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Freundschaft, die durch den Magen geht

Für das Projekt „Zukunftsstadt“ planen zwei Dresdner eine offene Nachbarschaftsküche.

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© Sven Ellger

Von Theresa Hellwig

Ein Wohnzimmer bräuchte Sabine Müller-Schwerin eigentlich gar nicht: „Wenn wir als Familie zusammenkommen, dann sind wir immer in der Küche.“ Schon lange will die 50-Jährige mit dem Grunaer Verein „Sigus“ einen Nachbarschaftstreff aufbauen.

Torsten Görg, 37, ist seit mehr als einem Jahr im Projekt „Kornkreise“ aktiv. Bei dem offenen Nachbarschafts-Backtreff kommt es vor, dass sieben Hände, mitunter ganz verschiedener Nationen, gleichzeitig in einer Teigschüssel rühren und gemeinsam Brot backen. Das ist nicht nur ein schönes Treffen, sondern auch energiesparend durch die gemeinsame Ofennutzung.

Bei den Zukunftsstadt-Workshops trafen Görg und Müller-Schwerin aufeinander. Kreative Dresdner treffen sich dort, um unter der Leitung von Norbert Rost Projekte zu entwickeln, die ein nachhaltiges Dresden schaffen sollen. Denn im Jahr 2015 wurde Dresden vom Bundesforschungsministerium bei einem Städtewettbewerb zur Zukunftsstadt gekürt. Nun bewerben sich die Projekte in einem dreistufigen Wettbewerb um Förderungsmittel vom Bund. Im Vordergrund steht die Frage: Wie soll die Stadt 2030 aussehen?

Görg und Müller-Schwerin kamen schnell auf die Idee: Dresden fehlt eine Nachbarschaftsküche. Diese soll öffentlich zugänglich sein und selbstverwaltet. Jeder soll kommen und kochen können. Nachbarschaftsbunde sollen entstehen; aus Nachbarschaft soll Freundschaft werden.

„Bei jedem Fest wird gegessen. Das ist so im Menschen drinnen“, erklärt Müller-Schwerin. „Auch das Thema Foodsharing soll eine Rolle spielen“, sagt Görg. Das bedeutet, dass Personen, die überflüssige Lebensmittel haben, diese mit anderen teilen. Die Nachbarschaftsküche soll aber auch der Vereinsamung von Menschen entgegenwirken. Die Treffen sollen möglichst generationenübergreifend und interkulturell sein. Auf der Zutatenliste stehen dabei idealerweise regionale, biologisch angebaute Produkte.

Die Zukunftsstadt-Projekte werden in sogenannten Reallaboren getestet. Dafür wollen Görg und Müller-Schwerin in drei strukturell verschiedenen Stadtteilen je eine Probeküche eröffnen. Das Vorhaben wird dabei wissenschaftlich begleitet. Eine Schnittstelle zur Forschung wäre dabei beispielsweise die soziologische Frage: „Was passiert, wenn man Räume öffnet?“ Vermüllen diese, oder kommen tatsächlich Menschen und treffen sich dort? Welche Unterschiede gibt es zwischen den Stadtteilen? Wen spricht das Projekt an? Wie kann man Gesellschaftsgruppen ins Boot holen, die sich nicht angesprochen fühlen?

Ein Problem, vor dem Görg und Müller-Schwerin stehen, ist die rechtliche Lage. Noch ist nicht geklärt, wie offen ein Raum für diesen Zweck tatsächlich sein darf. Auch das Herzstück – eine Küche – fehlt dem Vorhaben noch. „Vielleicht gibt es ja ein Küchenstudio, das ein Ausstellungsstück spendet“, hofft Müller-Schwerin.

Die Zukunftsstadt-Projekte sollen am Ende umgesetzt werden – unabhängig davon, ob sie die Fördermittel des Bundesforschungsministeriums erhalten oder nicht. Alle Workshopteilnehmer entwickeln zwei Varianten ihrer Projekte: eine, die die Förderung einberechnet, und eine Variante, die sich ohne diese über Wasser halten könnte. Dennoch: Bis es in den Töpfen der ersten Nachbarschaftsküchen Dresdens brodelt, vergeht noch eine Weile. Wenn alles gutgeht, dann darf das Projekt 2019 starten.