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Fremde im eigenen Land

Bis zu seiner Volljährigkeit musste Ian Ssali warten, bis er sich Italiener nennen durfte. Nicht nur er empfindet diese Regelung diskriminierend. Die regierenden Sozialdemokraten in Italien wollen das ändern.

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© dpa

Lena Klimkeit

Rom. In Uganda wurde er für einen Alien gehalten, sagt Ian Ssali. Es ist nicht so, als würde er sich für seine Wurzeln schämen. Doch für den 26-Jährigen ist eben nicht der afrikanische Staat seine Heimat, sondern Italien. Er ist in Rom geboren, hat in Italien die Schule besucht, spricht perfekt Italienisch, ja, er ist Italiener, keine Frage. Und trotzdem musste er 18 Jahre warten, bis er sich durch den Bürokratiedschungel schlagen durfte, um am Ende auf dem Papier bestätigt zu haben, dass er auch wirklich Italiener ist.

Die regierenden Sozialdemokraten in Italien wollen durchsetzen, dass Kinder von Migranten früher die italienische Staatsbürgerschaft erhalten und nicht erst wie Ssali mit 18 Jahren und nur, wenn sie aktiv beantragt wird. Seit Jahren wird über das Einbürgerungsgesetz diskutiert, das vorsieht, dass automatisch nur Italiener wird, wer mindestens einen italienischen Elternteil hat. Es ist das Prinzip der Blutsverwandtschaft - das „ius sanguinis“, das Recht des Blutes.

Der Gesetzentwurf, der bereits von der Abgeordnetenkammer abgenickt wurde, aber über den die Parteien im Senat derzeit erbittert streiten, räumt dem „ius soli“, dem Recht des Bodens, eine größere Bedeutung ein. Ein Kind, das in Italien geboren wird, soll automatisch Staatsbürger sein, wenn sich mindestens ein Elternteil mindestens fünf Jahre legal in dem Land aufgehalten und das Kind mindestens fünf Jahre die Schule absolviert hat. Kommt der Elternteil aus einem Staat außerhalb der EU, kommen weitere Anforderungen wie eine bestimmte Einkommenshöhe hinzu.

Aus Sicht der Oppositionsparteien, allen voran der ausländerfeindlichen Lega Nord, geht das zu weit. „Die Staatsbürgerschaft kriegt man nicht geschenkt“, sagen sie und werfen den Sozialdemokraten vor, sich mit der Reform Stimmen der Migranten bei der Parlamentswahl sichern zu wollen.

Längst ist in Italien Wahlkampf - mitten in der Flüchtlingskrise, unter der das Mittelmeerland besonders ächzt. Die Politiker der rechtsgerichteten Parteien vermischen die Debatte um die Neuankömmlinge mit der um die zweite Generation der Zugewanderten. „Mit der Migration wird ein Spiel gespielt“, sagte Innenminister Marco Minniti vor einigen Tagen. „Es gibt Leute, die sagen, Migration ist gleich Terrorismus, aber diese Gleichung ist falsch. Es gibt dagegen einen Zusammenhang zwischen Terrorismus und Integration. Ein gut integrierendes Land ist ein sichereres Land.“

Sprich: Die Regierung in Rom hofft, dass sich die Gesetzesänderung positiv auf die Integration auswirkt, möglicherweise junge Leute sogar vom Abdriften in die radikale Szene abhält. Denn die derzeitige Gesetzgebung wird von vielen als diskriminierend empfunden - auch von Mohamed Abdalla Tailmoun und Marwa Mahmoud. Die 32-Jährige wurde in Ägypten geboren, kam aber als Kleinkind mit ihren Eltern nach Italien. An ihr Leben in Ägypten erinnert sie sich kaum. Ebenso geht es dem Libyer Tailmoun, der seit 39 Jahren in Italien lebt, er kam mit fünf Jahren her. Noch immer hat er keinen italienischen Pass. „Und das, obwohl ich an Italien denke, wenn ich sage: Ich gehe heim.“

Auch in Deutschland gab es immer wieder Streit um das Einbürgerungsgesetz - und um die Jahrtausendwende gab es eine ähnliche Diskussion wie nun in Italien. Seit dem 1. Januar 2000 gilt in der Bundesrepublik das Recht des Bodens neben dem Abstammungsprinzip. Voraussetzung dafür, dass das Recht des Bodens greift, ist unter anderem, dass das Kind in Deutschland geboren ist und sich mindestens ein Elternteil seit acht Jahren rechtmäßig in Deutschland aufhält. Wird das Kind 18, muss es sich dann zwischen der deutschen und der ausländischen Staatsangehörigkeit entscheiden.

In Italien könnte sich für Zehntausende Menschen einiges verändern, wenn der Gesetzentwurf am Ende durchkommt. So auch für den kleinen Jibrill, der den Fußballclub AS Rom liebt, Basim, der sich längst als italienischer Bürger fühlt, oder Numayer, der sagt: „Ich verhalte mich wie die anderen und werde auch so behandelt wie die Italiener.“ Die Kinder treten in einem Video im Internet auf, das „La Repubblica“ produzierte und Tausende Italiener mit Fragen wie dieser rührte: „Was soll das heißen, Nationalität?“ (dpa)