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„Früher war ich ein Tyrann“

Der Chef einer Roßweiner Gerüstbaufirma, Walter Stuber, über seinen Führungsstil, Schicksalsschläge und eine Beinahe-Insolvenz, die ihn zum Umdenken bewegte.

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© Robert Michael

Von Ines Mallek-Klein

Diese Hände können anpacken. Walter Stuber hat sie vor sich auf dem Glastisch abgelegt, der von 48,3 Millimeter starken Gerüst-rohren getragen wird. Gerüste sind hier überall. Aufgebaut als Anschauungsobjekt neben dem Mitarbeiterparkplatz, oder zerlegt in ihre Einzelteile in einem der Lager von der Gemeinhardt Gerüstbau Service GmbH. Das Unternehmen hat seit 2001 seinen Stammsitz in Roßwein, die Kunden im westlichen Teil Deutschlands werden von den Niederlassungen in Frankfurt/Main und Braunschweig aus betreut. Walter Stuber und Dirk Eckart sind die Geschäftsführer des Unternehmens und damit Chefs von 48 Mitarbeitern. Ein ganz normales mittelständisches Unternehmen in Sachsen?

Wohl eher nicht. Im Sekretariat hängen fünf quietschbunte Vogelhäuschen an der Wand. „Nein, einen Vogel haben unsere Mitarbeiter nicht, aber dafür ein großes Herz“, beruhigt Walter Stuber die Besucher. Die Beschäftigten unterstützen mit ihren Spenden fünf soziale Projekte in der Region, darunter das Kinderhospiz in Markkleeberg. Das Abgeben, auch von Verantwortung, ist ein zentrales Thema im Leben von Walter Stuber. Er stammt aus bescheidenen Verhältnissen, wurde vor 56 Jahren auf einem Bauernhof in Heilbronn geboren, den später seine Schwester übernahm. Walter Stuber wurde krank. Der Virus nahm ihm einen Teil seiner Beweglichkeit, aber nicht seinen Ehrgeiz. Er bewarb sich trotz seiner Gehbehinderung bei Layher, einem der größten Gerüsthersteller in Deutschland. Kaum ausgelernt, zog es Walter Stuber in die Fremde, nach München. Dort lernte er das 1905 gegründete Unternehmen Gerüstbau Gemeinhardt kennen, dessen Eigentümer Heinrich Gemeinhardt sich 1993 entschloss, in den Osten zu expandieren. Er gründete den Standort in Roßwein und schickte mit Walter Stuber einen Gerüstbauexperten nach Sachsen.

Stuber fand hier nicht nur eine berufliche Herausforderung, sondern auch sein privates Glück. Er gründete seine neue Familie. Als der Unternehmensteil 2001 zum Verkauf stand, überlegte der Schwabe nicht lange. Mit vier weiteren Investoren kaufte er den Namen und den Standort. Er war überzeugt, das Richtige zu tun. Sein Vater, der so oft am Können seines Sohnes gezweifelt hatte, konnte diesen Lebensabschnitt leider nicht mehr miterleben.

Walter Stuber wollte nie Chef sein. Aber wenn man es nun einmal ist, muss man Erfolg haben. Er sagt über seine vergangenen Unternehmerjahre: „Früher war ich ein Tyrann, habe 100 Leute eingestellt und 100 Leute wieder entlassen.“ Es war nicht leicht, ihm etwas recht zu machen. Stellte ein Postbote die gelieferten Pakete nicht akkurat übereinander, lief er Gefahr, vom Firmenchef gerügt zu werden. Und ein Mitarbeiter, der es im Lager mit der Ordnung nicht ganz so genau nahm, riskierte seinen Job. „Bei strategischen Entscheidungen gab es nur eine richtige Meinung, und das war meine“, erinnert sich Walter Stuber.

Das Geschäft mit dem Gerüstbau ist hart, der Preisdruck hoch und die von den Auftraggebern geforderte Flexibilität auch. Wer überleben will, muss sich spezialisieren. Die Gemeinhardt Gerüstbau Service GmbH hat das getan. Das Unternehmen stellt vor allem Spezialgerüste auf, liefert Einhausungen, Sonderlösungen und wird gerufen, wenn in Unternehmen an großen Maschinen Bauteile gewechselt werden müssen. „Wir sind 24 Stunden am Tag erreichbar, sieben Tage die Woche“, sagt Walter Stuber. Das wissen Kunden wie die Planer von Deutscher Bahn und Deges zu schätzen, die oft an den Wochenenden Bahnbrücken und Autobahnüberführungen sanieren müssen. Wer die Gerüstbauer aus Roßwein bucht, der zahlt keinen Dumpingpreis. „Wir kalkulieren fair“, sagt der Chef, „auch gegenüber unseren Lieferanten.“ Jedes Gerüst ist ein Unikat, muss einzeln kalkuliert werden.

Einmal lagen die Gerüstbauer ordentlich daneben. Es war ein Großauftrag aus Worms. Eine Brücke über den Rhein sollte für 1,1 Millionen Euro eingerüstet werden. Der Aufwand war größer als gedacht. Walter Stuber stellte einen Nachtrag über 300 000 Euro. Das ist jetzt sieben Jahre her. Noch immer wird vor Gericht darum gestritten.

