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Führerlos

In Sachsen wird an selbstfahrenden Zügen und Autos geforscht. Das soll den Wirtschaftsstandort stärken.

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Von Lars Radau

Martin Dulig nimmt auf dem Sitz für den Zugbegleiter Platz. Viel zu regeln hätte Sachsens Wirtschaftsminister im Cockpit des roten Regionaltriebwagens der Erzgebirgsbahn sowieso nicht. Selbst Betriebsleiter Wolfgang Leibiger, der bei den letzten Kilometern der Fahrt von Dresden nach Chemnitz am Gashebel sitzt, bekommt genaue Vorgaben. Auf dem Bildschirm eines Tablets im Führerpult wird ihm angezeigt, welche Geschwindigkeit er in diesem Moment zu fahren hat, um exakt pünktlich zu sein.

Dieser Golf fährt von ganz alleine. Ein Computer steuert alles, was das Fahrzeug tut. Auf der Teststrecke auf dem Flugplatz Jahnsdorf bei Chemnitz funktioniert das schon fehlerfrei.
Dieser Golf fährt von ganz alleine. Ein Computer steuert alles, was das Fahrzeug tut. Auf der Teststrecke auf dem Flugplatz Jahnsdorf bei Chemnitz funktioniert das schon fehlerfrei. © dpa

An den Stationen zählt das von den Bahnern „Fassi“ genannte Fahrplanassistenzsystem die Zeit bis zur planmäßigen Abfahrt hinunter. Gleichzeitig kommuniziert „Fassi“ über einen Web-Server mit anderen Verkehrsunternehmen, stellt seine Daten für Internet-Anwendungen und für stationäre Anzeigen bereit. Die Fahrgäste können so im Netz, auf dem Handy, an Bildschirmen im Bahnhof und selbst per Laufschrift auf dem Bahnsteig genau sehen, wann der Zug einrollt. Und die Fahrer von Anschlussbussen wissen, wie lange sie noch warten müssen.

Mehr Pünktlichkeit durch Technik

Das System soll die Pünktlichkeit und vor allem die Effizienz des Fahrbetriebes erhöhen, erklärt Sören Claus, der technische Leiter der Erzgebirgsbahn. Dass die Technik auch sekundengenau erfasst, wo sich der Zug gerade befindet, ist ein Baustein der Strategie, mit der der kleine Regionalbetrieb mit Verwaltungssitz in Chemnitz sich im großen Reich der Deutschen Bahn zu einem Vorreiter und Innovationsträger entwickelt hat.

Auf dem mit 217 Kilometern recht übersichtlichen Streckennetz, das bis Zwickau, Aue, Cranzahl und Olbernhau reicht, sollen ab dem Herbst erste Züge ganz ohne Lokführer fahren. Zurzeit, sagt Sören Claus, werde auf einem rund 30 Kilometer langen Streckenabschnitt ein Testfeld aufgebaut. In der Chemnitzer Werkstatt wird dafür ein Dieseltriebwagen umgerüstet und unter anderem mit Kameras und Sensortechnik ausgestattet. Das System solle Hindernisse zuverlässig erkennen und den Zug in solchen Fällen rechtzeitig stoppen. Später sollen auch umgerüstete Güter- und Rangierloks mit Autopilot in den Testbetrieb gehen.

