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Frühstart in die Chemie

Im Kinderlabor lernen Grundschüler erste Experimente kennen. Einige von ihnen kehren später in das Labor zurück.

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© Sven Ellger

Von Annechristin Bonß

Mit Essen spielt man nicht. Das weiß die zehnjährige Josefine genau. Doch an diesem Tag darf sie eine Ausnahme machen. Das Mädchen aus Weißig ist zusammen mit ihrer Schwester Isabella und zehn anderen Kindern aus der Hortgruppe an die TU Dresden gekommen.

Seit zehn Jahren bietet das Institut für Lebensmittelchemie hier das Kinderlabor an. Grundschüler lernen kleine Experimente kennen. Keine mit Chemikalien, die nur an Experten ausgehändigt werden. Sondern Experimente mit Dingen, die es in jeder Küche und in jedem Haushalt gibt: Zitronensaft, Speisestärke, Rotkohl, Milch, Backpulver oder Zahnpasta. Das Kinderlabor findet zweimal pro Jahr jeweils zwei Wochen lang statt. Zwölf Kinder können pro Termin kommen. Josefine ist das 2 000. Kind im Labor. Stolz zieht sie den weißen Kittel an. Zu Hause mit dem Papa hat sie schon oft experimentiert. Die beiden haben aus Salz Kristalle gezüchtet und beobachtet. Blau und rot haben die geschimmert. „Das macht Spaß“, sagt sie.

Genau das sollen die Kinder auch an der TU Dresden erfahren. „Ziel ist nicht, dass jeder von ihnen am Ende Chemie studiert“, sagt Laborleiter Uwe Schwarzenbolz. Große Engpässe beim Besetzen der freien Plätze gibt es nicht. Noch immer interessieren sich viele junge Menschen für das Fach. 110  beginnen jedes Jahr ein Chemiestudium an der Universität. Der Andrang ist so groß, dass der Zugang noch immer von der Abiturnote abhängt.

Das Kinderlabor ist deshalb keine Werbung für das Studium. „Die Kinder sollen neugierig werden“, sagt er. Überall im Alltag kommt Chemie vor. Das sollen die jungen Chemiker lernen. Da darf es ruhig spektakulär zugehen. Zum Beispiel, wenn sie mit Zitronensaft geheime Nachrichten schreiben, die nur dann sichtbar werden, wenn das Papier im Backofen erwärmt wird. Josefine hat sich besonders über die Matscherei mit der Speisestärke gefreut. Die kannte sie schon von einem Kindergeburtstag. Vermengt mit Wasser entsteht aus der Stärke eine weiße, klebrige Masse. Josefine holt etwas aus dem Glasgefäß und drückt die Masse zwischen den Fingern. Die wird fest. Dann lässt das Mädchen los, und der Klumpen läuft den Finger entlang. Es fühlt sich nass auf der Haut an.

„Das nennt man nichtnewtonsche Flüssigkeit“, sagt Hendrik Schulze. Der 20-Jährige hat vor anderthalb Jahren das Studium in der Lebensmittelchemie begonnen. Seine ersten Erfahrungen sammelte er, wie jetzt Josefine, im Kinderlabor. Vor zehn Jahren gehörte er zu den ersten Kindern, die an dem Projekt teilgenommen haben. Genau wie zwei weitere Dresdner, die nun ebenfalls an der TU Dresden studieren. Schon immer hat sich Hendrik Schulze für das Fach interessiert. Die Praxisnähe bei der Lebensmittelchemie reizte ihn besonders. „Schließlich hat alles im Supermarkt etwas damit zu tun“, sagt er. Nicht nur die Dinge, die gegessen werden können. Sondern auch die Verpackungen, Verarbeitungsformen und Haltbarkeitszeiten. Später will er als Chemiker in der Wirtschaft arbeiten. „Fast allen unseren ehemaligen Studenten gelingt ein nahtloser Übergang in die Berufspraxis“, sagt Fachrichtungssprecher Thomas Henle.

So weit ist Josefine noch nicht. Einen konkreten Berufswunsch muss sie erst finden. Nach den Ferien geht sie in die fünfte Klasse am Gymnasium Bühlau. Bis dahin probiert sie den Experimentierkasten aus, den sie als 2 000. Teilnehmer im Kinderlabor bekommen hat.

Die nächste Runde des Angebots findet in den Herbstferien statt. Dafür arbeiten die Chemiker mit verschiedenen Schulen und Horten zusammen. Interessenten können sich noch melden. Die Teilnahme ist kostenlos. Finanziert wird das Projekt von der Universität und der Fachrichtung Chemie. So können auch bald andere Kinder im weißen Kittel das Labor erobern und mit Essen spielen – ausnahmsweise und nur für einen Tag.