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Für eine russische Welt!

Rechtsextreme und Ultranationalisten nutzen den von Präsident Putin erfundenen „Tag der Nationalen Einheit“ gern für Aufmärsche. Dabei zeigt sich: Auch die Nazi-Szene in Russland steht unter dem Eindruck der Ukraine-Krise.

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© dpa

Von Ulf Mauder

Moskau. Das Zentrum von Moskau bleibt den russischen Rechtsextremen und Ultranationalisten am „Tag der Nationalen Einheit“ verschlossen. Die Organisatoren des jährlichen „Russischen Marsches“, bei dem Neonazis gern die Hände zum Hitlergruß strecken und rechte Parolen gegen Ausländer rufen, sehen sich an den Rand der Hauptstadt gedrängt.

Der Aufmarsch der Rechtsextremen dürfte dem Kreml im Ukraine-Konflikt kaum ins Bild passen. Immerhin hat die russische Regierung zuletzt immer wieder aufs Schärfste der neuen ukrainischen Führung faschistische Umtriebe im Land vorgeworfen - und Probleme mit Neonazis und Fremdenhass im eigenen Land unerwähnt gelassen.

Seit Monaten kämpfen außerdem viele Ultranationalisten und Patrioten aktiv im Konfliktgebiet Ostukraine an der Seite prorussischer Separatisten - eine Tatsache, über die das offizielle Moskau nur ungern spricht. Bis zuletzt befürchtete der Anführer der einflussreichen Nationalistenbewegung „Russkije“, Dmitri Djomuschkin, sogar ein Verbot des „Russischen Marsches“.

Doch dann marschiert am Dienstag in Moskau auch bei den Nationalisten eine Kolonne mit Anhängern der Separatisten - weniger als erwartet. In sozialen Netzwerken im Internet berichten viele, sie hätten Wichtigeres zu tun: „Hilfe für den Donbass“ organisieren. Djomuschkin betont aber, dass die ohnehin in viele Einzelgruppen zersplitterte Bewegung auch im Ukraine-Konflikt tief gespalten sei.

Auch Putin-Gegner unter den Nationalisten

Die rechte Szene in Russland hat längst auch Unterstützer der ukrainischen Nationalisten hervorgebracht, die einen Zerfall ihres Landes verhindern wollen. Es gebe zudem viele Putin-Gegner unter den russischen Nationalisten, sagt der Direktor des Menschenrechtszentrums Sowa, Alexander Werchowski. Diese Opposition sei der Meinung, dass die russischsprachige Bevölkerung in der Ukraine bleiben solle, meint der Analyst.

Werchowski sieht auch einen Wandel in der russischen Gesellschaft: in der Ukraine-Krise trete die verbreitete Fremdenfeindlichkeit gegenüber Gastarbeitern aus Zentralasien und dem Kaukasus in den Hintergrund. Das führe insgesamt zu weniger Zulauf für die radikalen Kräfte. Gleichwohl beklagt Sowa auch in diesem Jahr anlässlich des Aufmarsches der Rechtsextremen viele fremdenfeindliche Übergriffe, darunter 19 Todesfälle und 93 Verletzte.

Seit langen sieht sich der Kreml Vorwürfen ausgesetzt, zu wenig gegen Nationalismus und Fremdenhass zu tun. Im Ukraine-Konflikt warfen einige Menschenrechtler und Intellektuelle, aber auch westliche Politiker der russischen Führung sogar noch selbst Faschismus vor. Anlass war der vom Westen als Völkerrechtsbruch kritisierte Anschluss der Schwarzmeerhalbinsel Krim an Russland und die Unterstützung der Separatisten in der Ostukraine.

Lawrow: Moskau geht es um „Rettung der Sprache und Kultur“

Auch in dem von Putin immer wieder verkündeten Schutz russischer Bürger und in dem Einsatz für eine „Russische Welt“ sehen manche Kommentatoren einen neoliberalen Faschismus mit slawischer Färbung. Die russische Führung freilich weist solche Vergleiche mit einem blutigen Terrorregime wie dem von Hitler als absurd zurück. So verweist etwa Außenminister Sergej Lawrow anlässlich eines Kongresses der „Russischen Welt“ in Sotschi darauf, dass es Moskau heute um die Rettung der Sprache und Kultur gehe.

Im Stadtzentrum von Moskau kommen am Feiertag nach Polizeiangaben 75.000 Menschen bei einer Demonstration zusammen, um die Kremlpolitik zu unterstützen. Viele schwenken die Fahnen der Separatisten in der Ostukraine: Für die nicht anerkannten „Volksrepubliken“ Donezk und Lugansk und für Noworossija (Neurussland), wie die russisch geprägte Region der Ostukraine zu Zarenzeiten hieß.

Putin selbst erinnert gemeinsam bei einem Termin mit dem Moskauer Patriarchen Kirill einmal mehr an die große russische Geschichte. Vor genau zehn Jahren am 4. November führte er den „Tag der nationalen Einheit“ ein. Er erinnert an die Befreiung Moskaus von polnisch-litauischen Besetzern im 17. Jahrhundert. „Russland hatte nie Angst vor einem äußeren Feind“, sekundiert Kirill. Das Kirchenoberhaupt nutzt den Feiertag für einen Aufruf an die Russen, sich auch künftig keinem Druck von außen zu beugen. (dpa)