Martin Dulig lauscht den Erläuterungen und ist sichtlich angetan. Autonome Verkehrssysteme und autonomes Fahren sind die ersten Schwerpunkte seiner „Innovationstour“, die der Minister an diesem Montag angetreten hat und die ihn noch bis Ende der Woche zu den unterschiedlichsten Projekten und Firmen im Freistaat führt. Für Dulig ist die Frage vernetzter Systeme, die dem Menschen im Führerstand oder hinter dem Lenkrad die Arbeit abnehmen, ganz offenkundig weniger eine Frage nach dem Ob, sondern eher eine Frage nach dem Wann. Das sei „in erster Linie eine kulturelle Geschichte“, ist der Verkehrsminister überzeugt. Schließlich steige die Mehrzahl der Passagiere ja auch ohne große Bedenken in Flugzeuge, die in der Regel zu mehr als 90 Prozent der Reisezeit bereits von Computern gesteuert würden. Er persönlich habe auch wenig Bedenken, sich in einen Zug zu setzen, der automatisch gesteuert wird. Der Triebwagen, dem Dulig dann in der Werkstatt der Erzgebirgsbahn aufs Dach steigt, bekommt allerdings keine Kamera- und Sensortechnik verpasst, sondern unter anderem einen Stromabnehmer und leistungsstarke Batterien eingebaut. Denn parallel arbeiten Sören Claus und seine Kollegen auch am „Ecotrain“, dem bundesweit ersten Prototypen eines Diesel-Hybridtriebwagens. Das Projekt wird mit rund fünf Millionen Euro vom Bund sowie mit zehn Millionen von der Deutschen Bahn gefördert. „Der Dieselmotor dient dann eher der Unterstützung“, sagt Claus. Beziehungsweise als Generator, der eine Lithium-Ionen-Batterie wieder auflädt. Sie bekommt ihre Energie auch beim Bremsen und über den Stromabnehmer aus der Oberleitung.

„Die muss gar nicht über der ganzen Strecke hängen“, betont Sören Claus. So wie früher für Dampfloks an der Endstation ein Wasserkran gestanden habe, könne für den „Ecotrain“ eine Art Stromtankstelle stehen, sagt der Technik-Experte schmunzelnd. Ebenfalls bis Herbst soll der Prototyp fertig sein, bis 2018 will die Erzgebirgsbahn die Serienreife und die Zulassung durch das Eisenbahnbundesamt erreicht haben, um dann eine erste Kleinserie von zwölf Fahrzeugen aufzubauen. Das System „Ecotrain“, an dem auch die TU Dresden, die TU Chemnitz sowie das Fraunhofer-Institut für Verkehrs- und Infrastruktursysteme in Dresden beteiligt sind, sei bewusst modular aufgebaut, sagt Claus. „Je nach den Anforderungen der Strecke kann der Antrieb individuell komponiert werden.“ Und mit „Fassi“ an Bord, das die topografischen Besonderheiten der jeweiligen Strecke kennt, kann das System jeweils „den optimalen Energiesplit zwischen Diesel und Elektro“ wählen. Langfristig, hofft Sören Claus, kann so auf Basis der ambitionierten Projekte bei der Erzgebirgsbahn ein Kompetenzzentrum für Hybridisierung und Digitalisierung entstehen – für den gesamten Konzern.

Spritztour im Elektroauto

Für Martin Dulig ist es schon qua Amt entscheidend, dass „viel Know-how und Wertschöpfung“ aus der Region und dem Freistaat im Projekt „Ecotrain“ und der Forschung zum autonomen Fahren gebündelt sind. Nächster Schauplatz ist der Flugplatz Jahnsdorf bei Chemnitz. Dort ist der Wirtschaftsminister Beifahrer in einem Elektro-Golf, den die Ingenieure des Autotechnikentwicklers IAV zum autonomen Mobil gemacht haben. Auf Knopfdruck surrt das Auto los. Wie von Geisterhand bewegt sich das Lenkrad. Automatisch wendet der schwarze E-Golf, wird schneller.

„Das macht er von ganz allein“, sagt IAV-Ingenieur Stephan Grimm – und nimmt zum Beweis die Hände hoch. Als eine rote Ampel in Sicht ist, bremst das Fahrzeug. Sobald die Anzeige auf Grün springt, geht es weiter, im Schritttempo. Erst nach ein paar Sekunden wird klar, warum: Versteckt zwischen parkenden Autos steht ein Mensch. Als das Auto beschleunigt, fragt Grimm per Sprachsteuerung seinen Kalender ab. Für den Rest des Tages sind keine Termine verzeichnet. „Das hätte ich auch gern“, seufzt Dulig – und hebt ebenfalls die Hände. Doch keine anderthalb Stunden ist der Minister umgestimmt – und legt seine Hände umso lieber um ein Lenkrad: Auf der letzten Station des Tages, die sich der Elektromobilität widmet, kann Dulig eine Spritztour mit einem Tesla-Sportwagen machen.