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Für immer süß

Die Manufaktur Wendt & Kühn zeigt in der neuen Erlebniswelt zum 100. Firmenjubiläum ihr Geheimnis des Erfolgs.

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© Thomas Kretschel

Von Nora Miethke

Viele Menschen verstecken ihre Schätze vor der Öffentlichkeit, um sie zu schützen. Die Manufaktur Wendt & Kühn in Grünhainichen stellt ihren aus. Der Schatz – das ist eine Glasvitrine voll mit 600 Figuren, Spieldosen, kleinen Truhen, Lampenschirmen und natürlich den Engeln mit den elf weißen Punkten auf grünen Flügeln. Nur ein Schatz im Schatz ist die Krippe, die Grete Wendt im Auftrag von Karl Schmidt, dem Gründer der Hellerauer Werkstätten, angefertigt hat. Insgesamt umfasst die Mustersammlung 2 500 Figuren. Sie sollen künftig in wechselnden Ausstellungen den Besuchern die Vielfalt des Erbes zeigen, auf dem der Erfolg der Manufaktur bis heute fußt. „Wir wollen mit unserem Schatz, den wir haben, mehr arbeiten“, sagt Geschäftsführerin Claudia Baer, geborene Wendt. Sie leitet den Familienbetrieb gemeinsam mit ihrem Bruder in dritter Generation seit 2011.

Mit dem Aufstellen dieser kleinen Engel mit den elf weißen Punkten auf grünen Flügeln beginnt für Generationen in Ost und West die Adventszeit. Foto: dpa/Jan Woitas
Mit dem Aufstellen dieser kleinen Engel mit den elf weißen Punkten auf grünen Flügeln beginnt für Generationen in Ost und West die Adventszeit. Foto: dpa/Jan Woitas © dpa

Der Musterschrank ist auch Herzstück der neuen Erlebniswelt, die morgen eröffnet wird – als Auftakt der Jubiläumswoche zum 100. Firmengeburtstag. Am 1. Oktober 1915 gründeten Margarete Wendt und Margarete Kühn, beide Absolventinnen der Königlich-Sächsischen Kunstgewerbeschule Dresden, die offene Handelsgesellschaft Wendt & Kühn. Grete Kühn, die 1920 nach ihrer Heirat aus der Firma ausschied, gestaltete Truhen und Spanschachteln. Grete Wendt arbeitete figürlich. Statt die Beine der hölzernen Musikantenengel aus winzigen Brettchen zu machen, nutzte sie erstmalig Drehteile und bekam so mehr Beweglichkeit in die Figuren. Daher auch die knubbligen Beine.

Bislang mussten die Fans der Grünhainicher Engel und Blumenkinder immer auf die jährlichen Schautage warten, um einen Blick in die Produktion werfen zu können. Das können sie nun ganzjährig, ohne die 172 Mitarbeiterinnen bei der Arbeit zu stören. In der 270 Quadratmeter großen Erlebniswelt empfinden die Besucher interaktiv nach, wie ihre Lieblinge entstehen: Sie können die einzelnen Figurenteile samt der Millimeter großen Engelslocken zusammenkleben ohne Leim an den Fingern , die Holzkörper auf der Tauchnadel in das weiße Farbbad tauchen, ohne Farbkleckse auf der Jacke und am Bildschirm sehen, wie es in echt funktioniert. Am Ende des Rundgangs wird – sieben Stunden am Tag, sieben Tage die Woche – eine Malerin sitzen und sich mit Fragen löchern lassen. 20 von 70 Malerinnen haben sich freiwillig für diesen speziellen Dienst gemeldet, der nicht nur eine ruhige Hand, sondern auch gute Nerven erfordert. Zum Schluss ist dann noch ein Erinnerungsfoto vor der 3-D-Fotokulisse möglich. Das sei vor allem ein Angebot für die jüngeren Besucher, so Baer.