Für Walter Stuber schien damals, neun Jahre nach der Firmenübernahme, alles vorbei. Er stand auf der Brücke, die das finanzielle Fiasko seiner Unternehmens bedeutete. „Glauben Sie mir, ich wäre am liebsten gesprungen“, erinnert er sich. Doch Stuber ist nicht gesprungen und hat sich stattdessen an die Grundsätze der Unternehmensführung erinnert. Die Kosten, die Strategie und der Chef beeinflussen den Erfolg einer Firma. Geld war knapp, erst recht für zeitraubende Berater. Walter Stuber überlegte, was er am schnellsten und kostengünstigsten ändern kann. „Und das war ich“, sagt er lächelnd. Wer die Welt ändern wolle, der müsse bei sich anfangen, so sein Credo. Und genau das tat der Unternehmer. „Ich begann, auf die Meinung meiner Mitarbeiter zu hören. Ich akzeptierte, dass es Leute gibt, die in bestimmten Bereichen kompetenter sind als ich“, so Stuber. Das war ein Prozess, der in fünf Leitsätzen mündete, die der Bürokaufmann auf seiner Visitenkarte verewigt hat. Er nennt sie die „Big 5 for Live“.

Er möchte seine Gesundheit verbessern, mehr Zeit mit Ehefrau und Familie verbringen, das Unternehmen in die nächste Generation führen, Kunden und Mitarbeiter zu wahren Fans machen und Jesus Christus folgen. „Ja, ich habe wieder zu meinem Glauben zurückgefunden“, sagt der Firmenchef. In seinem Büro hängt ein Kreuz, und im Regal des Konferenzraums steht die Bibel. „Ich gehe nicht jeden Sonntag in die Kirche und will auch meine Mitarbeiter nicht bekehren, aber ich schätze die christlichen Werte, und ich lebe sie vor“, so Stuber.

Das ist nicht immer leicht, zum Beispiel, wenn man den Mitarbeitern mit dem Weihnachtsgeld Anerkennung für die geleistete Jahresarbeit zollen möchte, aber gerade ein Großkunde von Bord geht. „Wir hatten die Wahl: Weihnachtsgeld auszahlen und mit einem sechsstelligen Minusbetrag das Jahr beenden, oder plus/minus null unter der Bilanz stehen zu haben und auf die Prämie verzichten“, sagt Walter Stuber.

Er entschied sich für Ersteres.

Eine Fairness, die sich herumspricht. Wohl auch deshalb fällt es dem Roßweiner Unternehmen nicht schwer, Mitarbeiter in einer Branche zu finden, die alles andere als hip ist. Sieben Lehrlinge werden selbst ausgebildet. Die Nachwuchs-Gerüstbauer arbeiten in einer eigenen Kolonne, haben einen eigenen Ausbildungsleiter und eigene Projekte. Stuber möchte den Nachwuchs so vor dem Verschleiß bewahren.

Nicht nur die Lehrlinge, alle Mitarbeiter im Unternehmen können seit August 2016 von dem Wunschlohn profitieren. Walter Stuber belohnt Mitarbeiter, die mitdenken. Ein Beschäftigter hat sich verpflichtet, regelmäßig den Reifendruck auf den Lkws zu kontrollieren. Der Chef überprüft die Einträge sechs Monate lang. Ist alles komplett, kann sich der Mitarbeiter über 50 Cent extra für jede produktive Arbeitsstunde freuen, rückwirkend. Acht Mitarbeiter beteiligen sich an dem Projekt, und jede Idee hilft, den Arbeitsprozess besser zu machen und Kosten zu sparen.

Mehr Effizienz ist auch das Ziel des papierlosen Büros, das schrittweise in Roßwein eingeführt wird. Die Skepsis der Mitarbeiter war anfangs groß, doch die Zeitersparnis hat sie überzeugt. Die Gerüstbauer selbst nutzen auf ihren Handys und Tablets seit einigen Monaten eine App, die ihnen die Dienstpläne und besondere Hinweise übermittelt. Alle Projekte, die momentan bearbeitet werden, sind online verfügbar. „Damit stellt sich für uns auch das Thema der Datensicherheit“, sagt Walter Stuber. Die Pläne sind an drei separaten Serverstandorten gespeichert. Es gibt einen Notfallkoffer mit den wichtigsten Codes, sodass die Firma bei einem Software-Crash innerhalb von sechs Stunden wieder lebensfähig wäre. Walter Stuber glaubt das nicht nur, er weiß es. Er hatte seine Softwarefirma vor einigen Wochen gebeten, den Super-Gau zu inszenieren.

Ein Tyrann ist Walter Stuber heute nicht mehr, aber Perfektionist ist er geblieben, und wissbegierig. Der Unternehmer liest sehr viel. Jede Woche liegt ein neues Buch auf seinem Nachttisch. Eine Erklärung, warum ausgerechnet ihn, der mit seinen Mitarbeitern ganz hoch hinaus geht, die Höhenangst plagt, hat er aber darin allerdings noch nicht gefunden.