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„Für die Textil-Arbeiter bleibt kaum etwas übrig“

Der ehemalige Menschenrechtsbeauftragte Löning fordert von Firmen, sich einzumischen.

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Herr Löning, in Kleidungsstücken der Textilkette Primark haben Käufer eingenähte Hilferufe entdeckt, die auf die schlechten Arbeitsbedingungen in den Fabriken hinweisen. Die Firma vermutet eine Irreführung und Fälschung durch Kritiker. Reicht diese Reaktion?

Markus Löning (FDP) war Menschenrechtsbeauftragter der Bundesregierung, berät jetzt Firmen.
Markus Löning (FDP) war Menschenrechtsbeauftragter der Bundesregierung, berät jetzt Firmen. © dpa

Nein, das Unternehmen sollte die Vorwürfe ernst nehmen. Schließlich müssen wir davon ausgehen, dass die Löhne in manchen Zulieferfabriken tatsächlich zu niedrig und die Überstunden zu lang sind.

Wie kommen Sie zu dieser Vermutung?

Wenn ein Hemd im Primark-Geschäft nur fünf Euro kostet, ist es relativ unwahrscheinlich, dass die Beschäftigten in Bangladesch, Indien oder China ausreichende Löhne erhalten. Man muss ja vom Endpreis die Umsatzsteuer abziehen, Kosten wie Geschäftsmiete, Transport und Vertrieb, außerdem den Gewinn der Firma. Dann bleibt für die Arbeiterinnen und Arbeiter in der Herstellung kaum etwas übrig.

Die Kampagne für Saubere Kleidung räumt ein, dass Primark versucht, die Arbeitsbedingungen zu verbessern. Das Unternehmen bekennt sich zum Existenzlohn, der den Arbeiterfamilien Essen, Wohnung, Altersvorsorge und Bildung ermöglichen soll. Was kann der Konzern mehr tun?

Jedes Unternehmen, das auf globale Zulieferer angewiesen ist, muss mit diesen in einen intensiven Austausch treten. Es kann in den Lieferbedingungen zum Beispiel existenzsichernde Löhne vorschreiben. Die europäischen Unternehmen sollten die Fabriken aber auch dabei unterstützen, ihre Verpflichtungen einzuhalten.

Ist eine zuverlässige Kontrolle überhaupt möglich, wenn man in einer Firmenzentrale in Düsseldorf oder Dublin sitzt und eine Fabrik irgendwo in Indien überprüfen will?

Selbst ein scheinbar einfaches Produkt wie ein Oberhemd kann aus 40 bis 50 Teilen bestehen, die von zahlreichen Sublieferanten produziert werden. Die Produktionsketten sind deshalb komplex und verschachtelt. Den Auftraggebern bleibt nichts übrig, als bei der Endfertigung anzusetzen und Schritt für Schritt weiter zurückzugehen. Das ist ein mühevoller Prozess. Aber er ist notwendig.

In vielen Zulieferfabriken dürfen die Beschäftigten nicht über ihren Lohn verhandeln. Freiheit der gewerkschaftlichen Betätigung – wäre das nicht die wichtigste Verbesserung?

Ja, denn die wirksamste Kontrolle ist die, die die Beschäftigten vor Ort in ihrem eigenen Interesse ausüben.

Sollten Textilhändler wie beispielsweise H & M, C & A, Kik und Primark keine Aufträge an Zulieferfirmen in China erteilen, wo unabhängige Gewerkschaften verboten sind?

Die gute Nachricht: In China sieht man Bewegung. Wenn sich die Arbeiter zusammenschließen, machen Firmen und Partei Zugeständnisse. So haben die chinesischen Beschäftigten, die kürzlich in einer Schuhfabrik streikten, ihre Forderungen anscheinend durchgesetzt. Die europäischen Firmen sollten die Beschäftigten in solchen Auseinandersetzungen unterstützen.

Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) will ein neues Textilsiegel für faire Produktion. Eine gute Idee?

Solch ein No-Problem-Stempel wird der komplexen Lage nicht gerecht. In korrupten Staaten wäre er nur von begrenztem Wert, denn Unternehmen können dieses Zertifikat kaufen. Ich sehe keine Alternative dazu, dass die Auftraggeber mit ihren Zulieferern eng zusammenarbeiten, und Arbeitnehmervertretungen unterstützen.

Sie sagen, die Bundesregierung müsse einen umfassenden Ansatz entwickeln, um gerade mittelständische Händler hinsichtlich ihrer Verantwortung für die Produktionskette zu unterstützen. Warum haben Sie das nicht selbst gemacht, als Sie Beauftragter der Regierung waren?

Auch ich habe das Thema zu spät erkannt. Dass wir kaum vorangekommen sind, lag nicht zuletzt an der Blockade durch das Wirtschaftsministerium. Die Verweigerung dort halte ich für einen Fehler. Denn der Markt bewegt sich in Richtung verantwortungsvoller Unternehmensführung. Nicht nur viele Verbraucher verlangen das, sondern auch zahlreiche Investoren.

Das Gespräch führte Hannes Koch.