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Frühkindliche Bildung muss kostenfrei sein

Die SZ hat verschiedene Menschen um Beiträge gebeten, was sich ändern muss. Heute: Petra Schoening.

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© Archiv

Von Petra Schoening

Manchmal hilft es ja, ein Problem mit Humor zu sehen, doch bei mir als Pädagogin, Kreisrätin und Bürgerin ist schon länger das Ende der „Humorzone“ erreicht. Als Stanislaw Tillich 2009 unser Kinderhaus besuchte, einen Baum pflanzte und einen Packen kritischer und konstruktiver Anregungen für bessere Arbeitsgrundlagen im frühkindlichen sowie Hort- und Grundschulbereich mitnahm, freuten wir uns noch darüber, diese Themen direkt beim Ministerpräsidenten anbringen zu können. Viele Schriftstücke, Diskussionen, Sprechstunden, Protestresolutionen, landesweite Aktionen und Jahre später hat sich in Sachsen kaum etwas getan. Seit 2006 arbeiten alle Kindertagesstätten und Horte in Sachsen nach einem verbindlichen Bildungsplan, seit 2009 sind wir sogar wieder unterm Dach des Kultusministeriums. Doch seit 2006 vermisse ich eine klare Priorisierung und Positionierung unserer Landespolitik (und der Bundespolitik) zur Bildung von Anfang an. Bei 340 Millionen Euro Steuermehreinnahmen 2017 muss in die Zukunft investiert werden.

Kinder toben auf einem Klettergerüst im Olbersdorfer integrativen Kinderhaus „Spielkiste“. Sie bekommen nichts mit von den Problemen ihrer Erzieher und Erzieherinnen, denen die Arbeit immer mehr über den Kopf wächst.
Kinder toben auf einem Klettergerüst im Olbersdorfer integrativen Kinderhaus „Spielkiste“. Sie bekommen nichts mit von den Problemen ihrer Erzieher und Erzieherinnen, denen die Arbeit immer mehr über den Kopf wächst. © Matthias Weber

Ich habe den Eindruck, Bildung wird in Sachsen überwiegend mit Schule gleichgesetzt – aber Kindertagesstätten und Horte sind ebenso innovative, lebendige Bildungseinrichtungen. Doch genau wie im schulischen Bereich zeigt sich, dass Anforderungen und Rahmenbedingungen für diese anspruchsvolle Aufgabe in Sachsen nicht übereinstimmen. Die Erkenntnis ist nicht neu: Sachsen zählt zu den Bundesländern mit den schlechtesten Betreuungsschlüsseln in Kindertageseinrichtungen – sowohl auf dem Papier als auch in der Realität. Kinder werden mit diesem, per Gesetz festgelegten „Schlüssel“ auf Stunden hochgerechnet und es spielt keine Rolle, wie individuell anspruchsvoll die Bildung und Betreuung jedes einzelnen Kindes tatsächlich ist. Es spielt keine Rolle, wie sich Veränderungen in der Gesellschaft auf Familien und ihr Erziehungsverhalten auswirken und dass wir über völlig neue Bildungs- und Betreuungsformen nachdenken müssen. Es spielt keine Rolle, dass Erzieherinnen trotz hohem Engagements die Ansprüche an die Qualität ihrer Arbeit immer weiter zurückfahren und nur noch eine „Grundversorgung“ leisten können, weil sie am Ende ihrer Kräfte sind.

Es spielt keine Rolle, dass Eltern sich gemeinsam mit Erzieherinnen für Veränderungen einsetzen. Am Ende muss die Berechnung stimmen und das Geld reichen. Aber Kindertagesstätten sind nun mal keine „Parkhäuser“ – Kind abgeben, Gebühr bezahlen – Aufgabe erledigt. Die Hauptlast der Kosten bleibt bei den Kommunen, Trägern und Eltern hängen. Die Drittelung der Kita-Finanzierung hat sich schon seit Jahren zu ungunsten der Kommunen und Träger verschoben, und nicht zuletzt deshalb fällt es den kommunalen Entscheidungsträgern so schwer, Gebührenerhöhungen zu Lasten der Eltern zu beschließen.

Das Dilemma könnte beendet werden, wenn frühkindliche Bildung in Sachsen ebenso kostenfrei wäre, wie die Schulbildung. Gab es das nicht schon mal? Das kostenfreie Vorschuljahr wurde ja schnell wieder abgeschafft. Bildung ist Landesaufgabe und verfassungsrechtlich garantiert. Voraussetzung aus meiner Sicht wäre ein gemeinsames Überdenken und Verzahnen von Bildungsplänen und Lehrplänen, eine gleichwertige Anerkennung der pädagogischen Abschlüsse oder sogar eine generalisierte Ausbildung, eine fachlich gute Zusammenarbeit der Pädagoginnen auf Augenhöhe – nicht über Kooperationsvereinbarungen, sondern fachlich und politisch begründet, gesetzlich verankert, priorisiert und finanziert. Und wenn man diesen Gedanken in Sachsen konsequent fortsetzen würde, gehört dazu auch das nochmalige Nachdenken über Ganztagsschule. 2003 engagiert nach der damaligen Pisa-Studie mit Bundes-Milliarden angeschoben, um Bildungsgerechtigkeit herzustellen, wird dieser Gedanke zurzeit nur noch halbherzig verfolgt…

Es gibt für Bildung und Pädagogik in Sachsen keine einfachen Lösungen, aber aus meiner Sicht sollte diese Betrachtung endlich konsequent fortgesetzt werden. Trotz dieser „Herausforderungen“ arbeiten die meisten Erzieherinnen mit großer Freude und Engagement in ihrem Beruf, formulieren ihre Befindlichkeiten aber oft noch zu leise. Herr Tillich und seine Referatsleiter haben mir in verschiedenen Schreiben versichert „ … das die frühkindliche Bildung weiter im Fokus der Sächsischen Staatsregierung liegt“. Ich kann nur hoffen, dass die Prioritäten unter dem neuen Ministerpräsidenten deutlich auf Kindertagesstätten, Horte und Schulen – Bildung insgesamt – gelegt werden. In meinen Augen befinden sich hier die größten Schätze unseres Landes.