiner Frau, die in Görlitz aufgewachsen ist. Nach einigen Zwischenstationen in Zittau und Bad Muskau landete das Paar schließlich hier – und lebte in einer Wohnung in der Neißstraße. „Alle Zimmer waren nach vorn zur Straße raus“, erinnert sich Oettel. Das sei nicht optimal, wenn man nachts schlafen wolle. Zudem gab es für den Verlag dort nur ein kleines Zimmer: „So kam der Gedanke, dass wir uns verändern müssen.“

Von Museumsdirektor Jasper von Richthofen, der selbst in der Lunitz lebt und mit dem Oettel damals gerade an einem Buchprojekt arbeitete, erfuhr er, dass das Haus Lunitz 5 noch zu haben ist. Das völlig unsanierte Gebäude war in mehrere Mietwohnungen aufgeteilt. In einer davon lebte damals sogar noch eine alte Frau unter einfachsten Bedingungen. Allerdings war das Gebäude von oben und unten feucht. Im Dach fingen zahlreiche Zinkwannen das Regenwasser auf, die Balken waren zum Teil schon durchgefault, von unten stieg Grundwasser auf. Schädlings- und Schwammbefall prägte das Haus.

Die Idee, ein altes Haus zu sanieren, gefiel Oettel dennoch – also gab er bei der damaligen WBG (heute Kommwohnen) ein Kaufangebot ab. Im zweiten Anlauf war er erfolgreich. Das war im Jahr 1999. Kurz darauf zog die alte Frau aus, sodass er das Haus im Jahr darauf sanieren konnte. Die Genehmigungen brauchten lange, aber von September bis Weihnachten 2000 war das Haus eine einzige Großbaustelle. Dann zog das Ehepaar – wegen der Fördermittelbedingungen – noch im alten Jahr ein, während noch alle Gewerke vor Ort waren. Hinterher waren aber nur kleinere Restarbeiten offen. Wie es gelungen ist, das marode Haus binnen drei Monaten zu sanieren, kann sich Oettel selbst nicht so recht erklären. „Wir haben die Hauptarbeiten allesamt an eine Firma vergeben, das hat sicher vieles vereinfacht“, sagt er. Zudem hätten die Firmen gute Leistungen erbracht und die Zusammenarbeit mit der Denkmalpflege auch funktioniert.

Was er konnte, machte er selbst, wenn auch teilweise vergeblich: „Ich habe die Decken abgewaschen, die dann am Ende doch rausgeflogen sind.“ Das war vorher nicht geplant, aber der Zustand war viel schlechter als gedacht. Eigentlich blieb nur eine Decke erhalten: Das Gewölbe im Parterre. Doch selbst das wurde für die Dämmung von oben freigelegt. Auch die Bauleitung übernahm er selbst – nicht zuletzt, um Kosten zu sparen: „Durch die Arbeit konnte ich es mir einrichten, tagsüber auf der Baustelle zu sein.“ Seine Verlagskunden hat er kurzerhand hier empfangen. Wenngleich die Decken alle ersetzt werden mussten, so konnte doch vieles andere erhalten werden, etwa die Wände, aber auch fast alle Türen. Oettel brannte sie selbst ab.

Oft sei die Baustelle auch sehr spannend gewesen – die reinste Fundgrube. So wurden nach einem Brand die verkohlten Dielen einfach zugeschüttet und darüber neu gebaut: „Darunter habe ich viel zerschlagenes Küchengeschirr gefunden, eine halbe Kücheneinrichtung.“ Manches klebte er mühevoll wieder zusammen, etwa zwei alte Wasserkochtöpfe, die heute zur Deko im Verlagsraum stehen. In den Decken lagen mumifizierte Mäuse. Auch im Garten finden sich noch heute regelmäßig Münzen und Keramikscherben. „Mit einem archäologischen Auge schaut man engagierter als ein Laie“, sagt Oettel.

Etwas wirklich Wertvolles hat er aber im Haus nicht vorgefunden. Kein Wunder, sagt der Hausherr: „Das war früher eine proletarische Wohngegend.“ Trotzdem sei die Sanierung interessant gewesen und er hat sie nie bereut. Zwar könnte er sich auch vorstellen, in einem neu gebauten Architektenhaus zu wohnen, aber die Sanierung habe ihren besonderen Reiz: „Es ist spannend, was hier an Geschichte drin steckt.“ Immerhin sei es die älteste Wohngegend in Görlitz. Wer ein altes Haus will, der wird mit der Situation glücklich, sagt der Verleger: „Man muss eben über bestimmte Dinge hinwegsehen können.“ Etwa, dass der Putz nicht überall glatt ist: „Das Haus ist eben alt.“ Und manches ist auch eng, vor allem das Treppenhaus. Beim Einzug mussten manche Möbel durch das Fenster im Obergeschoss kommen statt durch die Tür.