Diese digitale Vermittlung erzgebirgischer Volkskunst macht deutlich, wofür die Wendt & Kühn-Welt seit 100 Jahren steht – für die Mischung aus Tradition und Zeitgeist. „Die Gründerinnen haben eine zeitlose Formensprache entwickelt, auf die wir uns nach wie vor stützen. Das ist die Stärke der Marke“, betont die Manufakturchefin. Sie bezeichnet ihre Großtante Grete Wendt und ihre Großmutter Olly Wendt, die seit 1920 in der Firma mitarbeitete, als „moderne Designerinnen ihrer Zeit“. Sie seien offen gewesen für neue Techniken und neue Materialien. Mit dem Erbe der Formensprache gehen die Nachfahren behutsam um. „Wir erfinden nichts neu, sondern legen nur Figuren wieder auf, bringen Varianten von Entwürfen oder Entwürfe heraus, die noch nie verwirklicht worden sind“, sagt Baer. Sie selbst ist studierte Ökonomin und hat als Kind zwar gern in den Farbtöpfen gerührt, aber nach eigenen Angaben das künstlerische Talent ihrer Omi, wie sie Olly Wendt liebevoll nennt, nicht geerbt. So besteht das Verkaufssortiment aus rund 400 Figuren, Spieldosen und Wanduhren. Für jeden Musikantenengel, der neu im Orchester Platz nimmt, verschwindet ein anderer vorübergehend in der Schublade.

Klare Regeln für Händler

Doch die Familie vertraut nicht nur auf eine unveränderte Formensprache als Erfolgsgarant. Zur Stärkung der Marke wurde 2011 ein sogenanntes selektives Vertriebssystem eingeführt. Das heißt, das Händlernetz wurde in Deutschland von einst über 1 000 auf 750 Fachhändler ausgedünnt. „Wir hatten nicht unbedingt 1 000 Händler, eher 1 000 Adressen, an die wir lieferten“, stellt Baer klar. Alle Händler wurden besucht. Dabei stellte sich heraus, dass man den Niedergang einiger infolge des Ladensterbens und verödender ostdeutscher Einkaufsstraßen gar nicht mitbekommen hatte. Wer heute Wendt & Kühn-Artikel verkaufen will, muss elf Qualitätskriterien erfüllen, damit Präsentation, Service und Beratung einem hochwertigen Markenartikel entsprechen. Wichtigste Regel, der Händler muss Wendt & Kühn das ganze Jahr über im Sortiment haben. Die Kunden sollen nicht nur Engel für die Adventsdekoration kaufen, auch Blumenkinder und Beerensammler zum Muttertag oder Schulanfang sind gefragt. Es komme darauf an, die gesamte Vielfalt zu zeigen.

International sorgen 250 Händler in 26 Ländern dafür, dass die kleinen Figuren aus Grünhainichen bekannt werden. Zu DDR-Zeiten lag die Exportquote bei 97 Prozent. Fast alle Engel und Spieldosen gingen in den Westen. Heute wird bis 2020 eine Exportquote von zehn Prozent angestrebt. Damit wäre die Kapazität der Manufaktur fast ausgeschöpft. Unbegrenztes Wachstum der himmlischen Heerscharen mit den elf weißen Punkten ist nicht möglich. Obwohl die Engelfabrik einer der attraktivsten Arbeitgeber in der erzgebirgischen Holzkunst ist und mit neun Azubis den eigenen Nachwuchs ausbildet, herrscht Fachkräftemangel. „Wirklich schwierig ist die Suche nach Malerinnen“, so Baer. Nicht der Mindestlohn, die Rente mit 63 war in diesem Jahr die eigentliche Herausforderung. Die Lücke, die der überraschende Abschied von drei Kolleginnen riss, war nicht einfach zu schließen. Denn für eine konstante Produktion bedarf es Erfahrung.

So konzentriert sich Wendt & Kühn auf ausgewählte Märkte im Ausland – Skandinavien, Österreich, Schweiz und Japan. Dort ist der Absatz um ein Viertel im Vergleich zum Vorjahr gestiegen. Aber was verbinden Japaner mit den Holzfiguren aus dem Erzgebirge? Das Ritual des Auspackens der Kartons mit den Wendt-Engeln zum ersten Advent wohl kaum. „Der Einstieg kann auch über die Musik kommen“, sagt Baer. In Japan ist die Liebe zu klassischer Musik fast so ausgeprägt wie die Geschenkkultur. Von beidem profitiert die Manufaktur im fernen Sachsen.

Im Jubiläumsjahr wird ein Umsatzplus von rund 20 Prozent auf 10,5 Millionen Euro angepeilt. Üblich ist sonst ein jährliches Wachstum von drei bis vier Prozent. Der Schatz im Musterschrank liegt bereit, dass dies auch in den kommenden Jahrzehnten gelingen wird.