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Fremde Heimat

Jugendliche haben einen Film darüber gedreht, wie es ist, Dresdner zu sein – und daneben eine zweite Kultur zu haben.

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© Sven Ellger

Von Anna Hoben

Warum tragt ihr kein Kopftuch? Sagt doch mal, wie ist denn das mit dem Dschihad? Wie kann es sein, dass ein Ausländer so ein schönes Auto fährt?

Ein Thema im Film: Lieblingsorte in und um Dresden. Für „Wenn wir reden ...“ haben sich die Jugendlichen gegenseitig interviewt. Foto: Kulturbüro Sachsen
Ein Thema im Film: Lieblingsorte in und um Dresden. Für „Wenn wir reden ...“ haben sich die Jugendlichen gegenseitig interviewt. Foto: Kulturbüro Sachsen

Das sind so Fragen, die sie oft hören, Dilara, Yeliz, Alicem und die anderen. Sie antworten dann: Nur weil jemand eine dunklere Hautfarbe hat, heißt das noch lange nicht, dass er oder sie Muslim ist. Warum soll ich mehr über den Dschihad wissen als ihr? Ich lebe schon mein ganzes Leben in Dresden. Wisst ihr eigentlich, dass mein Vater oft 16 Stunden am Tag arbeitet?

Die Sache mit der Identität ist kompliziert. Dilara, Yeliz und Alicem sind in Deutschland geboren. Ihre Eltern kamen einst aus der Türkei hierher, teilweise auch schon die Großeltern. Sie flohen vor Unterdrückung und Verfolgung. Sie sind Kurden, und sie sind Aleviten. Wenn sie in den Sommerferien in die Türkei fahren, sind sie dort „die Deutschen“. In Deutschland sind sie für die meisten „die Türken“.

Oft müssen Dilara, Yeliz und Alicem die Menschen aufklären: Das Alevitentum ist eine Glaubensrichtung des Islam, die in der Türkei durch die Geschichte hindurch diskriminiert wurde. Aleviten leben nicht nach den fünf Säulen des Islams. Sie pilgern nicht nach Mekka, fasten nicht während des Ramadans, beten nicht in Moscheen – und die Frauen tragen kein Kopftuch. Der Koran spielt bei ihnen nicht so eine große Rolle wie bei anderen Muslimen. Die 15-jährige Yeliz erklärt das so: „Der Mensch braucht kein Buch, das ihm sagt, dass er nicht töten soll – das muss im Menschen drin sein.“ Rund 500.000 Aleviten leben in Deutschland, in Dresden sind es etwa 200, wobei unklar ist, wie viele Asylsuchende ebenfalls Aleviten sind.

Dilara, Yeliz und Alicem sind zwischen 15 und 18 Jahre alt. In dem Alter macht man sich schon mal seine Gedanken, wer man eigentlich ist. Die drei allerdings stellen sich solche Fragen wahrscheinlich häufiger als andere. Wo komme ich her? Wo gehöre ich hin? Wie komme ich an? Dilara sagt: „Ich bin Deutsche, aber die Leute akzeptieren es nicht, wenn ich das sage.“ Alicem sagt: „Ich bin Kurde, allerdings spreche ich besser türkisch als kurdisch.“ Yeliz sagt: „Die Leute sehen uns nicht feindselig an, aber für viele sind wir immer anders.“

„Nichts gegen Ausländer, aber ...“

Erfahrungen mit offenem Rassismus haben sie in Dresden nie gemacht, sagen sie. Mit Klischees und Vorurteilen aber sind sie ständig konfrontiert. Da gibt es zum Beispiel noch einen Satz, den sie oft hören: „Ich habe ja nichts gegen Ausländer.“ Der Satz geht dann üblicherweise mit einem „aber“ weiter. Aber die sind aggressiv/kriminell/wollen sich nicht integrieren. „Immer dieses aber“, sagt Alicem.

Weil die Sache mit der Identität also kompliziert ist, haben Dilara, Yeliz, Alicem und die anderen einen Film gedreht. Er heißt: „Wenn wir reden“ und feiert morgen im Kino Schauburg Premiere. Wenn man redet, versteht man Dinge irgendwann besser. Also haben Dilara, Yeliz, Alicem und die anderen sich erst einmal ausgetauscht. Über ihre Liebe zur Stadt Dresden – und darüber, wie diese Liebe oft nicht erwidert wird. Über das Leben zwischen zwei Kulturen – und wie es ist, wenn man sich zu keiner komplett zugehörig fühlt. Darüber, dass es auch eine große Chance sein kann, Einblicke in zwei verschiedene Welten zu haben. Irgendwann stand fest: Los, wir machen einen Film.

Wenn man sie fragt, wovon er handelt, sagen sie: von unserem Leben als Postmigranten. Ein Postmigrant, was ist denn das nun schon wieder? Ganz selbstverständlich verwenden Dilara, Yeliz, Alicem und die anderen den Begriff, der die Kinder von Einwanderern bezeichnet, die Generationen nach den Migranten. Das Leben als Postmigrant bringt einiges mit sich: Entscheidungen wie die, welchen Pass man möchte. Das alltägliche Hin- und Herwechseln zwischen verschiedenen kulturellen Gepflogenheiten. „Unter Türken grüßen wir uns mit Kuss links, Kuss rechts“, sagt Alicem, „meine deutschen Freunde klopfen sich eher mit der Hand gegenseitig auf die Schulter“. Die Sehnsucht nach mehr Austausch: In ihren Schulklassen gibt es nicht viele andere mit einem nichtdeutschen Hintergrund. Verwunderung, wenn Altersgenossen über ihre Eltern schimpfen. Familie steht in ihrer Kultur an erster Stelle. Ein Gefühl von Dankbarkeit: „Ich bin glücklich über die Meinungsfreiheit in Deutschland“, sagt Yeliz. „In der Türkei werden Journalisten eingesperrt, weil sie die Wahrheit schreiben.“ Der Pädagoge Danilo Starosta vom Kulturbüro Sachsen e. V. hat das Projekt über zwei Jahre hinweg betreut. Einmal pro Woche traf sich die Gruppe; beim Filmstudio Dritte Etage fanden sie den Kameramann Frank Beitlich, der wusste, wie man eine Szene gestaltet und welche technischen Tücken zu beachten sind. Die Berliner Amadeu Antonio Stiftung hat das Projekt gefördert. Herausgekommen ist eine Mischung aus Spiel- und Dokumentarfilm. Zur Premiere haben die Jugendlichen ihre Familien eingeladen, ihre Klassenkameraden und auch einige Lehrer. Wenn morgen das Licht im Kinosaal ausgeht und die ersten Bilder über die Leinwand flackern, werden sie vielleicht diese Mischung aus Zufriedenheit, Stolz und Aufgeregtheit verspüren, die man hat, wenn man eine große Sache gestemmt hat.

„Das, was wir hier machen“, sagt Dilara, „über unser Leben reden, das wäre in Berlin oder Frankfurt gar nicht nötig“. In Dresden sind sie damit Avantgarde. Sie könnten dazu beitragen, dass in der Stadt mehr und anders geredet wird, über Menschen wie sie, mit Menschen wie ihnen.

Premiere „Wenn wir reden ...“: 24. September, 18 Uhr, Kino Schauburg, Eintritt frei. Der Film beginnt um 19 Uhr.